Hamburg. Obwohl Unternehmen verzweifelt nach Fachkräften suchen, ist die Arbeitslosigkeit in der Stadt ungewöhnlich hoch. Warum?
Die Lage auf dem Hamburger Arbeitsmarkt spitzt sich trotz des allgemeinen Fachkräftemangels weiter zu. Bereits seit März steigt die Zahl der Jobsuchenden von Monat zu Monat. Die typische Frühjahrsbelebung des Arbeitsmarktes fiel komplett aus. Ende August zählte die Arbeitsagentur 84.434 Arbeitslose in Hamburg.
Das ist ein Anstieg um 8,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Die Arbeitslosenquote erhöhte sich von 7,2 auf 7,7 Prozent. Im Vergleich zum Vormonat nahm die Arbeitslosigkeit noch einmal um drei Prozent zu. Allein im August meldeten sich 7000 Hamburger bei der Arbeitsagentur, weil sie ihren Arbeitsplatz verloren haben. Viele Jobsuchende kommen derzeit aus dem Einzelhandel.
Beschäftigung: Ungewöhnlich hohe Arbeitslosigkeit für einen August
Für einen August fällt die Zahl der Jobsuchenden ungewöhnlich hoch aus. Zwar gab es im August 2020 als Folge der Corona-Pandemie knapp 90.000 Arbeitslose in der Hansestadt. Aber das war eine Ausnahmesituation durch den plötzlichen Schock der Pandemie. Ohne diesen Sonderfall muss man sehr weit in der Arbeitslosenstatistik zurückgehen, um in einem August auf eine ähnliche Größenordnung zu kommen. Seit dem August 2006 (97.051) gab es nicht mehr einen vergleichbaren Wert.
Hat Hamburg bald wieder 90.000 Arbeitslose? „So weit würde ich nicht gehen“, sagt Sönke Fock, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit. „Denn neben der konjunkturellen Schwäche gibt es einige Besonderheiten, die die Arbeitslosigkeit jetzt hoch erscheinen lässt.“ Nimmt man die Zahl der Hamburger, die sich in den ersten acht Monaten des Jahres arbeitslos gemeldet haben, so fällt der Anstieg gegenüber dem Vorjahresbeginn mit einem Plus von 2000 gering aus.
Beschäftigung: Ukraine-Krieg belastet Hamburger Arbeitsmarkt
„Außerdem weisen die Sommermonate Juli und August traditionell hohe Arbeitslosenzahlen auf“, sagt Fock. „Ferien- und Urlaubszeiten sorgen für eine geringere Dynamik auf dem Arbeitsmarkt, da urlaubsbedingt weniger Personal in den Unternehmen zu weniger Neueinstellungen führt.“
Doch entscheidende Auswirkungen auf den Hamburger Arbeitsmarkt hat der Ukraine-Krieg. Hätten nicht vorwiegend Ukrainerinnen durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine fliehen müssen, würde die Arbeitslosigkeit in Hamburg wesentlich niedriger ausfallen. „Im August haben wir 6090 Ukrainer und Ukrainerinnen in der Arbeitslosenstatistik“, sagt Fock.
12.000 unbesetzte Stellen in Hamburg – höchster Wert des Jahres
12.315 weitere Ukrainerinnen sind in Hamburg als arbeitssuchend gemeldet, fallen aber nicht in die Arbeitslosenstatistik, weil sie noch Sprachkurse absolvieren. Sobald sie diese beendet haben und keine Beschäftigung finden, rücken sie in die offizielle Arbeitslosenstatistik nach. „Die strukturelle Arbeitslosigkeit in Hamburg ist ein größeres Problem als die konjunkturell bedingte“, sagt Fock.
Doch trotz steigender Arbeitslosigkeit hat Hamburg ein großes Fachkräfteproblem. Im August registrierte die Arbeitsagentur fast 12.000 unbesetzte Stellen, die die Firmen gemeldet haben. Das ist der höchste Wert des Jahres. Auch einer der größten Anbieter in der deutschen Schwergutbranche, die Gustav Seeland GmbH, sucht dringend Fachkräfte. In dem Unternehmen stellte Fock am Donnerstag die Arbeitslosenstatistik vor.
1200 neue Jobs werden auf einer Logistikbörse auf der Veddel angeboten
Seeland sucht Kran- und Kraftfahrer, aber auch Disponenten oder Kaufleute. Gute Erfahrungen hat das Unternehmen auch mit Quereinsteigern gemacht. „Fachliche Belange schulen wir sofort, damit unsere neuen Mitarbeiter schnell verantwortlich und sicher arbeiten“, sagt Sebastian Rieger von Seeland.
Auf einer Logistik-Jobbörse am 5. September im Veddeler Bogen 2 wird sich das Unternehmen zusammen mit 32 anderen Firmen vorstellen. Insgesamt werden dort 1200 Jobs und 180 Ausbildungsplätze angeboten. Weitere Jobbörsen in den nächsten Monaten werden folgen, kündigte Fock an. „Im Oktober veranstalten wir eine branchenübergreifende in Harburg und im November zum Thema Luftfahrt.“
Beschäftigung: Fachkräfte wollen nicht in angelernte Tätigkeiten wechseln
Der Fachkräftebedarf in Hamburg bleibt aber hoch. „Betroffen sind grundsätzlich alle Branchen, da durch den demografischen Wandel in den nächsten Jahren verstärkt Arbeits-, Fach- und Führungskräfte in Rente gehen“, sagt Fock.
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Doch warum steigt dann die Arbeitslosigkeit? Es geht ja nicht nur darum, einen verlorenen Mitarbeiter durch einen anderen zu ersetzen. „Nicht nur die Fachkenntnisse müssen übereinstimmen“, sagt Fock. „Für den Arbeitslosen geht es auch noch um andere Aspekte wie die Bezahlung oder Mobilität.“ Wer kurz vor dem Rentenalter stehe, werde sich nicht auf irgendeine Stelle einlassen. Kaum einer möchte aus einem gelernten Beruf in eine angelernte Tätigkeit wechseln.
„Bislang hatte sich der Arbeitsmarkt trotz der vielen Krisen sehr stabil gezeigt. Das lag auch daran, dass Unternehmen versucht haben, die knappen Arbeitskräfte angesichts des demografischen Fachkräftemangels an sich zu binden. Nun schlagen mit etwas Verzögerung aber vor allem die Energiepreise, die allgemeine Kosteninflation und die Zinserhöhungen durch“, sagt der Hamburger Ökonom und Vorstand des Centrums für europäische Politik (cep), Henning Vöpel.
Arbeitsmarkt: fehlende Mobilität der Beschäftigten
Der konjunkturelle Abschwung sei aktuell in einzelnen Branchen besonders spürbar. Als Beispiel nennt Vöpel die Baubranche, in der im zweiten Halbjahr ein starker Einbruch zu verzeichnen sei und die wirtschaftliche Aktivität bedingt durch die hohen Baukosten und Zinsen „praktisch zum Erliegen gekommen ist“. Die Mobilität der Beschäftigten auf dem Bau sei gering. Das heißt: Sie wollen und können sich keine Jobs in andere Branchen suchen, sondern melden sich arbeitslos.
Einige würden auch in der Arbeitslosigkeit auf den „günstigsten Zeitpunkt für den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt“ warten. „Zum ersten Mal seit langer Zeit gibt es wieder so etwas wie echte konjunkturelle Arbeitslosigkeit. Strukturell bewegen wir uns aber in den nächsten Jahren weiterhin auf einem sehr geringen Arbeitslosigkeitsniveau; sagt Vöpel voraus.
Hohe Tarifabschlüsse sollen Konsum in Hamburg ankurbeln
Arbeitsplätze werden in Hamburg vor allem im Handel und bei der Instandhaltung von Kraftfahrzeugen abgebaut. Die Branchen, die neue Arbeitsplätze schaffen, liegen aber in den Bereichen technische Dienstleistungen, verarbeitendes Gewerbe und dem Gastgewerbe. „Es muss eben auch fachlich passen“, sagt Fock.
Da Hamburg auch stark vom Konsum geprägt werde, hofft Fock in den nächsten Monaten auf eine leichte Entspannung am Arbeitsmarkt. „Wenn sich die jüngsten Tariferhöhungen im Portemonnaie bemerkbar machen, wird der Konsum wieder zunehmen und nach der Ferienzeit auch neue Arbeitsplätze entstehen.“