Hamburg. Das Abendblatt hat aktuelle Daten für 50 Berufe und 20 Branchen ausgewertet. Das Ergebnis ist erstaunlich – und kann nützlich sein.
Gehälter und Löhne in Deutschland sind im vergangenen Jahr überdurchschnittlich stark gestiegen. Der mittlere Bruttoverdienst eines Vollzeitbeschäftigten hierzulande betrug Ende vergangenen Jahres 3646 Euro pro Monat. Das waren 130 Euro mehr pro Monat als ein Jahr zuvor.
Ein Plus von immerhin 3,7 Prozent binnen eines Jahres, errechnete die Bundesagentur für Arbeit – und so viel Gehaltszuwachs wie seit Langem nicht. Gleichwohl hatte die große Masse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer letztlich weniger Geld im Portemonnaie und auf dem Konto: Die hohe Inflation (7,9 Prozent) fraß das Gehaltsplus mehr als auf.
Geld und Gehalt: So viel sollte man in Hamburg in seinem Job verdienen
Hamburger Unternehmen bezahlen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter laut der vor Kurzem veröffentlichten Entgeltstatistik der Bundesagentur besonders gut. Im Mittel sind es inzwischen 4127 Euro brutto im Monat. Nirgendwo anders in den 16 Bundesländern ist es mehr. Selbst in Baden-Württemberg mit seinen vielen erfolgreichen Industrieunternehmen bleibt das sogenannte Mediangehalt unter der Schallmauer von 4000 Euro.
Mediangehalt bedeutet: Die Hälfte der Beschäftigten verdient mehr, die andere Hälfte weniger. Der Wert gilt als aussagekräftiger als ein aus den Entgelten aller Beschäftigten errechnetes Durchschnittsgehalt.
„Hamburg ist ein für Unternehmen sehr attraktiver Standort, viele Beschäftigte haben einen hohen Qualifizierungsgrad und werden entsprechend gut bezahlt“, sagt Julian Stahl, der Arbeitsmarktexperte des in Hamburg ansässigen Job-Netzwerks Xing über die Gründe für das hohe Gehaltsniveau in der Hansestadt.
Um junge Talente und Fachkräfte zu gewinnen, müsse eben viel gezahlt werden in einer Stadt mit hohen Lebenshaltungskosten. Stahl: „Das Gehalt ist bei der Rekrutierung und langfristigen Bindung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zwar nicht der einzige, aber weiterhin ein sehr wichtiger Faktor.“
Gehalt und Geld: So hoch ist der Verdienst in 50 Berufen in Hamburg
Obwohl die Löhne und Gehälter in Hamburg also insgesamt vergleichsweise hoch sind, sind die Unterschiede immens: Große Unternehmen zahlen in der Regel mehr als kleinere, in der Industrie sind Löhne und Gehälter zumeist höher als im Handwerk, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Hochschulabschluss oder Meistertitel werden besser bezahlt. Und innerhalb der Branchen und in den einzelnen Berufen gibt es ebenfalls große Unterschiede.
Auch das zeigt der unlängst auf den neuesten Stand gebrachte Entgeltatlas der Bundesagentur. Darin sind die Mediangehälter für Hunderte unterschiedliche Berufe aufgeführt – auch für Hamburg. Auf dieser Grundlage hat das Abendblatt ermittelt, wie viel – und auch wie wenig – Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Stadt in knapp 20 Branchen und in 50 weit verbreiteten Berufen von Anwalt bis Friseurin verdienen (siehe Grafik). Anders gesagt: Die Daten zeigen, wie viel Geld Hamburgerinnen und Hamburger mindestens von ihren Chefs fordern können.
Hafenarbeiter verdienen genauso gut wie angestellte Ärztinnen
Manche Ergebnisse des Gehalts-Checks sind durchaus erstaunlich: Bei Hafenfacharbeitern, die zum Beispiel mit Containerbrücken Frachter be- und entladen, ist die Summe auf der Lohnabrechnung nicht geringer als bei angestellten Ärztinnen und Ärzten mit teils zehnjährigem Studium. Rare Pflegefachkräfte bringen es in Hamburg inzwischen auf ein mittleres Gehalt von fast 4000 Euro und liegen damit deutlich vor Heizungs- und Lüftungsbauern sowie Elektroinstallateuren, die ebenso rar sind – und dringend für die Umsetzung der Energiewende benötigt werden.
Unabhängig von der Antwort auf die Frage, wie viel eigentlich der Nachbar in seinem Job sehr wahrscheinlich verdient, können die Daten der Arbeitsagentur einen sehr praktischen Nutzen haben: als Leitfaden dafür, dass sich Beschäftigte in einem neuen Job oder bei Gehaltsverhandlungen mit dem Chef nicht unter Wert verkaufen. „Solche Daten helfen, sich des eigenen Werts auf dem Arbeitsmarkt bewusst zu werden und ihn besser einschätzen zu können“, sagt Julian Stahl von Xing, dessen Schwesterunternehmen Kununu ebenfalls Gehaltsdaten ermittelt und veröffentlicht.
So können Verdienstdaten Beschäftigten bei Gehaltsverhandlungen helfen
„In Gehaltsverhandlungen ist es sicher aussichtsreicher zu sagen: ,Ich weiß, dass in dieser Stadt andere in meinem Beruf mehr Geld verdienen’ als nur ,Hey Boss, ich brauch mehr Geld’“, so Julian Stahl. Nach seinen Erkenntnissen streichen Arbeitgeber in Stellenanzeigen inzwischen deutlich offensiver als früher heraus, dass sie bereit sind, ein hohes Gehalt zu zahlen.
Laut einer am Donnerstag veröffentlichten Untersuchung des Xing-Mutterkonzerns New Work haben derzeit 93 Prozent der Unternehmen in Industrie, Handel oder Dienstleistung Schwierigkeiten bei der Besetzung offener Stellen. Zugleich seien mehr als ein Drittel von Beschäftigten, die vorwiegend körperlich arbeiten, offen für einen Jobwechsel. Viele davon beklagen ein zu niedriges Gehalt, eine hohe Arbeitsbelastung und das Verhalten von Kollegen und Führungskräften.
Die Einkommensdaten für die 50 ausgewählten Berufe in Hamburg zeigen aber auch: Verkäuferinnen und Verkäufer, Gastronomiefachkräfte und insbesondere Friseurinnen und Friseure, die 40 Stunden in der Woche arbeiten, haben weiterhin so niedrige Gehälter, dass man davon in Hamburg kaum die notwendigsten Ausgaben bestreiten kann.
Geld und Gehalt: Hamburgs DGB-Chefin fordert hohe Lohnsteigerungen
Das ist es, was die Hamburger DGB-Vorsitzende Tanja Chawla umtreibt, wenngleich sie eine zuletzt positive Entwicklung erkennt: „Wir blicken auf harte Tarifrunden und starke Abschlüsse zurück. Besonders die Vollzeitbeschäftigten im unteren Einkommensfünftel haben nun durchschnittlich 11,8 Prozent mehr Lohn in der Tasche“, sagt sie. Und erstmals seit zwei Jahren seien die Reallöhne im zweiten Quartal 2023 wieder gestiegen – um 0,1 Prozent.
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Das sei gut – aber nicht genug. Chawla: „Mit einem Reallohn-Plus von 0,1 Prozent sind noch keine großen Sprünge zu machen – auch angesichts der starken Einkommensverluste in den letzten Jahren. Trotz der Lohnerhöhungen drücken die hohen Verbraucherpreise, aber auch die hohen Mieten in Hamburg auf die Kaufkraft.“ Hamburgs DGB-Chefin fordert: Auch in den laufenden und den kommenden Tarifverhandlungen muss es hohe Lohnsteigerungen geben.