Hamburg. Hamburger Konzern ist Opfer von Kriminellen. Roland Harings sagt, wie sie wohl vorgingen. Und wen er hinter den Taten vermutet.
Die Hamburger Kupferhütte Aurubis kommt aus den Negativschlagzeilen nicht heraus. Binnen weniger Wochen gab es auf dem Werksgelände auf der Peute zwei schwere Arbeitsunfälle. Beim ersten starben drei Beschäftigte, beim zweiten wurde ein Arbeiter schwer verletzt. Im Juni wurde bekannt, dass das Unternehmen in großem Stil bestohlen worden war – um Metallprodukte im Wert von etwa 20 Millionen Euro.
Weitaus größer ist absehbar der finanzielle Schaden für das börsennotierte Unternehmen beim jüngsten bekanntgewordenen Fall. Er könnte bei mehr als 100 Millionen Euro liegen. Aurubis musste seine Gewinnprognose nach unten korrigieren.
Millionen-Betrug bei Aurubis: Konzernchef hat bösen Verdacht
Im ersten Interview seit Bekanntwerden des großangelegten Betrugs, erklärt Vorstandschef Roland Harings, warum die Taten lange unentdeckt bleiben konnten. Und er sagt, warum er vermutet, dass auch Aurubis-Beschäftigte in den Fall verwickelt sind.
Hamburger Abendblatt: Herr Harings, bei Aurubis gab es in diesem Jahr zwei schwere Arbeitsunfälle mit drei Toten, zudem wurden zwei Fälle von Kriminalität jeweils mit hohem Millionenschaden bekannt. Hat das Unternehmen ein Sicherheitsproblem?
Roland Harings: Man kann festhalten: Es gab Vorkommnisse, die sich in einer Massivität ereignet haben, die es in der Geschichte des Unternehmens so noch nicht gegeben hat. Mit Blick auf das Thema Sicherheit. Wir haben sehr hohe Sicherheitsstandards und stehen anderen Unternehmen in nichts nach, sondern sind in einigen Bereichen vermutlich sogar führend in diesem Bereich in der Branche. Aurubis ist jedoch ein Unternehmen, das sehr viel Edelmetalle aus dem Einsatzmaterial gewinnt. Von daher sind wir nun wohl offensichtlich das erste Ziel für eine neue Form von Kriminalität geworden, die so in der Vergangenheit nicht bekannt war. Früher war der Diebstahl von reinen Edelmetallen wie Gold und Silber das Ziel. Das kann heute mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aufgrund der hohen Sicherheitsstandards nicht mehr passieren. Die neue Qualität ist, dass Kriminelle jetzt auch im Bereich der metallurgischen Weiterverarbeitung tätig werden. Das ist organisierte Kriminalität, das sind keine einfachen Kriminellen.
Was genau ist da im aktuellen Fall im Hamburger Werk geschehen?
Aurubis verarbeitet etwa eine Million Tonnen Recycling-Schrott pro Jahr. Wenn ein Lkw hier vorfährt, werden Proben entnommen und in unserem Labor analysiert, wie viel Wertstoffe das Material enthält. Auf dieser Basis werden die Lieferanten bezahlt …...
…. entnehmen Aurubis-Beschäftigte die Probe, oder übergibt der Lieferant sie?
Beides geschieht, teils tauschen wir auch unsere Proben mit den Lieferanten aus und umgekehrt. Der Wert einer Lieferung wird mit einer repräsentativen Probe ermittelt. Wir haben die Vermutung, dass in diesem Prozess der Beprobung und der Bearbeitung der Proben hier im Haus Manipulationen stattgefunden haben, so dass der Wert von Lieferungen höher angesetzt wurde als er tatsächlich war.
Das heißt also, dass Aurubis Recycling-Schrott untergeschoben wurde, der erheblich weniger wertvolle Edelmetalle enthielt, als die Proben versprachen?
Und diese nicht vorhandenen Metalle haben wir dann tatsächlich auch bezahlt. Das ist die derzeitige Vermutung, Der wird jetzt mit der intensiven Inventur, die hier zurzeit läuft, nachgegangen. Am Ende werden wir sehen, welche und wie viele Wertstoffe nicht vorhanden sind, die es laut Soll-Bestand im System geben müsste,
Sind solche Manipulationen bei den Materialproben ohne Beteiligung oder mindestens Mitwisserschaft von Aurubis-Beschäftigten denkbar?
Wir müssen davon ausgehen, dass auch Binnentäter beteiligt waren, dass also mindestens eine große Kenntnis unserer internen Abläufe vorhanden war. Aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit hat es eine aktive Mittäterschaft von Aurubis-Beschäftigten bei der Manipulation von Proben gegeben. Das herauszufinden ist Teil der Ermittlungen zusammen mit dem Landeskriminalamt.
Über einen wie langen Zeitraum wurde so vorgegangen?
Auch das ist Teil der Ermittlungen. Wir beziehen Recycling-Material von hunderten Zulieferern. Die einzelnen Chargen werden zumeist gemeinsam in metallurgischen Prozessen verarbeitet. Im Nachhinein ist daher nur sehr schwer identifizierbar, wo genau es welche Abweichungen gegeben hat.
Bei einem Schaden von mehr als 100 Millionen Euro für das Unternehmen müssten in den Metalllagern mindestens 1,7 Tonnen Gold fehlen oder die doppelte Menge Platin. Warum ist das offenbar erst mit großer zeitlicher Verzögerung aufgefallen?
Bei uns laufen verschiedenste metallurgische Prozesse ab und es kann mehrere Wochen dauern, bis am Ende der Produktion das reine Edelmetall vorliegt. Wir müssen es so interpretieren, dass die Täter dieses System sehr genau kannten und genau wussten, wie sie ihr Vorgehen lange verschleiern können. Bei der großen Tonnage an Materialien, die wir hier in Hamburg täglich verarbeiten, und der Vielzahl von Stoffströmen erhalten wir die exakten Bestände immer erst zu turnusmäßigen Inventuren. Das ist nicht nur bei Aurubis so, dass in der gesamten Branche so.
Hat das Unternehmen personelle Konsequenzen gezogen, sind Aurubis-Beschäftigte freigestellt worden?
Im aktuellen Fall hat es bislang keine personellen Konsequenzen gegeben. Aber klar ist: Jemand, der gegen unsere Werte im Unternehmen und gegen Gesetze verstoßen hat, wird mit allen personellen und strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen haben.
Hat das Unternehmen die Geschäftsbeziehungen mit Recyclingschrott-Lieferanten beendet oder auf Eis gelegt?
Wir haben in dem Bereich, von dem wir vermuten, dass Lieferungen manipuliert oder nicht korrekt waren, diese Lieferungen umgehend eingestellt. Aber wir haben bislang keine Geschäftsbeziehungen generell abgebrochen. Wir müssen erst ganz genau verstehen, was in der gesamten Lieferkette passiert ist und wer derjenige ist, der uns geschadet hat.
Wie bewerten Sie angesichts der Ereignisse die internen Sicherheitsvorkehrungen des Unternehmens gegen Betrug dieser Art?
Wir haben einen branchenüblich hohen Standard. Aber er muss eben wegen dieser neuen Qualität der kriminellen Aktivitäten sicherlich überarbeitet werden. Wir müssen bestimmte Systeme und Prozesse noch sicherer machen und wir müssen wachsamer sein. Wenn irgendetwas Ungewöhnliches beobachtet wird, muss das noch ernster genommen werden.
Wie groß ist die Verantwortung des Vorstands? Machen Sie sich Vorwürfe?
Für mich liegt jetzt der Fokus auf der lückenlosen Aufklärung der Vorfälle und dass wir unsere Prozesse absolut sicher aufstellen. Darüber hinaus denken wir im Vorstand und auf allen Managementebenen darüber nach, wie wir uns robuster und resilienter gegen professionelle Kriminalität aufstellen können.
Wie haben der Aufsichtsrat und der größte Anteilseigner, die Salzgitter AG, auf den Fall reagiert?
Wie wir alle. Wir sind alle schockiert. Und die Gespräche drehen sich darum, was müssen wir anders machen, was müssen wir künftig besser machen? Das betrifft natürlich auch das Thema Arbeitssicherheit.
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Die Aktionäre haben zeitweise herbe Kursverluste hinnehmen müssen, die Dividende dürfte geringer ausfallen. Gehen Sie davon aus, dass Sie bis zum Ende der Laufzeit Ihres Vertrags im Juni 2027 Aurubis-CEO bleiben werden?
Ich bin jetzt vier Jahre im Unternehmen und wenn ich darauf zurückblicke, welche wichtigen Weichenstellungen in dieser Zeit vorgenommen wurden, welche erfolgreiche Entwicklung das Unternehmen genommen hat, dass Aurubis jetzt über eine klare Wachstumsstrategie verfügt – dann denke ich, dass ich Positives für die Firma geleistet habe. Zusammen mit einem engagierten Team. Natürlich sind die aktuelle Vorfälle ein herber Schlag für uns. Wir werden das lückenlos aufklären und wir werden die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Und wir müssen natürlich auch nach vorne schauen. Es gibt viele wichtige Themen, die es zu bearbeiten gibt. Trotz aller Herausforderungen – mir macht es unheimlich viel Freude, dieses Unternehmen zu leiten.