Hamburg. Beim Übersee-Club geben Vertreter wichtiger Hamburger Wirtschaftsbranchen Jahresausblick – und nehmen kein Blatt vor den Mund.

Zum Jahresauftakt lädt der Übersee-Club traditionell zu einem Treffen mit Spitzenvertretern der Hamburger Wirtschaft ins Hotel Atlantic ein. Namhafte Experten aus wichtigen Branchen sprechen in kurzen Referaten über ihre Erwartungen für das bevorstehende Jahr. Das Abendblatt fasst die Aussagen zusammen. In einem Punkt waren sich alle Redner einig: Sie sehen 2024 als wechselvolles Jahr mit vielen Herausforderungen.

Der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbands AGA, Hans Fabian Kruse, brachte es in einem zehnminütigen Parforceritt durch die politische und wirtschaftliche Lage der Welt auf den Punkt: „2024 werden mehr als 60 Länder mit rund 4 Milliarden Menschen Parlamentswahlen abhalten. Das bedeutet, dass etwa die Hälfte der Weltbevölkerung an die Urnen gehen könnte. Es sind dabei einige spannende Entscheidungen zu erwarten.“

Industrie in Hamburg klagt Politik an: „Wir werden schlecht regiert“

Die Lage einzelner Länder hob Kruse hervor und reflektierte kritisch über den deutschen Umgang mit ihnen. „Deutschland wird weiterhin häufig wahrgenommen als ein Land, das die Glaubenssätze einzelner Koalitionspartner durchboxen will beziehungsweise das mit empfundenen Alleingängen die anderen brüskiert“, sagte er laut Redemanuskript.

AGA-Präsident Hans Fabian Kruse geht insbesondere mit der deutschen Außenpolitik hart ins Gericht.
AGA-Präsident Hans Fabian Kruse geht insbesondere mit der deutschen Außenpolitik hart ins Gericht. © Roland Magunia / Funke Foto Services | Roland Magunia

Und weiter: „Wir müssen und können die Welt nicht als Oberlehrer retten, aber können – natürlich jeder Einzelne – unseren praktischen Beitrag leisten. Aber als Staat sollten wir unsere Interessen vertreten und lieber Qualitätsprodukte statt eigener Ideologien exportieren.“

Reeder-Chefin kritisiert: Bundesregierung lässt Schifffahrt hängen

Gaby Bornheim, Präsidentin des Verbands Deutscher Reeder, fand in ihrem Beitrag ebenfalls klare Worte der Kritik an der Bundesregierung. Diese bremse den maritimen Klimaschutz, während die Seeschifffahrt versuche, ihn voranzutreiben, lautet Bornheims Vorwurf. Dabei geht es um das Europäische Emissionshandelssystem, dessen Bestandteil die Seeschifffahrt seit Jahresbeginn ist. „Wir reduzieren CO₂ im Betrieb unserer Schiffe an allen Ecken und Enden. Uns fehlt in Deutschland aber noch das nationale Umsetzungsgesetz, welches das EU-Emissionshandelssystem für deutsche Reedereien zur Anwendung bringt. Unsere Bundesregierung – das muss hier einmal so deutlich gesagt werden – lässt ihre Schifffahrt und den maritimen Klimaschutz derzeit leider hängen“, sagte Bornheim.

Die Präsidentin des Verbands Deutscher Reeder, Gaby Bornheim, sieht die Schifffahrtsindustrie auf gutem Weg bei der Klimawende. Sie werde aber von der Politik gebremst.
Die Präsidentin des Verbands Deutscher Reeder, Gaby Bornheim, sieht die Schifffahrtsindustrie auf gutem Weg bei der Klimawende. Sie werde aber von der Politik gebremst. © Roland Magunia/Hamburger Abendblatt | Roland Magunia/Hamburger Abendblatt

Während andere EU-Mitgliedstaaten die Umsetzungsprozesse längst beschlossen hätten, sei in Deutschland immer noch kein Gesetz in Sicht, das der Schifffahrt die notwendige Klarheit und Rechtssicherheit im Umgang mit dem durchaus bürokratischen Großprojekt des Emissionshandels biete. Am meisten treibe die Branche beim Thema Klimaschutz die Suche nach alternativen Treibstoffen um. E-Schiffe sind, so Bornheim, nur für kurze Verkehre eine Lösung, für die Langstrecke aber ungeeignet: „Man würde über 40.000 Tesla-Batterien brauchen, um ein Großcontainerschiff einen Tag lang anzutreiben.“

Hamburger Handwerker fordern eigene Parkausweise

Insgesamt positiver schaut das Hamburger Handwerk auf das Jahr 2024, wobei die Stimmung zweigeteilt ist: „Da sind zum einen die Gesundheitshandwerke wie beispielsweise Augenoptik oder Hörakustik, die noch recht optimistisch in die Zukunft blicken. Und da ist zum anderen die Bau- und Ausbauwirtschaft, die vor einem erheblichen Konjunkturknick steht und ihre Aussichten eher pessimistisch beurteilt“, sagte der Präsident der Handwerkskammer, Hjalmar Stemmann, in seiner Ansprache.

Hjalmar Stemmann, Präsident Handwerkskammer stellt klare Forderungen an die Politik.
Hjalmar Stemmann, Präsident Handwerkskammer stellt klare Forderungen an die Politik. © Andreas Laible / FUNKE Foto Services | Andreas Laible

Stemmann forderte für 2024 eine „mittelstandsorientierte Realpolitik“. Dazu gehörten Bürokratieabbau, die Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum und mehr Azubi-Wohnheimplätzen, mehr Personal in den Ausländerbehörden, um Einwanderung schneller zu realisieren, eine Senkung der Grunderwerbssteuer und schließlich einen eigenen Handwerkerparkausweis, damit die Kunden in den Wohngebieten angefahren werden könnten.

Industrieverband: Aktuelle Politik hat Glaubwürdigkeitsproblem

Schlechte Noten für Deutschlands Wirtschaftspolitik verteilte auch der Vorsitzende des Industrieverbands Hamburg (IVH), Matthias Boxberger. „Die Weltwirtschaft wächst, Deutschland tritt auf der Stelle und droht den Anschluss zu verlieren. Dies ist wirtschaftspolitisch hausgemacht“, sagte er und verwies auf hohe Energiepreise, Bürokratie und schlechte Verkehrsinfrastruktur für Beschäftigte, Material und Waren. „Wir werden schlecht regiert, daher sind die industriepolitischen Aussichten schlecht. So schlecht wie zuletzt zu Zeiten der Finanzkrise in den 2000er-Jahren“, beklagte Boxberger.

Matthias Boxberger, Vorsitzender des Industrieverbands Hamburg (IVH), beklagt: „Wir werden schlecht regiert.“
Matthias Boxberger, Vorsitzender des Industrieverbands Hamburg (IVH), beklagt: „Wir werden schlecht regiert.“ © Dennis Williamson | Dennis Williamson

Dies führe dazu, dass Investitionsbereitschaft und Produktionskapazitäten verloren gingen. „Eine Transformation zur Klimaneutralität auf dem kalten Weg, durch eine Abwanderung der Industrie – dies kann doch niemand wollen. Das Narrativ der aktuellen Klima- und Industriepolitik, welches zu einer Win-win-Situation für Weltklima und Wohlstand führen soll, hat auf diese Weise ein enormes Glaubwürdigkeitsproblem – dies zeigen nicht zuletzt die Proteste der vergangenen Tage“, sagte er mit Blick auf die Demonstrationen der Bauern.

Schließlich befasste sich Klaus Ebert, Präsident des Allgemeinen Hamburger Presseclubs, noch mit dem Zustand des Journalismus und den Gefahren der künstlichen Intelligenz.

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Zum Abschluss der Veranstaltung wurde Michael Behrendt offiziell verabschiedet. Als Präsident des Übersee-Clubs hatte er diese Veranstaltung seit Monaten geplant. Die Begrüßung der Gäste übernahm schon sein Nachfolger, der Haspa-Vorstandssprecher Harald Vogelsang. Er dankte Behrendt für seine zwölfjährige ehrenamtliche Arbeit für den Übersee-Club. Vom Kuratorium ist er zum Ehrenpräsidenten ernannt worden.