Hamburg. Der Gründer und langjährige Chef des Hamburger Familienunternehmens ist im Alter von 84 Jahren gestorben. Ein Nachruf.
Immer diese Perfektion. Wenn sich Günther Fielmann einst zurückzog, um am Design neuer Brillen zu feilen, wenn es um Millimeter und die perfekte Passform ging, dann kannte der bekannteste deutsche Optiker nicht wirklich Kompromisse. Wer seine Hingabe an Form und Funktion nicht teilte, wer zu Ungenauigkeiten neigte und die Detailverliebtheit des Chefs belächelte, passte nicht in das Weltbild des erfolgreichen Unternehmers. Brillen waren für Fielmann nicht nur ein Produkt, das ihm mit seinem Credo vom „Brillenchic zum Nulltarif“ eine Traumkarriere und ein Milliardenvermögen einbrachten. Sie waren sein Lebensinhalt.
Bereits vom Alter gezeichnet, auch erschöpft von den Anstrengungen eines eng getakteten Managerlebens, wie seine engsten Mitarbeiter anerkennend von seiner Disziplin berichten, arbeitete er noch im hohen Alter persönlich an der eigenen Fielmann-Kollektion, die den Großteil der verkauften Fassungen in seinen Filialen ausmacht. Ans Aufhören dachte der Macher ungern. 2017, mit 77 Jahren, hatte er seinen Vorstandsposten noch einmal um drei weitere Jahre verlängert. Getreu dem Motto: „Fielmann fährt seit 45 Jahren gut mit mir.“
Günther Fielmann ist gestorben: Er revolutionierte die Optikerbranche
Im April 2018 holte er sich Sohn Marc an die Seite – als Doppelspitze wollten sie die Geschicke der Optikerkette bestimmen. Ende 2019, kurz nach seinem 80. Geburtstag, muss der Senior einsehen, dass das Alter eine weitere operative Tätigkeit an der Spitze eines so großen Unternehmens nicht mehr zulässt. Günther Fielmann trat ab, still und leise. Und er zog sich zurück – ins gut abgeschirmte Privatleben auf seinem Gut Lütjensee in Schleswig-Holstein. In der Öffentlichkeit trat er nicht mehr auf. Er ließ Sohn Marc alleine machen, was dem Senior sicherlich anfangs nicht immer leicht gefallen sein dürfte: dem Macher, dem Selfmade-Milliardär.
Als Günther Fielmann am 21. September 1972 als 33-Jähriger sein erstes Optikergeschäft in Cuxhaven eröffnete, war das in der Branche eine Revolution. In einer Zeit, als Augenoptiker noch weiße Kittel trugen und ihre Brillengestelle in Schubladen unter Verschluss hielten, präsentierte er seine Brillen offen an der Wand und ließ die Kunden selbst entscheiden, was sie probieren wollten. Sein Laden war nicht nur moderner eingerichtet, es gab auch mehr Auswahl und niedrigere Preise als bei der Konkurrenz. Brillenreinigung und andere Serviceleistungen bot der findige Geschäftsmann kostenlos an, dazu noch Garantien auf seine Sehhilfen. Nicht alle fanden das damals gut. „Rächer der Bebrillten“ wurde Fielmann schnell genannt.
„Rächer der Bebrillten“ wurde Günther Fielmann auch genannt
Er bezeichnete es als „Demokratisierung der Brillenbranche“. Fielmann begnügte sich mit niedrigen Preisen und schaltete den Zwischenhandel aus. „Der Kunde bist du“, dieses Motto lässt das Unternehmen seine Mitarbeiter bis heute leben. 1981 verhandelte der Gründer mit den Krankenkassen über die kostenlose Kassenbrille, die er durch ein modernes, größeres Sortiment ersetzte. „Zuvor musste jeder Brillenträger den Nachweis seines geringen Einkommens auf der Nase tragen“, erinnerte sich Fielmann. Zufriedenheitsgarantie, Geld-zurück-Garantie – Günther Fielmann hatte viele Ideen. Bis heute gehört die Kundenorientierung zur DNA des Unternehmens.
1985 folgte der nächste Coup, der erste Fernsehspot: „Und mein Papi hat keinen Pfennig dazubezahlt ...“, sagte die kleine Julia und machte Fielmann mit einem Schlag bundesweit bekannt. Die Branche schäumte. Spätestens da war klar, dass Fielmann – ausgestattet mit Perfektionismus, Detailverliebtheit, Disziplin und einem ausgeprägten Machtbewusstsein – das Brillengeschäft umgekrempelt hatte.
Fielmann: Aus einer kleinen Filiale wurde ein Riesenkonzern
Aus dem kleinen Ladengeschäft in Cuxhaven wurde in 50 Jahren die Fielmann-Gruppe: Mit mehr als 1000 Niederlassungen ist sie Marktführer in Zentraleuropa mit 28 Millionen Kunden, 23.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 2,3 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. In Deutschland stammt jede zweite Brille von den Hamburgern, die auch Kontaktlinsen und Hörgeräte verkaufen. In nahezu jeder Stadt in Deutschland gibt es eine Niederlassung der Augenoptikerkette, in vielen auch mehr – aktuell sind es im Stammland der Kette mehr als 600, davon in Hamburg mehr als 20.
Bei seinem Start als Vorstandschef 2019 hatte Marc Fielmann, damals 30 Jahre alt, mit der Vision 2025 die Ziele des börsenorientierten Familienunternehmens festgelegt und treibt seitdem die entscheidenden Parameter internationale Expansion und die Digitalisierung voran. Längst lenkt er die Geschicke des Konzerns in zweiter Generation unangefochten und mit Erfolg. Er hat die Firma in den vergangenen Jahren durch die Corona-Pandemie und Herausforderungen wie die Folgen des Ukraine-Krieges oder die Konsumflaute als Folge der Inflation gesteuert. Zuletzt sorgte der Eintritt von Fielmann auf den US-Markt für Schlagzeilen.
Vater und Sohn waren schon lange ein Team
Schon vor der Übergabe des Staffelstabs waren Vater und Sohn immer öfter als Team für das Unternehmen aufgetreten. Der Patriarch kletterte dabei schon mal vor Fotografen lachend auf eine Getränkekiste, um den Größenunterschied zu seinem groß gewachsenen Sohn auszugleichen, dann lobte er mit einem Strahlen in den Augen die Fähigkeiten seines Filius und sagte über die gemeinsame Arbeit: „Wir haben uns eigentlich nie gestritten.“
Aus der Liebe zu seinen Kindern Marc und Sophie, die aus der Ehe mit seiner inzwischen geschiedenen Frau Heike stammen, machte Günther Fielmann nie einen Hehl: „Mit meinen Kindern habe ich großes Glück.“
So erfüllend Fielmann seine Familie auch empfand: Die Lücke, die der Gründer als genialer Kaufmann nach seinem Rücktritt hinterließ, als Erfinder der Brille zum Nulltarif, die ihm Titel wie „König der Kassenbrille“ einbrachte, konnte anfangs größer kaum sein. „Du machst das schon“, hatte der Firmenchef seinen Sohn auch früher einmal ermuntert. Damals war Marc sieben Jahre alt und sollte den Steuerknüppel eines Kettenfahrzeugs übernehmen, bei einer der zahlreichen Baumpflanzaktionen seines Vaters. Ein Satz wie eine Prophezeiung.
Kundenservice stand für Günther Fielmann im Fokus
Heute nennt der Aufsichtsratsvorsitzende der Fielmann Group, Professor Mark Binz, es „das Paradebeispiel für eine gelungene Nachfolgeregelung“ in einem Familienunternehmen. „Professor Fielmann war ein Jahrhundertunternehmer und Visionär. Mit strategischem Weitblick, einem klaren Fokus auf die Wünsche der Kunden und einem vorbildlichen Engagement für das Gemeinwohl hat er die deutsche Wirtschaft weit über die Grenzen der Augenoptik und Hörakustik hinaus geprägt.“
„Mein Vater hat immer wieder kundenfreundliche Leistungen eingeführt, die es zuvor nicht gab. Er hat die gesamte Branche im Dienste der Kunden revolutioniert“, lässt sich der heutige Firmenchef Marc Fielmann nach dem Tod seines Vaters zitieren. „Sein Lebenswerk erfüllt uns mit Respekt und ist für uns Ansporn, allen Menschen zu helfen, die Schönheit der Welt zu hören und zu sehen. Während wir unser Familienunternehmen in die Zukunft führen, bewahren wir die kundenfreundliche Philosophie, die Werte und das Menschenbild, die uns groß gemacht haben.“
Im Herzen war Günther Fielmann immer Landwirt
Fielmann pflanzte seit 1986 jedes Jahr für jeden Mitarbeiter einen Baum, die Millionenmarke ist dabei längst überschritten. Der sonst öffentlichkeitsscheue Manager begrüßte bei einem dieser Termine auch schon mal die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Dabei waren die Aktionen keineswegs nur ein PR-Gag. Der Sohn eines Schulleiters, den er rückblickend als „preußischen Beamten mit Lust an der Pflicht“ schilderte, und einer Mutter, die der Familie als Hausfrau den Rücken frei hielt, war immer ein großer Freund der Natur.
„Das Leben auf dem Land hat mich geprägt“, sagte er einmal in einem Gespräch. „Schon als Kind träumte ich von einem eigenen Bauernhof.“ Auch wenn er dann „aus Gründen der Vernunft“ die Optikerlehre begann, in seinem Herzen war er immer Landwirt. Auf seinem Gut, wo er sich von der Arbeit in der Verwaltung der Firma in Barmbek zurückzog, züchtete er seltene Tierrassen und betätigte sich als Biobauer.
Er züchtete Tiere, liebte die Natur
Auf Fotos mit einem Kärtner Brillenschaf über den Schultern, mit der Hacke in der Hand, sieht Fielmann glücklich aus. „Wenn man die Schafe mal beobachtet, ähneln sie einem Menschen sehr, sie haben einen Leitbock, und dem laufen sie hinterher“, verglich er die Natur mit der Welt der Wirtschaft. Auch der Pferdezucht widmete sich der Norddeutsche auf seinem Gut Schierensee. „Erst mal soll es ihnen gut gehen, sie sollen gesund und zufrieden sein, aber ich habe natürlich auch den Ehrgeiz, dass ich schöne und leistungsstarke Tiere züchte“, sagte er über seine Warmblüter.
Er handelte aus, wie er selbst immer wieder betonte, einer Verantwortung gegenüber der Natur, wollte etwas zurückgeben von seinen Erfolgen. Für seinen unternehmerischen Mut und sein soziales und gesellschaftliches Engagement erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter im Jahr 2016 das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Er ist Ehrenbürger des Bundeslandes Schleswig-Holstein. Bereits 2002 wurde Günther Fielmann zum Professor des Landes Schleswig-Holstein ernannt, 2004 erhielt er die Ehren-Doktorwürde der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
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Die Familie Fielmann, vertreten durch Sophie und Marc Fielmann, errichtet in dieser Woche die gemeinnützige Fielmann Förderstiftung. Die Stiftung führt das jahrzehntelange gesellschaftliche Engagement in die Zukunft. Sie unterstützt weiterhin Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur, Denkmalschutz und Denkmalpflege sowie den Naturschutz und die Landschaftspflege, vornehmlich in Norddeutschland.
Marc Fielmann muss fortan an der Spitze der riesigen Optikerkette ohne die Ratschläge seines Vaters auskommen. Günther Fielmann ist am 3. Januar im Alter von 84 Jahren friedlich im Kreise seiner Familie in seinem Wohnort Lütjensee gestorben.