Hamburg. Im Internet, an Kiosken und in Drogerien verkauft sich das Produkt gut. Experten warnen vor den Folgen des Konsums. Die Hintergründe.

Sahnekapseln dienen eigentlich dazu, flüssige Sahne aus einem Siphon schaumig zu bekommen – zum Beispiel für den Pflaumenkuchen oder das Speiseeis. Doch vor allem viele junge Menschen in Hamburg nutzen die Kapseln für andere Zwecke. Denn ihr Inhaltsstoff hat eine berauschende Wirkung: Distickstoffmonoxid, weitaus bekannter unter dem Namen Lachgas.

Dem Abendblatt liegen exklusive Daten zum Konsum von Lachgas in Hamburg vor: Demnach gaben im Jahr 2021 (neuere Daten liegen nicht vor) 11,3 Prozent der 14- bis 17-Jährigen in Hamburg an, schon einmal in ihrem Leben Lachgas inhaliert zu haben. Das ist das Ergebnis einer Auswertung, die Theo Baumgärtner von der Beratungsstelle Sucht. Hamburg für das Abendblatt vorgenommen hat.

Lachgas: Jeder neunte Jugendliche in Hamburg hat es schon konsumiert

Seit 2015 ist die Zahl der jungen Lachgas-Konsumenten stark gestiegen. Waren es damals erst 5,2 Prozent der 14- bis 17-Jährigen, sind es 2021 bereits mehr als doppelt so viele gewesen. Dabei kann es sich allerdings auch um ein nur einmaliges Ausprobieren handeln, worauf andere Zahlen hindeuten.

Dass junge Menschen sich mit Lachgas berauschen, sei kein grundsätzlich neues Phänomen, sagt der Mediziner Rainer Thomasius, ärztlicher Leiter des Suchtbereichs am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). „Wir kennen den Missbrauch von Lachgas bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen schon seit Jahrzehnten.“ Der Konsum schwanke allerdings und steige immer wieder stark an. „Mund-zu-Mund-Propaganda spielt dabei eine entscheidende Rolle.“

Soziale Medien befeuern Lachgas-Konsum

Neu sind nach Angaben von Baumgärtner allerdings die Dimensionen des Handels mit Lachgas – sowie die neue Form des Marketings. Vor allem in sozialen Netzwerken gebe es heutzutage viele Videos, in denen der Konsum von Lachgas verharmlost werde. „Bei Youtube oder Tiktok finden sich nach wenigen Klicks Hinweise zur Beschaffung und Anwendung des Lachgases“, sagt Baumgärtner.

Um Lachgas zu konsumieren, ist zunächst ein sogenannter Cracker oder Entkapsler nötig, mit dem das Gas von der Sahnekapsel aus in einen Luftballon gefüllt und dann inhaliert werden kann. Der Inhalt eines Ballons führt zu einem Rausch von mehreren Sekunden bis etwa einer Minute.

Jugendliche können Lachgas unkompliziert kaufen

Nicht nur das vermeintlich coole Image spricht junge Menschen an: Lachgas ist in Deutschland im Gegensatz zu anderen Drogen legal, leicht erhältlich und günstig. Häufig wird das Gas aus Sahnekapseln für den Rausch genutzt. Und die Kapseln gibt es in fast jedem Supermarkt, in vielen Drogerien oder an Tankstellen und Kiosken. Meist passen sieben bis neun Gramm Distickstoffmonoxid in eine Kapsel.

Ein Hersteller bietet das Gas sogar in größeren Flaschen mit einem Fassungsvermögen von mehr als 600 Gramm an. Das sei laut Werbevideo besser für die Umwelt und angenehmer im Handling als die kleinen Kapseln. In dem Video wird zwar nicht direkt zum Inhalieren des Gases aufgerufen. Der Hersteller weist aber darauf hin, dass das Gas keinen chemischen Nachgeschmack habe und auch in verschiedenen Geschmacksrichtungen erhältlich sei: Passionsfrucht, Wassermelone oder Ananas. „Damit wird deutlich, dass das Produkt zum Inhalieren gedacht ist und nicht dafür, Sahne einen leckeren Geschmack zu verleihen“, sagt Baumgärtner.

Lachgas: Das Geschäft mit dem kurzen Rausch

Auch in einigen Kiosken – unter anderem im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg – wird das Lachgas in größeren Flaschen angeboten. Ein junger Mann, der in einem der kleinen Läden arbeitet, sagt: „Das ist der größte Mist, den es gibt.“ Er habe Lachgas selbst probiert und ihm sei schwindelig geworden. Dass der Konsum nicht ungefährlich ist, sei ihm bewusst. Und auch, dass einige Jugendliche Lachgas inhalierten.

Das Gas verursacht nach Angaben von Medizinern und Nutzenden einen schnellen und recht kurzen Rausch. „Konsumierende erleben eine Art Trance oder Hypnose“, sagt Rainer Thomasius vom UKE. „Es entsteht ein Gefühl von angenehmer Gleichgültigkeit.“ Auch Scheinhalluzinationen treten auf: Die Umgebung werde verzerrt wahrgenommen. „Das finden viele Jugendliche witzig“, so Thomasius. Zudem würden vielfach Lachanfälle – passend zum Namen – beschrieben.

Lachgas hat negative Folgen für die Gesundheit

Doch so witzig und folgenlos bleibt der Konsum nicht immer, vor allem für junge Menschen. „Jugendliche können die Wirksamkeit von Lachgas auf das eigene Bewusstsein meist schlechter kalkulieren als Erwachsene, die Vorerfahrungen mit anderen Substanzen wie Alkohol haben“, sagt Thomasius. Manche Jugendliche würden durch den Konsum bewusstlos und dann stürzen, was zu Knochen- oder Kopfverletzungen führen könne.

Weitere Wirtschaftsthemen

Gefährlich sei es laut Thomasius auch, das Gas direkt aus den Kartuschen zu konsumieren. Folgen können Erfrierungen an Lippen sowie Kehlkopf- und Lungenschäden sein. Langfristig sei es möglich, dass der Konsum von Lachgas Nervenschäden und eine psychische Abhängigkeit verursache. Bei Schwangeren könne es sogar zu Fehlbildungen des Ungeborenen oder zu Fehlgeburten kommen.

Lachgasflaschen am Kiosk in Wilhelmsburg

Trotz bekannter gesundheitlicher Gefahren sind die Gasflaschen weiterhin zu kaufen. Im Wilhelmsburger Kiosk stehen sie direkt neben Zigaretten und Pfefferminzschnaps – konsumfertig mit einem Einweg-Entkapsler und Luftballons. Denn die Nachfrage ist groß. „Wir verkaufen die Flaschen günstiger als in anderen Stadtteilen, das spricht sich herum“, sagt der Kiosk-Mitarbeiter. Man prüfe allerdings vor dem Verkauf das Alter der Käuferinnen und Käufer. „Wir geben das Lachgas nicht an Jugendliche unter 18 Jahren heraus.“

Weitaus beliebter ist laut Baumgärtner ohnehin der Kauf im Internet: Hier gebe es keine Alterskontrollen, zudem finde man eine größere Auswahl und oft günstigere Angebote. Außerdem seien dort auch Entkapsler in verschiedenen Designs erhältlich, die viele Jugendliche attraktiv finden.

Lachgas-Flaschen werden in einem Kiosk in Hamburg-Wilhelmsburg angeboten.
Lachgas-Flaschen werden in einem Kiosk in Hamburg-Wilhelmsburg angeboten. © Vivien Valentiner | Vivien Valentiner

Beim Hamburger Versandhändler Otto ist der steigende Missbrauch von Sahnekapseln kein bekanntes Phänomen. „Wir können für die vergangenen Jahre keinen bedeutenden Anstieg im Verkauf der Kapseln feststellen“, sagte Unternehmenssprecher Frank Surholt auf Abendblatt-Anfrage. In den meisten Fällen würden Sahnekapseln zweckgemäß zusammen mit einem Sahnespender bestellt.

Suchtberater fordert Regeln für Verkauf von Lachgas

Auf den Flaschen seien außerdem Hinweise zu lesen, die zu einem bestimmungsgemäßen Gebrauch raten, so Surholt. Ob das ausreicht, ist nach Meinung des Mediziners Thomasius zweifelhaft. „Ich würde mich für eine stärkere Verkaufsbeobachtung von Lachgas aussprechen“, sagt er. Das Gas sollte nach Meinung des Arztes nicht in Tankstellen erhältlich sein. Zudem sollte es ähnlich wie Spirituosen in Glasschränken verwahrt und nur an Volljährige ausgegeben werden.

Auch Baumgärtner fordert Regeln, die den Zugriff auf das Lachgas erschweren. „Höhere Preise für Lachgas oder die Entkapsler wären sinnvoll.“ Es brauche außerdem eine stärkere Regulierung durch die Regierung: „Der Staat sollte darauf Einfluss nehmen, wie frei verkäuflich Lachgas ist, wer es kaufen kann – und zu welchen Zwecken.“ In anderen Ländern ist das schon die Regel: So ist der Besitz von Lachgas in Großbritannien seit dem 8. November 2023 mit wenigen Ausnahmen strafbar – und auch in den Niederlanden sind Verkauf und Besitz größtenteils untersagt.