Hamburg. 40 Orte, die aus dem Stadtbild verschwunden sind – davon erzählt das neue Buch von Abendblatt-Redakteur Matthias Schmoock.
„Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen.“ Dieses Schiller-Zitat steht an einer Wand des Phoenix-Saals im Hamburger Rathaus. Und tatsächlich ist im Laufe der langen Stadtgeschichte an Alster und Elbe vieles gestürzt und vieles neu entstanden – ein ganz normaler Prozess auf dem Weg in die Zukunft, wenngleich auch oft bedauerlich. Denn es wurden dabei zahlreiche faszinierende Bauwerke zerstört, die einst das Stadtbild mit geprägt hatten.
Und sind sie auch verschwunden – vergessen sind sie (noch) nicht. Die Deutsche Seewarte, der Kaispeicher A mit dem Zeitball, die Badeanstalt Schwanenwik, die Stadtbibliothek oder das Naturhistorische Museum bestehen fort. Man findet sie auf alten Fotos und Zeichnungen, sie werden in Büchern beschrieben, und gelegentlich erinnern sich sogar Zeitzeugen an sie. Viele dieser Orte wurden im Zweiten Weltkrieg vernichtet, andere fielen später unsinnigen Abrissaktionen zum Opfer, die – wie beim Altonaer Bahnhof – oft schon kurz darauf allgemein kritisiert wurden.
Hamburgs verschwundene Orte: Neues Buch begibt sich auf Spurensuche
An manchen Stellen erinnern noch letzte Relikte an diese verschwundenen Orte. Ein Zierbrunnen in einer Mauernische, ein verwitterter Grenzstein oder ein historisches Portal, das in einen Neubau integriert wurde.
Anderswo hat man bewusst Hinweise geschaffen: etwa mit dem Bodenmosaik, das den Grundriss und das Deckengewölbe der ehemaligen Synagoge am Bornplatz nachbildet. Oder mit dem Parkhaus am Steintorwall, das ebenso rund ist wie die hier 1855 eröffnete Wasch- und Badeanstalt, die als älteste auf dem europäischen Kontinent gilt. Oder die Sitzquader und kantigen Stahlwälle auf dem Domplatz, die auf die Pfeiler des früheren St.-Marien-Doms und den Verlauf der Domburg verweisen.
Vieles wird erstmals ausführlich beschrieben
Matthias Schmoock, Abendblatt-Redakteur und promovierter Historiker, lässt in seinem neuen Buch „Hamburgs verschwundene Orte“ 40 dieser verlorenen Stätten wieder auferstehen. Für die aufwendige Spurensuche hat er mit namhaften Expertinnen und Experten gesprochen, sich in zahlreiche Dokumente eingelesen und Hunderte historische Bilder gesichtet. So kann er die Geschichten der verschwundenen Orte detailliert von der Entstehung bis zum Untergang erzählen – und auch beschreiben, was von ihnen bis heute blieb.
Durch die umfangreichen Recherchen des Autors und die Bereitschaft der Fachleute, ihr Wissen mit ihm zu teilen, konnte vieles in diesem Buch erstmals ausführlich beschrieben werden. Gemeinsam mit Matthias Schmoock hat sich auch Abendblatt-Fotograf Andreas Laible mit auf die Spurensuche begeben und die Orte von einst so abgelichtet, wie sie sich heute präsentieren.
Das Donner-Schloss existiert nicht mehr
Das Eintauchen in die Vergangenheit mit Matthias Schmoock ist unterhaltsam und äußerst interessant. Auch wer glaubt, Hamburg schon gut zu kennen, erfährt hier viel Neues. Der oben erwähnte Wasserspender etwa gehörte mit einigen ebenfalls noch erhaltenen Treppen und Mauerresten zu einem gigantischen Landsitz, den Bernhard Donner (1808 geborener Sohn des Bankiers Conrad Hinrich Donner) am Elbhang über Neumühlen errichten ließ.
Der Erbauer des eindrucksvollen Anwesens, das im Volksmund nur Donner-Schloss genannt wurde, war kein Geringerer als der Schinkel-Schüler Johann Heinrich Strack, der auch für das Babelsberger Schloss und die Berliner Siegessäule verantwortlich war. 1858, nach dreieinhalbjähriger Bauzeit, war das riesige Wohnhaus im Stil der Tudor-Gotik fertig – umgeben von einem zauberhaften Gelände mit plätschernden Kaskaden und Hängebrücke, das noch heute als Donner-Park bekannt ist.
Das Schloss selbst dagegen existiert nicht mehr: Es wurde 1911 von Bernhard Donners Sohn an die Stadt Altona verkauft, die dort eine Gewerbeschule unterbrachte, und wurde 1943 durch Bomben beschädigt und später gesprengt.
„Bierschwemme inklusive Schunkelgarten und Tanzsaal“
In dem Kapitel, in dem auch der Grenzstein an der Ecke Troplowitzstraße/Hoheluftchaussee auftaucht, geht es eigentlich um das Haus, das früher gegenüber stand: an der Stadtgrenze, hinter der Richtung Norden Dänemark beziehungsweise Preußen folgten. Das holzverkleidete Grenzhaus war 1789 erbaut worden und wurde, so schreibt der Autor, in den 1880er-Jahren zu einer „Bierschwemme inklusive Schunkelgarten und Tanzsaal“ umgebaut.
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„Arbeiter und Angestellte kehrten dort nach der Arbeit ein, um die Zeit noch etwas hinauszuzögern, bevor es nach Hause in die oft kleinen, beengten Wohnungen ging. Bürger-, Schützen- und Heimatvereine trafen sich dort regelmäßig. Und an den Wochenenden kehrten, lange bevor so ziemlich jeder an Nord- oder Ostsee fahren konnte, ganze Familien zum Picknicken und Ausspannen ein.“ In der Nachkriegszeit verlor das Grenzhaus, dessen Gartensaal und Teile der Innenräume im Krieg zerstört worden waren, an Bedeutung. Mitte der 1950er-Jahre erlebte es als Treffpunkt der Hamburger Künstler-Boheme eine kurze Renaissance, wurde aber letztlich – auch im Zuge von Umgestaltungsmaßnahmen ringsherum – abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.
Verschwundene Orte: Mehr erhalten, als viele ahnen
Unter den vorgestellten Orten befinden sich auch etliche aus der jüngeren Vergangenheit. Etwa das Knust, an dessen legendäre Engtanzfeten sich bestimmt noch viele Leserinnen und Leser erinnern können. 1370 Feten waren es insgesamt in den 15 Jahren am alten Standort an der Brandstwiete. Als das von Martin Haller 1900 erbaute Haus abgerissen werden sollte, zog das Knust an seinen heutigen Standort am Schlachthof. Das historische Portal, durch das die vielen Engtänzer seinerzeit ins Knust geströmt waren, wurde in den Neubau an der Brandstwiete integriert.
Auch das Christianeum existiert noch heute. Verschwunden aber sind die beiden Vorgängerbauten des altsprachlichen Gymnasiums. Der 1744 in Altona eingeweihte und 1880 umgestaltete erste Bau wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Der Anfang der 1930er-Jahre in Bahrenfeld errichtete Nachfolge-Neubau, um den es in dem Buch vorrangig geht, wurde in den 1960er-Jahren für den Bau des Elbtunnels abgerissen. Ein Relikt aus den Anfangsjahren ist aber auch am jetzigen Standort in Othmarschen noch zu sehen: das Barockportal des ersten Schulgebäudes, das auch den ersten Umzug schon mitgemacht hatte und jetzt auf einem kleinen Vorplatz unterhalb der Otto-Ernst-Straße steht.
Orte an denen gelacht, geweint und gelitten wurde
Alle verschwundenen Orte vorzustellen würde hier den Rahmen sprengen. Doch so viel sei verraten: Der Autor berichtet neben den bereits erwähnten Stätten unter anderem auch über den Bierpalast am Dammtor, das Freibad Lattenkamp, das schreckliche Werk- und Zuchthaus, das Waisenhaus in der Averhoffstraße, das Wohnhaus von Siegfried Lenz, das Karstadtgebäude an der Hamburger Straße, den Veranstaltungsort Conventgarten und die Fährhäuser in Winterhude und Uhlenhorst.
Was ihn bei seinen Recherchen verblüfft habe, sei, dass letztlich kaum etwas jemals ganz verschwindet, sagt Matthias Schmoock. Es lasse sich fast immer noch etwas finden – und sei es auch nur die besondere Atmosphäre eines Ortes. „Gebäude wie die Bornplatz-Synagoge, der alte Bahnhof Altona, die Stadthalle im Stadtpark, das Bismarckbad oder das Uhlenhorster Fährhaus haben ihre Umgebung nachhaltig mit geprägt und sie so erst zu Orten gemacht, die im Bewusstsein der Hamburgerinnen und Hamburger fest verankert waren.“ Hier sei gelacht und geweint, gekämpft, genossen und gelitten worden. Von alledem sei heute mehr erhalten, als viele von uns ahnten.
In der kommenden Woche startet im Hamburger Abendblatt in loser Folge eine Serie zu den verschwundenen Orten.