Hamburg. Wenig Konsum, hohe Energiekosten. Handelsverband schlägt Alarm. Auch im Hafen ist die Skepsis groß. Prognosen für die Wirtschaft.

Zum Jahresauftakt lädt der Übersee-Club traditionell zu einem Treffen mit Spitzenvertretern der Hamburger Wirtschaft ins Hotel Atlantic ein. Acht namhafte Experten aus acht wichtigen Branchen sprechen dann in kurzen Referaten über ihre Erwartungen für das bevorstehende Jahr.

Nachdem die Veranstaltung 2022 wegen der Pandemie rein virtuell stattfinden musste, eröffnete Gastgeber Michael Behrendt, der Präsident des Übersee-Clubs, den Beitragsreigen am Donnerstagabend wieder im Großen Saal. Das Abendblatt fasst die Erwartungen der acht Redner für das laufende Jahr in kurzer Form zusammen.

Einzelhandel fürchtet Verlust von 1000 weiteren Läden in Hamburg

„Von den etwa 15.000 Geschäften in Hamburg haben wir in letzten drei Jahren gut 1000 verloren. Dies nicht nur durch die teils großen und bekannten Insolvenzen, sondern vielfach durch stille Geschäftsaufgaben oder kleinere Filialnetze“, sagt der Präsident des Handelsverbands Nord, Andreas Bartmann. „In den nächsten ein bis zwei Jahren werden wir wohl weitere mindestens 1000 Geschäfte verlieren.“

Der Handel sehe sich mit einem Einbruch der Verbraucherstimmung auf der einen Seite und mit gestiegenen und weiter steigenden Kosten auf der anderen Seite konfrontiert. Ein reales Umsatzwachstum und starke Preissteigerungen seien vielfach nur begrenzt im Markt zu realisieren. Bartmann: „Der Wettbewerb ist hart.“

Einzelhandel Hamburg: Kunden schauen vor allem auf Preise

„Im zurückliegenden Weihnachtsgeschäft haben die Verbraucher zwar fünf Prozent mehr ausgegeben als im Vorjahreszeitraum, dafür aber vier Prozent weniger in den Tüten gehabt. Sie konnten sich die Ausgaben leisten, weil sie während der pandemiebedingten Einschränkungen gespart hatten", so Bartmann weiter. Diese Ersparnisse seien jetzt aufgezehrt. „Noch im letzten Jahr habe ich an dieser Stelle berichten dürfen, dass die Verbraucher mehr Wert auf Regionalität und Nachhaltigkeit legen. Aktuell legen sie den größten Wert auf geringe Preise.“

Positiv bewertet Bartmann, dass Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) einen Bedeutungsverlust der Innenstadt verhindern will und den politischen Willen deutlich zum Ausdruck gebracht habe. Aber auch der Bürgermeister könne nicht die Marktkräfte aussetzen und die Mieten drücken oder über die Nutzung von Immobilien im Privateigentum entscheiden.

Außenwirtschaft: Corona-Rezession liegt hinter uns

„Trotz Krieg und Energiekrise ist das Bruttosozialprodukt, also unser aller Wohlstand, wohl um circa 1,9 Prozent gewachsen. Und das ist angesichts der Rahmenbedingungen ein gutes Ergebnis“, sagt der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbands AGA, Hans Fabian Kruse. „Die Corona-Rezession liegt hinter uns und für 2023 erwarte ich eine schwarze Null.“

Das Jahr werde besser als viele befürchten. Zugleich weist Kruse aber auch darauf hin, dass sich die Wirtschaft auf neue Herausforderungen einstellen müsse. „Viele Kosten werden in Zukunft auf einem höheren Niveau liegen.“ Die Wirtschaft müsse sich nicht nur an höhere Inflation, gestiegene Zinsen und sehr hohe Energiekosten anpassen. Auch die Transportpreise dürften auf hohem Niveau bleiben.

Hamburger Hafen: Bonz warnt vor einem Bedeutungsverlust

Der Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg, Gunther Bonz, warnt vor einer weiteren Verlust des Hamburger Hafens in seiner Bedeutung. Nachdem das Umschlagsvolumen schon 2022 mit 120 Millionen Tonnen geringer ausgefallen sei als prognostiziert, werde die Menge in diesem Jahr noch weiter zurückgehen, so Bonz. „Damit wird Hamburg in einem Jahr voraussichtlich nicht mehr unter den 20 größten Häfen der Welt sein und auch unsere Position als noch dritter größter Hafen in der EU ist massiv gefährdet – insbesondere durch aufstrebende Häfen im Mittelmeer wie zum Beispiel Piräus. Der Hafen, unser Tor zur Welt, droht in die 2. Liga abzusteigen“, so Bonz.

Gründe sind für ihn Änderungen bei den Handelsströmen, Wettbewerbsnachteile gegenüber Rotterdam und Antwerpen, aber auch politische Versäumnisse wie fehlende Investitionen in den Hafen, schleppende Genehmigungen und die Einschränkung der Elbvertiefung.

Energiepreise sind Hauptproblem der Hamburger Industrie

Matthias Boxberger blickt durchaus skeptisch auf die kommenden Monate. „Während gut ein Viertel der Firmen eine höhere Geschäftstätigkeit im Jahr 2023 erwartet, gehen fast 40 Prozent von einem Rückgang aus“, sagt der Vorstandsvorsitzende des Industrieverbands Hamburg (IVH). Das Hauptproblem der Industrie in der Hansestadt: Die stark gestiegenen Energiepreise. „Immer mehr Unternehmen reduzieren Wertschöpfung in Hamburg oder planen aufgrund der Kostenexplosion bei den Energiepreisen gar Verlagerungen an andere Standorte“, warnt Boxberger. „Der Kostenfaktor Energie schwächt längst nicht nur energieintensive Unternehmen, sondern hat spürbare Auswirkungen auf die gesamten Wertschöpfungsketten der Industrie.“ Seine Forderung an die Politik: Keine weiteren Erhöhungen von Steuern, Gebühren und Abgaben am Industriestandort Hamburg. Zudem benötigen die Firmen aus seiner Sicht „einen wettbewerbsfähigen Industriestrompreis“.

Für Handwerksbetriebe geht es ökonomisch aufwärts

Hjalmar Stemmann schätzt die Aussichten für die Handwerksbetriebe in der Stadt „recht positiv“ ein. Sinkende Energiepreise und stabiler werdende Lieferketten deuten nach Meinung des Handwerkskammer-Präsidenten darauf hin, dass es ökonomisch aufwärts gehe. Die 15.000 Betriebe mit ihren rund 105.000 Beschäftigten sind aus seiner Sicht „unverzichtbare Träger der Transformation“ – zum Beispiel wenn es um den Klimaschutz gehe. „Ohne leistungsfähiges Klimahandwerk gelingen die zügige Umrüstung auf erneuerbare Energien und E-Mobilität sowie zügig voranschreitende energetische Gebäudesanierungen nicht.“ Zu den Schwerpunkten der Kammerarbeit 2023 zählen für ihn: Mehr Jugendliche für das Handwerk zu begeistern. Weitere Flächen für Handwerke in der Stadt zu generieren. Und neue Fachkräfte gerade im Klima-Handwerk zu gewinnen.

Gruner & Jahr: "Rund 3000 Arbeitsplätze sind in Gefahr“

Klaus Ebert stellt seinen Ausführungen eine ernüchternde Zustandsanalyse der Branche voran. „Es geht uns gut! Diesen Satz werden Sie in dieser Zeit in Medienhäusern kaum hören“, sagt der Präsident des Hamburger Presseclubs. Und vor allem mit Blick auf die stark gestiegenen Papierpreise sowie das Leseverhalten der Mediennutzer, ist er davon überzeugt: „Der Schlüssel für die erfolgreiche digitale Konversion liegt in den Online-Angeboten. (…) Hochwertige Inhalte lassen sich schließlich auch online verkaufen. Darin liegt die Zukunft des Journalismus und damit der Verlage, wenn sie das als Chance erkennen, nicht als Bedrohung.“

Einen Seitenhieb gibt es von Ebert für Bertelsmann-Chef Thomas Rabe. „Acht Prozent Rendite… davon träumen viele. Bertelsmann nicht. Denen ist das zu wenig. Deshalb wollen die fast alles, was von Gruner & Jahr übriggeblieben ist, verkaufen“, so Ebert. „Gruner & Jahr gibt es nicht mehr, und es ist erstaunlich, dass Rabe eine Medienmarke so schnell und radikal ausradieren konnte. Rund 3000 Arbeitsplätze sind in Gefahr.“

Tourismus: Hamburg hat 2022 ein "fulminantes" Comeback gefeiert

Für Michael Otremba, Geschäftsführer der Hamburg Tourismus GmbH, ist vor allem die endgültige Überwindung der Pandemie wichtig: „Keine andere Metropole in Deutschland und nur ganz wenige Metropolen in Europa haben 2022 im Tourismus ein derart fulminantes Comeback gefeiert. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre lassen mich voller Zuversicht und Optimismus auf das Jahr blicken, denn Hamburg wird auch in diesem Jahr ein Sehnsuchtsort für Millionen Reisende sein.“ Nach seiner Ansicht werde der Tourismus auch in 15 Jahren noch Hamburgs Prosperität sichern und dabei sogar eine zentrale Rolle einnehmen. Schon jetzt sei die „positive Wahrnehmung Hamburgs als Sehnsuchtsort“ ein Garant für die wirtschaftliche Prosperität der Stadt.

Haspa-Vorstand wirbt für den Kauf von Aktien

Die Energieknappheit und die Inflation werden nach Ansicht von Harald Vogelsang, Vorstandssprecher der Hamburger Sparkasse, in diesem Jahr in ruhigeres Fahrwasser kommen. „Für das Gesamtjahr erwarten wir eine Inflation von sechs bis acht Prozent. Zum Jahresende hin vier bis fünf Prozent.“ Vor ein paar Monaten habe man befürchten müssen, dass die Konjunktur in eine Rezession münden könnte. Aktuell sehe es jedoch deutlich besser aus. „Die Chancen stehen jedenfalls nicht schlecht, dass wir lediglich mit einer Delle durch diesen Winter kommen.“

Gleiches gelte für den Aktienmarkt, für den Vogelsang ein deutliches Erholungspotenzial im Jahresverlauf sieht. „Die kräftigen Kursgewinne der ersten Handelstage machen jedenfalls Hoffnung. Die meisten Anlageklassen sind mit einem deutlichen Plus gestartet.“ Vogelsang warb erneut für den Kauf von Aktien. Aktien bleiben ein attraktives Engagement, weil sie von allen Anlageklassen à la longue am besten vor Inflation schützen.“ Auch für Gold sei der Start in das neue Jahr geglückt. Es gibt also viele gute Gründe, mit Optimismus auf 2023 zu schauen.