Hamburg. Gebrauchte Pullover, Hosen und Jacken sind raus aus der Nische. Unternehmerin Diana Urlu hat einen Laden im Mercado eröffnet.
„Flohmarktwoche“ steht auf einer Tafel am Eingang. Drinnen hängen Hosen, Jacken, Pullover, Blusen, es gibt auch Schuhe, Taschen, Krawatten und Sonnenbrillen – mehrere Hundert Teile in allen Farben, unterschiedlichen Materialien, vielen Größen. Alles für 4,50 Euro das Stück. Am Tag darauf sind es nur noch 4 Euro. Ziemlich ungewöhnlich für ein Geschäft in einem Hamburger Einkaufszentrum. Und auch für einen Secondhandladen. Denn neu ist hier nichts.
„Was tragbar ist, bringen wir unter die Leute“, sagt Diana Urlu. Vor einigen Wochen hat sie den 2nd-Fit-Shop im Mercado in Ottensen eröffnet. Jetzt steht die zierliche Frau am Kassentresen ihres Secondhandhandels. Es ist Dienstag, kurz nach Ladenöffnung. Die ersten Kunden sind schon da. Eine ältere Kundin hat eine blaue Steppjacke gefunden und zeigt sie ihrem Ehemann. Zwei junge Frauen verschwinden mit einem ganzen Berg Klamotten in den Umkleidekabinen. „Soweit wir wissen, sind wir die Ersten, die mit so einem Konzept in ein Shoppingcenter gegangen sind“, so die Gründerin. Schon seit dem vergangenen Jahr betreibt das Familienunternehmen aus Kiel einen Laden am Schulterblatt.
Einzelhandel Hamburg: Erster Secondhandladen im Einkaufszentrum Mercado
Nicht nur der Ort, auch das Geschäftsmodell ist ungewöhnlich. Das Sortiment in den 2nd-Fit-Shops wird in einem Dreiwochentakt komplett ausgetauscht. Immer freitags. Feste Preise gibt es nicht. Wenn die neue Ware kommt, startet der Verkauf mit 42 Euro pro Kilo. Danach sinken die Kilo- und später die Stückpreise täglich. Nach drei Wochen endet der Turnus. Am letzten Tag zahlt jeder, was er will.
„Wir unterscheiden nicht zwischen Marken und Herstellern der Kleidung“, erklärt Diana Urlu. Da geht ein maßgeschneidertes Designerhemd schon mal für 11 Euro über den Ladentisch, eine Markenjeans für 17 Euro – oder für 4 Euro, wenn sie noch da ist. Auf Kinderkleidung gibt es immer 50 Prozent Rabatt. „Uns geht es um faires und erschwingliches Secondhandshopping, sagt die Gründerin.“
Im Geschäft mit gebrauchter Kleidung herrscht Goldgräberstimmung
Das ist ihr wichtig, denn das Geschäft mit abgelegten Kleidern ist längst aus dem Nischendasein raus. Das Image von Mottenkugeln, Kellermuff & Co. war früher. Das Modebewusstsein wandelt sich, auch das Konsumbewusstsein. Getragenes zu tragen ist nicht nur nachhaltiger, sondern meist auch günstiger. Es gilt gerade jungen Leute als Ausweis guten Geschmacks jenseits des Mainstreams. Damit steigen die Preise, vor allem für sogenannte Vintage-Mode im angesagten Retrolook. Man könnte sagen, es herrsche Goldgräberstimmung.
Gekauft wird nicht mehr nur im Secondhandladen um die Ecke, auf dem Flohmarkt, im Charity-Shop oder bei Zweite-Hand-Plattformen wie Kleinanzeigen, Vinted oder Momox. Auch große Modehändler wie About You, Zalando, H&M und C&A setzen auf den Handel mit Gebrauchtem. Dazu kommen Portale wie Rebelle oder Vestiare Collective, die getragene Designermode erfolgreich vermarkten.
Secondhand-Modemarkt wächst bis 2025 auf sechs Milliarden Euro
Dass der Markt massiv in Bewegung ist, zeigt eine aktuelle Studie der Beratungsgesellschaft PwC . Danach lag das Volumen des Secondhand-Modemarkts in Deutschland im vergangenen Jahr bei 3,5 Milliarden Euro und könnte bis 2025 auf sechs Milliarden Euro steigen. Nach einer Einschätzung des Handelsverbands Deutschland wächst das Gebrauchtwarensegment stärker als der Einzelhandel insgesamt. Das passt zu der PwC-Erhebung. 56 Prozent der Befragten hatten angegeben, bereits gebrauchte Erwachsenenmode gekauft zu haben. Weitere 14 Prozent ziehen es in Betracht.
Die Entwicklung hat auch mit der Kritik an der globalen Modeindustrie zu tun. Greenpeace nennt es „einen Konsumkollaps durch Fastfashion“. In den vergangenen sechs Jahren habe sich die Zahl der jährlich produzierten Kleidungsstücke auf 200 Milliarden mehr als verdoppelt, so die Umweltschützer. Manche Hersteller bedienen den Markt mit mehr als 20 Kollektionen pro Jahr. Verschiedenen Studien zufolge verursacht die Branche weltweit mehr CO2-Emissionen als die gesamte internationale Luftfahrt und die Seeschifffahrt zusammen. Dazu kommen verdreckte Gewässer, Müllberge und teilweise miserable Arbeitsbedingungen.
Getragene Kleidung wird global gehandelt
Auf der anderen Seite kaufen die Deutschen im Schnitt 60 Kleidungsstücke im Jahr, tragen sie aber nur noch halb so lang wie vor 15 Jahren. Vieles landet auf dem Müll. Ein Ausweg ist, den nicht mehr geliebten Teilen „eine zweite Chance“ zu geben – also selbst weiterzuverkaufen (bringt Geld, macht aber Mühe) oder zu spenden (dann kümmert sich jemand anderes). Es geht um gigantische Mengen – und zwar weltweit. Inzwischen wird auch Secondhandkleidung längst global gehandelt.
Genau da setzt Diana Urlu mit ihrer Geschäftsidee an. „Wir wollen einen lokalen Kreislauf aufbauen“, sagt die 43-Jährige, die als Kind mit ihren Eltern aus Polen nach Kiel gekommen war. Das Geschäft mit Altkleidern hat in ihrer Familie Tradition. Ihr Großonkel hat vor mehr als 30 Jahren angefangen in New York mit Secondhandmode zu handeln, auch ihr Vater war in dem Bereich tätig. Gemeinsam mit Ehemann Sabahattin gründete Diana Urlu mitten in der Corona-Pandemie 2021 einen Online-Secondhandhandel, auch ihre beiden älteren Kinder Janina und Elias mischen neben ihrem Studium in dem Familienbetrieb mit.
2ndFit arbeitet mit dem Start-up Recyclehero zusammen
Im vergangenen April eröffneten sie den stationären 2ndFit-Laden im Schanzenviertel. „Anfangs haben wir die Waren aus Skandinavien importiert“, sagt Diana Urlu. Inzwischen arbeitetet sie mit dem Hamburger Start-up Recyclinghero zusammen, das seit 2022 neben Altpapier und Altglas mit den markanten Lastenrädern auch kostenfrei Altkleider auf Bestellung zu Hause oder in der Firma abholt und in die Weiterverwertung gibt. „Das Angebot wird sehr gut angenommen“, sagt Gründerin Nadine Herbrich. Nach eigenen Angaben sammelt Recyclehero im Monat knapp vier Tonnen gebrauchte Kleidung ein. Durch die Kooperation mit dem Partner 2ndFit sei eine wirtschaftlich tragbare und vor allem regionale Umsetzung für das Projekt gefunden worden, so Herbrich.
Denn der Großteil der Secondhandkleidung, die Recyclehero in Hamburg einsammelt, geht in den Verkauf bei 2nd Fit. „Wir übernehmen 1,5 bis 1,8 Tonnen alle drei Wochen“, sagt Diana Urlu. Dazu kommen Kleiderspenden, die sie selbst einsammeln, sowie einige Kontingente aus Skandinavien. Die Altkleider werden in einem Lager in Neumünster sortiert, auf Qualität geprüft und gehen dann in die Läden. Einzelteile werden auch kreativ upgecycelt. Dabei bleibt der gesamte Prozess in Familienhand.
Lesen Sie auch:
- Edeka Hamburg ohne Kassen, aber mit großem Sortiment – was geplant ist
- Barmbek: Hamburger Traditionsfirma Scharbau schließt nach 145 Jahren
- Hallhuber insolvent: Modekette schließt Filialen in Hamburg – auch in der Europa Passage
„Das Ziel ist es, dass am Ende der dritten Woche bei uns in den Läden alle Bügel leer sind.“ Das klappt nicht ganz. Aber das Geschäft läuft. „Wir schreiben keine roten Zahlen mehr“, sagt die Secondhandunternehmerin, die inzwischen vier Angestellte beschäftigt. Was übrig ist, spendet 2nd Fit unter anderem an die Hilfsorganisation Hanseatic Help. „Immer mit dem Ziel, dass die gut erhaltene Kleidung möglichst lange dem Kreislauf erhalten bleibt.“
Dazu gehört auch, dass die Urlus neue Vertriebskanäle suchen. Als sie vor einigen Wochen hörten, dass im Mercado ein neuer Mieter für den früheren Lewis-Shop gesucht wird, haben sie sich mit ihrem Konzept vorgestellt. „Das Centermanagement war angetan, aber es gab dann noch ein paar Hürden“, sagt Sabahattin Urlu. Unter anderem hätten sie versichern müssen, dass sie bestimmte Marken nicht führen, um anderen Mietern nicht in die Quere zu kommen. „Das konnten wir nicht, weil wir ja gar nicht wissen, welche Waren wir bekommen.“ Schließlich wurde die Reglung ausgesetzt. Seit Ende August ist der Laden offen.
Secondhandladen will expandieren: Es ist ein langfristiger Trend
„Das Geschäft ist schwieriger als am Schulterblatt, wo es schon andere Secondhandläden gibt und nicht nur Hamburger, sondern als Touristen zum Shoppen unterwegs sind“, sagt Diana Urlu. Aber so langsam spreche sich das neue Konzept herum. Nicht nur junge, auch ältere Kunden kämen immer wieder. „Secondhand ist ein langfristiger Trend“, sagt die Unternehmerin. „Das Bewusstsein in der Gesellschaft ändert sich.“ Die Urlus planen deshalb schon weitere Läden in anderen Städten.