Hamburg. Roland Harings steht unter Druck wegen des groß angelegten Diebstahls. Im Abendblatt spricht er über seine Gefühlslage und neue Details.
Beim Hamburger Kupferkonzern Aurubis hat es über den bereits bekannten Diebstahl eines wertvollen Zwischenprodukts mit hohem Silber- und Goldgehalt und dem Betrugsfall mit Recyclingschrott hinaus offenbar weitere kriminelle Taten gegeben, die dem Unternehmen einen hohen finanziellen Schaden zugefügt haben. Das wurde während der Bilanzpressekonferenz am Mittwoch bekannt.
Insgesamt fehlen dem Unternehmen Edelmetalle im Wert von 169 Millionen Euro. Ursprünglich war sogar von 185 Millionen Euro die Rede gewesen.
Aurubis-Chef: „Habe keine offensichtlichen Fehler begangen“
Doch nur ein Teil der Schadenssumme ist durch den Betrug beim Kauf von edelmetallhaltigem Recyclingschrott entstanden. Dabei gehe es um alte Abgaskatalysatoren von Autos, sagte Konzernchef Roland Harings. Der Konzern kaufte große Mengen davon ein, um das in den Katalysatoren vorhandene Edelmetall zu gewinnen. Tatsächlich aber enthielt das Recyclingmaterial deutlich weniger wertvollen Rohstoff als die bei Aurubis genommenen Proben versprachen.
„Die Proben sind im Unternehmen manipuliert worden. Es gab Innentäter“, sagte der Vorstandschef. „Inzwischen gibt es klare Erkenntnisse, um welche Personen es sich handelt. Es wird personelle Konsequenzen geben“, betonte Harings während der Bilanzvorstellung. Dem Abendblatt sagte er danach: „Die Abteilung, in der die Manipulation vorgenommen wurde, hat etwa 100 Beschäftigte. Nur sehr wenige davon waren tatsächlich beteiligt.“
Den Schaden durch den Betrug beim Kauf der Altkatalysatoren beziffert das Unternehmen auf einen „hohen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag“. Im Geschäftsbericht heißt es, es gebe zudem „eine weitere nicht voll umfänglich nachvollziehbare Fehlmenge an Edelmetallen in Höhe eines niedrigen dreistelligen Millionen-Euro-Betrags“.
Millionenklau: Ein Fall, über den bislang nicht gesprochen wurde
Dem Abendblatt sagte Harings dazu, ermittelt werde derzeit auch in einem weiteren Fall von Diebstahl edelmetallhaltiger Zwischenprodukte vom Werksgelände auf der Veddel. Wegen der laufenden Ermittlungen könne er dazu keine weiteren Details nennen, so der Konzernchef. Doch gingen die Täter in dem zweiten, bislang nicht bekannten Diebstahlsfall offenbar ähnlich vor wie eine Bande, die im Juni dieses Jahres aufgeflogen war.
Die Bande, zu der mindestens ein Mitarbeiter von Aurubis gehört haben soll, hatte nach den Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft bereits 2020 und 2021 insgesamt mindestens fünf Tonnen sogenannte Silberfegsel im Wert von elf Millionen Euro vom Werksgelände abtransportiert. Das Zwischenprodukt in der Edelmetallproduktion enthält hohe Anteile von Silber und Gold, ein Teil der Beute soll zur Weiterverarbeitung an ein Metallunternehmen in Istanbul verkauft worden sein. Vor Kurzem begann vor dem Landgericht Hamburg ein Prozess gegen sechs Männer, die nach Überzeugung der Ermittler an dem Diebstahl und dem Verkauf der Beute beteiligt waren.
Aurubis-Aufsichtsrat erwägt Entlassung von Vorständen
Wegen der hohen Gewinneinbußen für Aurubis durch die Kriminalfälle müssen inzwischen auch Vorstandschef Harings und weitere Vorstandsmitglieder personelle Konsequenzen fürchten und um ihren Job bangen. Der Aurubis-Aufsichtsrat lässt seit geraumer Zeit eine Anwaltskanzlei untersuchen, ob dem Topmanagement des börsennotierten Unternehmens Versäumnisse oder Fehlverhalten vorgeworfen werden können.
Am Dienstag hatte der Aufsichtsrat mitgeteilt: „Der Aufsichtsrat kann derzeit weder ausschließen, dass die amtierenden Vorstandsmitglieder unverändert ihr Amt fortführen, noch kann er ausschließen, dass es zu einer vorzeitigen Trennung von einzelnen oder mehreren Vorstandsmitgliedern kommt bzw. der Vorstand umstrukturiert wird.“ Das Gutachten der Kanzlei soll im Januar vorliegen. Der Aufsichtsrat kündigte an, Ende Januar oder Mitte Februar eine Entscheidung über die Zukunft der Vorstandsmitglieder zu treffen.
Millionenklau bei Aurubis: Gibt es ein Verschulden des Vorstands?
Dazu sagte Harings: „Es ist absolut richtig und notwendig, dass untersucht wird, ob es ein Verschulden des Vorstands gibt und ob er womöglich gegen Sorgfaltspflichten verstoßen hat. Ich hoffe, das Ergebnis wird sein, dass das nicht der Fall war.“
Gegenüber dem Abendblatt sagte er: „Viele Dinge sind im Unternehmen nicht gut gelaufen und sicher habe ich eine Art politische Verantwortung dafür. Aber ich bin überzeugt, dass ich in den viereinhalb Jahren bei Aurubis keine offensichtlichen Fehler begangen habe. Deshalb sehe ich dem Ergebnis der Untersuchung mit einer gewissen Gelassenheit entgegen.“ Es sei keine einfache Zeit für das Unternehmen und den Vorstand bis zur finalen Entscheidung des Aufsichtsrats, „aber wir gehen damit professionell um“.
Aurubis baut neue Edelmetallhütte im Werk Hamburg
Seit Bekanntwerden der Taten seien die Sicherheitsmaßnahmen im Werk ausgeweitet worden, weitere Schritte sollen folgen, kündigten Harings und Produktionsvorstand Heiko Arnold an. Unter anderem will Aurubis in Hamburg 300 Millionen Euro in den Bau einer neuen Edelmetallhütte mit sehr hohen Sicherheitsstandards investieren. Zudem seien zahlreiche Maßnahmen ergriffen worden, um die Arbeitssicherheit zu verbessern. In diesem Jahr hatte es im Hamburger Werk mehrere schwere Arbeitsunfälle gegeben, dabei kamen drei Menschen ums Leben.
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Die hohen Verluste durch Betrug und Diebstahl führten dazu, dass der operative Vorsteuergewinn des Unternehmens im Ende September zu Ende gegangenen Geschäftsjahr 2022/23 um etwa ein Drittel von gut 530 auf knapp 350 Millionen Euro sank. Die Dividende soll deshalb von 1,80 Euro auf 1,40 Euro reduziert werden. Harings betonte: „Mit dem finanziellen Ergebnis im vergangenen Geschäftsjahr können wir zufrieden sein – es ist immer noch das drittbeste Ergebnis unserer Unternehmensgeschichte.“