Hamburg. Marion Krieger fertigt Hüte. Sie ist eine der Letzten ihres Handwerks in der Stadt. Die 85-jährige und ihre bewegende Geschichte.
„Ich bin zwischen Holzköpfen aufgewachsen“, so beginnt Marion Krieger ihre Geschichte. Zwischen Holzköpfen für Hüte. Denn in der Mansteinstraße betreibt die 85-jährige Hutmacherin seit den 1970er-Jahren ihr Ladengeschäft. Krieger wurde der Beruf quasi in die Wiege gelegt, denn ihre Mutter war ebenfalls Hutmacherin, genau wie sie. Ein seltenes Handwerk in Hamburg, das auszusterben droht, denn der Nachwuchs fehlt.
Jeden Tag nach der Schule kam Marion Krieger in das Geschäft ihrer Mutter in der Ferdinandstraße und rief „Ich bin’s“, damit Mutter und Angestellte nicht aus dem Atelier im Souterrain nach oben zur Ladenfläche eilen mussten. Ihren ersten Hut hat sie mit zehn Jahren gefertigt, er war braun und mit einer bunten Feder versehen – und wurde nach nur kurzer Zeit im Schaufenster verkauft. Nach dem Zweiten Weltkrieg seien Hüte ein wichtiges Statussymbol in der bürgerlichen Gesellschaft gewesen, erinnert sich Krieger. „Die Leute, besonders die Hamburger, die gingen nicht ohne Hut!”
Hutmacherin: Sie ist eine der letzten ihres Fachs in Hamburg
Bis vor ein paar Wochen hatte Marion Kriegers Laden im Hamburger Westen noch einen anderen Namen. „Arielle“, benannt nach einem Spitznamen aus ihrer Kindheit. Als Mitglied bei der Handwerkskammer hat sie sich dann wegen des Namens beraten lassen. Die Beraterin hat sie darauf aufmerksam gemacht, dass sich Spaziergänger unter dem Namen „Arielle“ nichts vorstellen können. So fiel die neue Wahl auf „Die Hutmacherin“. Seitdem laufe das Geschäft besser, sagt sie.
Der offizielle Name ihres Berufs lautet seit 2004 Modistin. In Hamburg sind aktuell drei Betriebe mit Modisten-Handwerk registriert. Früher haben zwei dieser drei Betriebe auch ausgebildet, derzeit sei kein Lehrling gemeldet, so Anemone Schlich, Sprecherin der Handwerkskammer Hamburg.
Hutmacherin aus Leidenschaft
Krieger selbst hat nie Angestellte beschäftigt. Sie habe keinen Bedarf gehabt und es vorgezogen, allein zu sein, sagt sie. Direkt hinter ihrem Ladengeschäft befinden sich Atelier und Wohnräume. Die hohen Altbauwände sind mit Bücherregalen versehen – denn ihre zweite Leidenschaft neben den Hüten ist das Lesen. An einem Hut arbeitet die Hamburgerin ein bis zwei Tage. Die Basis für einen neuen Filzhut bildet ein Stumpen, der aus Hasenhaar hergestellt wird. Die Stumpen bestellt Krieger im Großhandel aus Wuppertal, die Stoffe kauft sie lokal ein. Immer montags, wenn der Laden geschlossen hat, geht sie ins Kaufhaus oder zu einem Stoffladen am Grindel.
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Zu Kriegers Kundschaft gehören Spaziergänger und Anwohner aus dem Generalsviertel, aber auch Touristen. Neugierig fragt Krieger immer, woher die Leute kommen und was sie beruflich machen. Das gehört für sie zum Beruf dazu, denn schließlich müsse der Hut zur Persönlichkeit passen. Nachdem sie der Kundin ein paar Hüte vorgeschlagen hat, zieht sie sich in das Atelier zurück. Kundinnen würden sich dann unbeobachtet fühlen und etwas aussuchen, was die Handwerkerin ihnen möglicherweise nicht gezeigt hätte. „Das zu beobachten ist so schön, denn zum Huttragen gehört auch Mut.“ Der Preis für einen Hut bemisst sich am Aufwand und liegt zwischen 55 und 155 Euro. Wenn es etwas Besonderes sei, würde der Hut auch mal über 200 Euro kosten, sagt sie.
Hutmacherin: Kein Lehrling ist bei der Kammer gemeldet
Krieger hat sich als junge Frau von der Handwerkskammer prüfen lassen. Nach erfolgreich abgeschlossener Prüfung sagte man ihr: „Behüten Sie die Hamburgerinnen und Hamburger.” Das sollte ihr Lebensmotto werden, allerdings wurde auch sie in einem entscheidenden Moment behütet. Mit 23 Jahren packte Krieger die Abenteuerlust: Mit dem Auto nach Paris, das war ihr Ziel. Unterwegs hatte sie einen Autounfall auf nasser Fahrbahn, der sie beinahe das Leben gekostet hat.
Sie überlebte und wachte in einem Krankenhaus in München auf. Dort gefiel es ihr gut, sie knüpfte schnell Kontakte und blieb für zwei Jahre. Durch einen Zufall durfte sie in einem Schaukasten im Bayerischen Hof Hüte dekorieren. Woher sie damals das Selbstbewusstsein dafür nahm? „Es hat sich immer natürlich angefühlt und nie wie Arbeit“, sagt die Hutmacherin aus der Mansteinstraße.