Hamburg. Er hat ein Handelsimperium aufgebaut. Ständige Neugier, Offenheit für technologischen Fortschritt und Liebe zur Natur treiben ihn an.
Sein erstes Geld verdiente Michael Otto mit dem Verkauf von Lederresten. Ein Abfallprodukt in der Schuhfabrik seines Vaters. Fünf Jahre war er damals jung, 1948, in der Nachkriegszeit in Hamburg. Der kleine Michael wühlte in den Restekörben der Fabrik, suchte sich die besten und größten Stücke heraus und ging mit diesen zu den Schuhmachern in der Umgebung. „50 Pfennig habe ich verlangt – und auch bekommen“, erinnert er sich. Wenn ein Schuhmacher den Betrag nicht zahlen wollte? Dann ging er ein paar Straßen weiter, bot dort seine Schätze an. Andere Jungs in seinem Alter spielten lieber mit Murmeln oder Verstecken. Michael ging früh seinen eigenen Weg, zeigte sein Talent als Händler, als Unternehmer.
Eine Gabe, die ihm in die Wiege gelegt wurde. Sein Opa hatte einen Großhandel für Lebensmittel, der Vater, Werner Otto, war zunächst Schuhhändler in Kulm, das heute Chelmno heißt und in Polen liegt. 1945 musste die Familie von Kulm nach Norddeutschland fliehen. Michael war gerade zwei Jahre jung. Zusammen mit Mutter und Schwester ging es mit Fähre, Zug und Pferdewagen Richtung Westen, der Vater wurde im Krieg schwer verwundet, lag im Lazarett.
Hamburger Gründerpreis: Michael Otto – Grüner Vordenker, großer Unternehmer
Die Mutter musste sich mit den Kindern alleine durchschlagen, hatte noch das Geld von der Bank geholt. Es sollte später das Startkapital für das Unternehmen ihres Mannes werden. Die Flucht war dramatisch, wurde zu einem einschneidenden Erlebnis für die Familie. „Wir kamen in die großen Flüchtlingsströme und wurden auch von Tieffliegern beschossen, sodass sich meine Mutter mit uns in Gräben verstecken musste. Gott sei Dank haben wir überlebt“, erinnert sich Michael Otto.
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In Norddeutschland traf sich die Familie wieder. In Hamburg wurde eine Zweizimmerwohnung, ohne Bad ihr Zuhause. „Gewaschen haben wir uns in einer Schüssel. Zum Plumpsklo mussten wir über den Hof gehen“, erinnert sich Michael Otto. Der Vater versuchte zunächst sein Glück als Schuhfabrikant, später sattelte er auf den Handel mit Schuhen um. Werner Otto entwarf in Hamburg erste selbst geklebte Kataloge, in denen er seine Schuhe präsentierte. Und Michael? Der Junge schaute zum Vater auf, spricht heute aber vor allem von einem „sehr freundschaftlichen Verhältnis“ zu dem Mann, der den Grundstein für ein Handelsimperium namens Otto Versand legte, den Sohn Michael zu einem internationalen Konzern ausbauen sollte.
Mit 38 Jahren lenkte er den Otto Versand
Nach einer Banklehre („Ich wollte etwas Eigenes machen, unabhängig sein.“) folgte während des Kalten Krieges die erste richtige Reifeprüfung für Michael Otto. Sein Vater bat ihn 1963, nach Kanada zu gehen. Die Angst vor einem Krieg zwischen Russen und Amerikanern auf deutschem Boden war groß, die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg saßen vor allem bei Werner Otto tief. Sohn Michael sollte in Kanada Geld in Immobilien anlegen – für alle Fälle, als Absicherung für den Fall der Fälle. Eine lehrreiche Zeit für den damals 20-Jährigen, die er mit Bravour bestand.
Nach einem Studium der Volkswirtschaftslehre folgte der offizielle Eintritt in die Führung des Otto Versands. Zunächst als Textilvorstand, im Alter von 38 Jahren nahm Michael Otto schließlich auf dem Chefsessel Platz. „Das war schon eine neue Dimension für mich“, sagt er im Rückblick. Er habe den Schritt aber als Chance verstanden. „Nun konnte ich endlich die Internationalisierung und Diversifizierung vorantreiben.“ Zunächst ging das Unternehmen nach Frankreich und in die Niederlande, später in die USA, Japan, Russland und China. Neue Firmen wurden dazu gekauft: unter anderem Heine, Witt und Sportscheck.
Michael Otto vervielfachte den Umsatz
In den knapp 26 Jahren als Otto-Chef vervielfachte sich der Umsatz des Unternehmens auf rund 11,5 Milliarden Euro. Die Zahl der Mitarbeiter kletterte auf mehr als 50.000. Und Michael Otto trieb die Digitalisierung voran. Während andere weiter auf Papier als Transportfläche für Informationen und Werbung setzten, erkannte Michael Otto früh die Chancen des Internets und dessen Vorgängertechnologien.
Bereits Anfang der 1980er-Jahre flog er zusammen mit seinem IT-Vorstand alle zwei Jahre ins Silicon Valley und an die Ostküste der USA, ließ sich inspirieren. Michael Otto war schnell vom interaktiven Fernsehen in Amerika begeistert und setzte schon Mitte der 1990er-Jahre für sein Unternehmen aufs Internet. „Neugierig bleiben und offen sein für neue Technologien“, nennt der heute 80-Jährige zwei Zutaten für sein persönliches Erfolgsrezept. Zudem müsse man als Unternehmer die schwierigen Zeiten meistern („Auch davon hatten wir einige“) und in den guten Tagen nicht die Hände in den Schoß legen, sondern investieren und wachsen. Denn das seien die Jahre, in denen man mit eigenen Ideen den anderen einen Schritt voraus sein sollte.
Der Bericht des Club of Rome rüttelte ihn auf
Michael Otto beherzigte seine Maxime. Er setzte sich früh für Nachhaltigkeit und Umweltschutz ein. Der erste Bericht des Club of Rome, „Die Grenzen des Wachstums“ aus dem Jahr 1972 nennt er für sich „ein zentrales Erlebnis“. Die Autoren warnten vor den Folgen der Industrialisierung, der Zunahme der Weltbevölkerung und der Umweltverschmutzung für den Planeten Erde, rüttelten mit ihren detaillierten Ausführungen die Welt auf. Michael Otto startete – inspiriert vom Club of Rome – erste ökologische Projekte, erklärte im Jahr 1986 Umweltschutz und nachhaltiges Wirtschaften offiziell zu Unternehmenszielen.
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Auch privat fasziniert ihn die unberührte, reine Natur. Mit seiner Frau reiste er durch die Welt, war häufig mit Zelt und Rucksack unterwegs, möglichst in Regionen, in denen die Natur noch intakt ist, nicht von Menschenhand ausgebeutet, zerstört. Immer wieder warnt er vor den Folgen des Klimawandels für die Menschheit, treibt als Aufsichtsratsvorsitzender der Otto Group auch die Transformation des eigenen Unternehmens hin zu einem nachhaltigen Konzern voran. Mit seiner bereits 1993 gegründeten Umweltstiftung setzt er sich zudem für den Schutz von Mooren, Flüssen, Seen und die Weltmeere ein.
Hamburger Gründerpreis: „Etwas ganz Besonderes!“
In das operative Geschäft der Otto Group mischt er sich als Aufsichtsratschef (seit 2007) nicht mehr ein. Dennoch kommt er noch mehrmals in der Woche in sein Büro in der Werner-Otto-Straße als Berater, Stratege, Beobachter. Und er beobachtet genau – mit wachem Verstand. Mit großem Interesse spricht er über Zukunftsthemen wie Robotik, künstliche Intelligenz, Metaverse. Dass Menschen in digitalen Welten mehrere Tausend Dollar bezahlen, um ihre Avatare mit Gucci-Handtaschen auszustatten verwundert ihn, doch statt kopfschüttelnd abseits zu stehen, nimmt er diese mögliche neue Welt des Konsums ernst. Er erzählt davon, dass auch die Otto Group auf diesem Feld experimentiere, hier den Anschluss nicht verlieren wolle. Wer erfolgreich bleiben will, darf keinen Trend verpassen.
Michael Otto hat schon unzählige Auszeichnungen erhalten, unter anderem ist er Ehrenbürger der Stadt Hamburg, war mehrfach Manager des Jahres und ist seit 2006 Träger des Bundesverdienstkreuzes. Rund 40 Preise und Ehrungen werden auf seiner Internetseite aufgelistet. Welche Bedeutung hat für diesen Mann noch der Hamburger Gründerpreis für sein Lebenswerk? Michael Otto lächelt: „Das ist schon etwas ganz Besonderes, so einen Preis in meiner Heimatstadt zu bekommen.“ In der Stadt, in der vor 75 Jahren seine große Karriere mit dem Verkauf von Lederresten begann.