Hamburg. Michael Otto fordert das Schließen von Steuerschlupflöchern für Amazon und andere und spricht über Folgen der Coronapandemie.

Er ist nicht nur Unternehmer und Aufsichtsratschef eines Handelsimperiums, der Hamburger Otto Group (52.500 Beschäf­tigte, 13,4 Milliarden Euro Umsatz), sondern auch Mäzen und Ehrenbürger der Stadt Hamburg.

Im Abendblatt-Interview spricht Michael Otto erstmals öffentlich über die Folgen der Coronapandemie für ihn persönlich, sein Unternehmen sowie die Wirtschaft. Und er zeigt Wege aus der Krise auf.

Hamburger Abendblatt: Wo erreichen wir Sie gerade?

Michael Otto: In meinem Büro. Ich befinde mich derzeit allerdings häufig auch im Homeof­fice – und das klappt mit E-Mails, Video- und Telefonkonferenzen sehr gut. Aber manche Themen möchte ich dann im Unternehmen doch lieber von Angesicht zu Angesicht besprechen – selbstverständlich mit einem Sicherheitsabstand von zwei Metern und unter Einhaltung der Hygieneregeln.

Sie sind 77 Jahre alt, gehören damit zu den Risikogruppen. Haben Sie Angst vor dem Virus?

Otto: Nein, ich habe keine Angst. Zum einen halte ich mich an die Abstands- und Hygieneregeln, trage auch Mundschutz. Zum anderen bin ich gesundheitlich gut beieinander.

Gehen Sie davon aus, dass wir uns hierzulande – wie in Asien – langfristig an das Tragen von Masken in der Öffentlichkeit gewöhnen müssen?

Otto: Das glaube ich nicht. Spätestens wenn man einen Impfstoff gefunden hat, werden die Bundesbürger wieder froh sein, sich ohne Masken bewegen zu dürfen. In Asien ist das tatsächlich anders. Schon in den 1970er-Jahren haben die Menschen in Tokio einen Mundschutz getragen, wenn sie eine Erkältung hatten, um andere nicht anzustecken. Allerdings ist das Gedränge in der U-Bahn dort auch viel extremer als zum Beispiel in Hamburg.

Wie schauen Sie auf die Pandemie und die Maßnahmen der Politik? Müssten schneller als bisher geplant Lockerungen erfolgen?

Otto: Meiner Meinung nach macht die Bundesregierung eine gute und wohlüberlegte Politik. Im Grunde genau das, was wir uns von einer Großen Koalition schon länger wünschen. Die Regierung hat schnell und klar entschieden, parteipo­litische Interessen wurden hintangestellt. Und große Teile der Opposition haben sich ebenfalls sehr konstruktiv eingebracht – das finde ich sehr erfrischend. Auch die schrittweisen Lockerungen halte ich für absolut richtig und sinnvoll, denn wir müssen immer wieder schauen, wie sich bestimmte Maßnahmen auf die Zahl der Infektionen auswirken. Die Gefahr besteht, dass wir zu viel auf einmal zulassen und dann wieder bei null anfangen müssen. Wir sollten auch immer mal wieder in andere Länder schauen, wenn wir ungeduldig werden. Denn dort waren und sind die Maßnahmen viel gravierender. Gucken Sie nach Spanien: Dort galten wochenlange Ausgangssperren – und nun freuen sich die Kinder, dass sie zumindest eine Stunde am Tag mit einem Elternteil wieder vor die Tür dürfen. Da sind wir im Vergleich noch gut dran.

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    Sie sind äußerst kulturaffin. Wie sehr fehlen Ihnen Oper, Theater, Ballett, Konzerte?

    Otto: Das fehlt mir sehr. Deshalb finde ich es wichtig, dass gerade dieser Bereich unterstützt wird. Derzeit versuche ich diesen Verlust der Live-Kultur mit Filmen und CDs zu kompensieren. Ein adäquater Ersatz ist das aber selbstverständlich nicht.

    Nicht wenige vergleichen den Kampf gegen Covid-19 mit einem Krieg, ziehen Parallelen zwischen der heutigen Zeit und dem Zweiten Weltkrieg. Sie sind 1943 geboren, mit der Familie aus Westpreußen geflohen – was halten Sie von solchen Vergleichen?

    Otto: Gar nichts. Denn solche Vergleiche sind überhaupt nicht angemessen. Menschen, die so reden, haben keine Vorstellung, was ein Krieg bedeutet, wenn Väter, Söhne, Brüder an der Front massenweise sterben, Familien unter Trümmern begraben werden. Diese grauenhaften Szenarien haben nichts mit der Coronakrise zu tun – und jeder Vergleich mit einem Krieg verbietet sich deshalb.

    Schauen wir auf Ihr Unternehmen: Haben Sie als großer Onlinehändler von den Schließungen im stationären Einzelhandel profitiert?

    Otto: Mit Sicherheit hat Amazon profitiert, denn sie haben ein extrem breites Angebot und Waren des täglichen Bedarfs priorisiert. Alle anderen Onlineanbieter spüren derweil auch negative Entwicklungen. Wir bei der Otto-Gruppe merken das unter anderem bei unseren Onlineanbietern im Modebereich, wo die Bestellungen zumeist deutlich zurückgegangen sind. Auf der anderen Seite verzeichnen wir Steigerungen bei Spielwaren, Kühlgeräten, Fernsehern, Computern, Sport- und Fitnessartikeln. Unterm Strich werden wir beim Umsatz ganz gut dastehen. Doch die gestiegene Nachfrage betrifft vor allem Artikel mit geringen Margen, während Mode mit höheren Margen schlechter läuft. So werden wir beim Gewinn eher Rückgänge verkraften müssen.

    Nimmt die Otto Group staatliche Hilfen in Anspruch?

    Otto: Wir haben auch einige Unternehmen mit stationären Geschäften in der Gruppe wie Frankonia, Manufactum, MyToys oder Witt. Hier mussten wir Läden schließen und haben für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Kurzarbeitergeld beantragt, das wir in diesen Lohngruppen auf 90 Prozent aufstocken. Ansonsten haben wir keine Förderungen beantragt – und ich gehe auch davon aus, dass das nicht nötig sein wird.

    Wie ist Ihre Geschäftsprognose für das Gesamtjahr?

    Otto: Das ist schwer vorauszusagen und hängt stark davon ab, wie genau die schrittweisen Öffnungen erfolgen, wie sich das Leben wieder normalisiert. Und direkt nach der Krise wird sicherlich nicht sofort ein Konsumrausch einsetzen, sondern die Menschen werden beim Ein­kaufen noch zurückhaltend sein. Diese Phase dürfte noch bis ins nächste Jahr hinein anhalten.

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      Sind die Milliardenhilfen von Bund und Ländern für Unternehmen in Deutschland zu großzügig – drohen hier nicht ökonomisch gefährliche Mitnahmeeffekte?

      Otto: Ich halte die Maßnahmen für absolut richtig, sowohl die Soforthilfen als auch die Kredite. Zudem finde ich es gut, dass man nun auch überlegt, wie man den Gastronomen helfen kann. Die sind schließlich am längsten von den Schließungen betroffen. Die Maßnahmen wird man sicherlich nicht dauerhaft aufrechterhalten können, aber für einige Wochen oder Monate sind sie notwendig und auch akzeptabel. Denn die Bundesrepu­blik hat in guten Zeiten ihre Verschuldung abgebaut. Dafür wurden wir von anderen Ländern belächelt oder kritisiert, nun hilft uns das in der Krise. Zudem ist es wichtig, dass Deutschland schon bald ein nachhaltiges, innovatives Konjunkturprogramm auflegt.

      Wie sollte dieses konkret aussehen?

      Otto: Es dürfen auf keinen Fall alte, überkommende Strukturen gefestigt werden, sondern wir müssen unsere Wirtschaft modernisieren. So müssen Investitionen in den Ausbau der digitalen Infrastruktur, in Klimaschutzmaßnahmen wie den Einstieg in die Wasserstoffindustrie und moderne Bildungssysteme erfolgen. Bei der digitalen Bildung sind wir international weit hinten. Wären wir in diesem Bereich schon fortschrittlicher, würde uns das bereits in der aktuellen Krise sehr helfen. Es sollen ja keine Lehrer in Schulen ersetzt werden, aber ihre Arbeit muss durch digitale Angebote ergänzt werden.

      Nun fordert die deutsche Autoindustrie aktuell Kaufprämien für Autos, auch für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Was halten Sie davon?

      Otto: Ich halte nichts davon, Autos mit Verbrennungsmotoren zu fördern. Wenn man so etwas beschließt, dann sollte man die Prämien auf Elektro-, Hybrid- oder Brennstoffzellenfahrzeuge beschränken.

      Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

      • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
      • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
      • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
      • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
      • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden

      Im Zuge des Shutdowns fahren deutlich weniger Menschen mit dem Auto, der Luftverkehr steht nahezu still. Eine Entwicklung, die sich positiv auf das Klima auswirken dürfte – ein kurzfristiger oder nachhaltiger Effekt?

      Otto: Das wird eher ein kurzfristiger Effekt sein. Ich höre ja jetzt schon wieder die ersten Staumeldungen im Verkehrsfunk. Der Zustand im Straßen- und Luftverkehr wird sich wieder normalisieren, die Emissionen werden zunehmen. Dennoch glaube ich, dass es in vielen Unternehmen durch die Erfahrungen in der Coronakrise eine neue Art der Kommunikation geben wird, die auch für das Klima gut sein kann. So sehen die Menschen, dass man nicht zu jedem Meeting persönlich fahren oder fliegen muss. Viele dieser Treffen sind auch per Videochat oder Telefonkonferenz möglich. Und auch die guten Erfahrungen in den meisten Firmen mit Homeoffice – übrigens auch bei uns in der Otto Group, wo rund 20.000 Kolleginnen und Kollegen so arbeiten – dürften Fahrten mit dem Auto reduzieren.

      Wie wird sich aus Ihrer Sicht die Handelslandschaft bundesweit nach Corona verändern? Werden die großen Onlinehändler am Ende die Gewinner dieser Pandemie sein und noch mehr kleine Läden aus den Innenstädten verschwinden?

      Otto: Ich denke, dass hängt immer vom jeweiligen Einzelhändler und seinen Sortimenten ab. Der stationäre Handel muss sich aber insgesamt stärker für die Digitalisierung öffnen, Produkte auch online anbieten und sie dem Kunden nach Hause liefern. Zudem müssen vor allem in den Innenstädten die Ladenmieten sinken. Die Immobilienbesitzer sollten sich mal darüber Gedanken machen, ob sie immer die maximale Miete herausholen müssen. Denn diese Politik führt zu einer Monotonie bei den Geschäften – so haben wir zum Beispiel kaum noch Lebensmittelhändler in den Zentren. Es finden sich stattdessen immer die gleichen Ketten – und der Leerstand dürfte auch weiter zunehmen. Und es muss Mindeststandards für Onlinehändler geben. Es kann nicht sein, dass die großen amerikanischen oder asiatischen Plattformen auch hierzulande Waren anbieten, bei denen es sich zum Teil um hochgradig gefährliche Kopien handelt, sie dafür aber keine Verantwortung tragen. Zudem muss die Politik zwischen den Wettbewerbern im Onlinehandel endlich für Steuergerechtigkeit sorgen.

      Sie meinen Amazon?

      Otto: Nicht nur. Aber es kann doch nicht sein, dass amerikanische Onlinehändler seit Jahren europäische Steuerschlupflöcher nutzen und diese von der Politik nicht geschlossen werden.

      Nicht wenige Ökonomen sehen durch Corona die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland noch weiter auseinandergehen – was ist Ihre Prognose?

      Otto: Hier bin ich anderer Meinung. Ich gehe eher davon aus, dass sich die Schere weiter schließen wird. Denn wer sind denn die sogenannten Reichen? Dabei handelt es sich doch vor allem um Unternehmer, die wertvolle Firmen besitzen. Und gerade dieser Mittelstand leidet in der aktuellen Krise besonders stark. Es wird eine Reihe von Insolvenzen geben und viele andere Betriebe werden ums Überleben kämpfen und investieren müssen, um ihr Unternehmen und die Arbeitsplätze zu erhalten. Und die nun gewährten Kredite müssen in den nächsten Jahren ja auch wieder abbezahlt werden.

      Aber durch die Krise wird die Zahl der Arbeitslosen massiv steigen – und vor allem einfache, schlechter bezahlte Jobs dürften als Erstes verschwinden.

      Otto: Ich denke, dass man in Deutschland den Anstieg der Arbeitslosigkeit durch das Instrument des Kurzarbeitergeldes in Grenzen halten kann. Denn die Unternehmen brauchen ihre Mitarbeiter ja wieder, wenn die Konjunktur nach der Krise anspringt. Zudem sollten wir bei der Arm-Reich-Diskussion nicht nur auf Deutschland schauen. Ich denke in diesem Zusammenhang vor allem an Entwicklungsländer wie Bangladesch und Indien. So habe ich überhaupt kein Verständnis dafür, dass Handelskonzerne in der westlichen Welt, bereits fertig produzierte Ware aus diesen Ländern nicht mehr abnehmen wollen. Das machen wir nicht mit: Wir als Otto Group werden zu unseren Verträgen stehen.