Hamburg. Friseure, Kosmetiker und Straßenbauer lösen Vertrag besonders häufig. Die Gründe sind vielfältig. Warum das nicht immer schlecht ist.
Wer wird in Zukunft unsere Heizungen einbauen, unsere Autos reparieren, unser Brot backen, unsere Köpfe frisieren? Fachkräfte fehlen schon lange, besonders im Handwerk. Aber so gravierend wie im Moment war der Mangel wohl noch nie. Bundesweit sind aktuellen Zahlen zufolge noch mehr als 31.000 Ausbildungsplätze im Handwerk unbesetzt. Dabei ist es nicht nur so, dass weniger junge Menschen eine Ausbildung in klassischen Handwerksberufen beginnen, viele brechen die Lehre vorzeitig ab.
Die Vertragslösungen, wie es im Fachjargon heißt, haben in Hamburg wieder leicht zu genommen. Nach Angaben der Handwerkskammer wurden im vergangenen Jahr 1053 Ausbildungsverträge vor dem Ende aufgelöst. Die Abbrecherquote lag bei 15,3 Prozent. Im Vorjahr waren es 15,2. Im Corona-Jahr 2020 nur 13,7 Prozent. „Die Lage in Hamburg ist stabil“, sagt Thomas Bettels, bei der Handwerkskammer für Erstausbildung zuständig. Zahlen, nach denen etwa im Sanitär- und Heizungsbau 50 bis 60 Prozent der Azubis ihre Ausbildung in Bayern nicht abschließen, ließen sich in der Hansestadt nicht bestätigen.
Azubis: 15 Prozent lösen Vertrag vorzeitig auf
Trotzdem: Überdurchschnittlich viele Ausbildungsabbrüche gibt es nach einer aktuellen Auswertung der Kammer in den Berufen Friseur/in, Kosmetiker/in, Straßenbauer/in, Fachverkäufer/in im Lebensmittelhandwerk und Augenoptiker/in. Die Quoten reichen von 26,7 Prozent im Friseurhandwerk bis 21,6 bei den Optikern. Bei den Friseuren wurden 116 Verträge vorzeitig gelöst – das ist mehr als jeder vierte. Allerdings: Gerade in dieser Berufssparte ist die Wechselbereitschaft besonders hoch. Oftmals setzen die Lehrlinge die Ausbildung in einem anderen Betrieb fort.
„Vertragslösung bedeutet nicht immer auch Ausbildungsabbruch“, betont Thomas Bettels von der Hamburger Handwerkskammer. Zu den Gründen sagt der Ausbildungsexperte: Gerade am Beginn der Lehrzeit sei es oftmals die falsche Berufswahl, die korrigiert werde. Aus betrieblicher Sicht spielten mangelnde Verlässlichkeit und Pünktlichkeit eine Rolle. „Ansonsten ist es eine bunte Palette: von Überforderung im Betrieb oder in der Berufsschule, über gesundheitliche, familiäre und persönliche Gründe.“ Dabei gebe es aber auch die andere Seite: „Besonders leistungsstarke Jugendliche gehen inzwischen auch, wenn sie unzufrieden mit der Ausbildung in einem Betrieb sind.“
Heizungsbauer: Nachwuchs dringend gesucht
Ein Handwerk, das im Moment besonders gefragt sind, sind die Heizungsbauer. Der offizielle Begriff lautet Anlagenmechaniker SHK, die Abkürzung steht für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. In den nächsten Jahren sollen die Monteure quer durch die Republik umweltfreundlichere Heizungen und Wärmepumpen einbauen. So sieht es das gerade verabschiedete Gebäudeenergiegesetzes („Heizungsgesetz“) vor. Schon jetzt arbeiten viele Unternehmen am Limit. Nachwuchs wird dringend gebraucht. In Hamburg hat im vergangenen Jahr nach Angaben der Handwerkskammer in der Branche fast jeder sechste die Ausbildung abgebrochen.
Auch Lars Breuer, Inhaber der Firma Diehn Heizungstechnik am Hamburger Stadtrand, war betroffen. Einer seiner fünf Auszubildenden hatte den Lehrvertrag nach einem Jahr vorzeitig gelöst. „Er hat festgestellt, dass der Beruf für ihn nicht richtig ist“, sagt Breuer. Für das Unternehmen mit 35 Beschäftigten ein Verlust. Die Auftragsbücher sind voll. Wartezeiten vor allem für Neukunden können schon mal mehrere Monate betragen.
Zahl der Azubis im Heizungsbau in Hamburg 2023 gestiegen
Trotzdem reagiert der Firmenchef verständnisvoll. „Es ist besser, dass er es noch rechtzeitig gemerkt hat und nicht aus falscher Rücksicht weitermacht.“ Der junge Mann habe inzwischen eine Friseurausbildung angefangen. Breuer hat für 2023 daher zwei neue Azubis eingestellt, auch für 2024 hat Breuer schon zwei Verträge geschlossen. Und er hat die Hoffnung, dass er noch weitere Interessenten findet.
Auch andere Betriebe in Hamburg, wie der von Innungsobermeister Jens Wagner, suchen neue Auszubildende. Im Moment gibt es im Familienunternehmen Otto Wagner sieben SHK-Azubis. „Wir könnten mehr beschäftigen“, sagt Wagner, der die guten Verdienstmöglichkeiten in der Branche hervorhebt. Nach einer Recherche des Abendblatts lag das mittlere Monatsbrutto-Einkommen eines Heizungs-und Lüftungsmonteurs 2022 in Hamburg bei 3652 Euro.
Tatsächlich ist durch die öffentliche Debatte offenbar das Interesse an dem Handwerksberuf gestiegen. „In diesem Jahr haben 302 Auszubildende eine Lehre als Anlagenmechaniker oder Klempner gestartet. Das sind 32 mehr als Ende August im Vorjahr“, sagt Bernd Seeger, der beim Fachverband Sanitär, Heizung, Klempner für den Bereich Ausbildung zuständig ist. Aber auch er sagt nach 30 Jahren Erfahrung: „Bis zu einem Viertel, die die Lehre starten, beenden sie nicht.“
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Wenn ein Ausbildungsverhältnis nicht rund läuft, zeigt sich in den meisten Fällen schon im ersten Lehrjahr. „Wir merken, dass die Jugendlichen schlechter orientiert sind, was sie genau erwartet“, sagt Seeger. Das seien teilweise immer noch Auswirkungen der Corona-Pandemie, in denen Berufsorientierung wie Praktika kaum möglich waren. Aber es mache sich auch bemerkbar, dass den Schulabgängern Wissen und Allgemeinbildung fehle. „Wenn sie zuhause niemand haben, der sie bei der Berufswahl unterstützen kann, ist es schwierig.“ Dazu kommt: Das SHK-Gewerk ist kein einfacher Beruf. „Man muss eine Menge draufhaben.“ In Hamburg fallen gut 20 Prozent durch die Abschlussprüfung.
Azubis: Hilfeangebote, wenn es in der Lehre nicht läuft
Dabei wird viel getan, damit Auszubildende mit Schwierigkeiten im Betrieb, in der Berufsschule oder im privaten Umfeld, unterstützt werden – und ihre Ausbildung erfolgreich beenden. „Bei der Handwerkskammer haben wir vier Ausbildungsberater“, sagt Thomas Bettels. Ein weiteres Instrument ist die sogenannte Assistierte Ausbildung, kurz AsA Flex. Wichtigster Hebel: Wer in das Programm aufgenommen wird, bekommt einen Ausbildungsbegleiter an die Seite, der das Unterstützungsprogramm koordiniert. VerA – das steht für Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen – ist eine Initiative des Senior Expert Service, über das ehrenamtliche Ausbildungshelfer die jungen Leute kostenlos bis zum Abschluss begleiten.
Es gibt aber auch Handwerksberufe, bei denen die Quote der Vertragslösungen deutlich unter dem allgemeinen Schnitt liegt. So machen Orthopädiemechaniker/innen, Maßschneider/innen oder Tischler/innen ihre Ausbildung meist in einem Betrieb bis zum Ende. Die Abbrecherquote liegt zwischen 5,8 Prozent und 9,6 Prozent. Bei den Orthopädiemechaniker/innen haben im vergangenen Jahr nur drei Azubis ihren Vertrag vorzeitig aufgelöst.
Am Dienstag, den 19. September, und Mittwoch, den 20. September, findet in der Handelskammer (Adolphsplatz 1, 20457 Hamburg) die Hanseatische Lehrstellenbörse statt, bei der sich etwa 100 Betriebe und Institutionen vorstellen. Die Veranstaltung beginnt jeweils um 9 Uhr und endet um 15 Uhr.