Hamburg. Hamburg hofft auf mehr Investitionen und Ladung. Das Geschäft könnte andere Kunden verprellen – ein Deal mit Chancen und Risiken.

Es ist eine Zäsur in der 138-jährigen Geschichte der Hamburger Hafen und Logistik AG. Am frühen Mittwochmorgen, noch vor Börsenöffnung, verkündete der Hamburger Senat, dass er 49,9 Prozent des wichtigsten Hamburger Hafenkonzerns an die weltgrößte Reederei MSC mit Hauptsitz in Genf verkauft. Ein Paukenschlag nur einen Tag vor dem Start der großen Nationalen Maritimen Konferenz. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen, wie der Deal zustande gekommen ist und was er für die Stadt und den Hafen bedeutet.

Hafen Hamburg: Warum ist es überhaupt zum Geschäft mit MSC gekommen?

Nachdem absehbar war, dass eine Einigung zwischen der HHLA und Eurogate über eine Fusion auf absehbare Zeit nicht zustandekommen würde, machte sich der Senat auf die Suche nach anderen Partnern, um die Abwärtsspirale der HHLA zu stoppen. Natürlichster Interessent war die Reederei Hapag-Lloyd, an der die Stadt 13,9 Prozent hält und mit der der Senat gut zusammenarbeitet. Doch Hapag-Lloyd beharrte auf eine Mehrheitsbeteiligung an der HHLA, was Dressel und Leonhard im Sinne der Stadt nicht mittragen wollten. Auch der Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne war nur an einer Mehrheitsbeteiligung interessiert. MSC erwies sich bei dieser Frage gesprächsbereiter. „Diesen Deal hätte Hapag-Lloyd auch haben können“, hieß es dazu am Mittwoch aus Senatskreisen.

MSC steigt bei der HHLA ein: Wie wurde die Vereinbarung eingefädelt?

Maßgeblich verhandelt wurde der Deal offenbar von Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard, Finanzsenator Andreas Dressel und dem Vorstandschef von MSC, Søren Toft. Er war früher Operativer Vorstand der Reederei Maersk. Seit März war man im Gespräch. Toft kam nach Hamburg. Die beiden Senatoren waren auch nach Genf gereist. Unterstützt wurden die Gespräche durch die Commerzbank, die als Berater für MSC bei dem Geschäft fungierte, wie aus dem Senat verlautete. Der Transaktionswert liege bei 2,6 Mrd. Euro, hieß es aus Finanzkreisen.

Wie sieht der geplante Deal im Detail aus?

Es ist ein kompliziertes Geschäftsmodell. Ganz konkret unterbreitet die Port of Hamburg Beteiligungsgesellschaft SE das Angebot zur Übernahme an HHLA-Anteilen. Bei der Gesellschaft handelt es sich um eine 100-prozentige Tochter von MSC. Sie bietet 16,75 Euro pro Aktie. Zugleich gibt es laut Senat eine Vereinbarung zwischen der Stadt Hamburg und MSC. Nach dieser wird die Hamburger Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsmanagement (HGV), eine 100-prozentige Tochter der Stadt, die bereits jetzt von ihr gehaltenen Aktien (der Stadt gehören 69 Prozent der HHLA) in Form eine Sachkapitalerhöhung auf die MSC-Beteiligungsgesellschaft übertragen. Im Gegenzug erhält die HGV erneut Aktien von der MSC-Tochter. Ziel ist es, dass die städtische HGV am Ende die Mehrheit mit 50,1 Prozent an der neuen HHLA hält und MSC 49,9 Prozent besitzt. Die Stadt bliebe also Mehrheitseignerin.

Wer ist MSC?

Die Reederei MSC besteht seit 1970. Die von dem italienischen Kapitän Gianluigi Aponte in Sorrent gegründete Schifffahrtsgesellschaft verdiente ihr Geld anfangs als Trampfahrer im Mittelmeer und somit als Dienstleister großer Linienreedereien. Dann stieg das Unternehmen in das Linienfahrtgeschäft ein und wuchs innerhalb von zwei Jahrzehnten zu eine weitweit operierenden Containerreederei.

Bürgermeister Peter Tschentscher (r.) und MSC-Chef Søren Toft, besiegelten den Deal am Mittwoch im Kaisersaal des Rathauses mit einem Handschlag. Finanzsenator Andreas Dressel (SPD, l) und Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD, 2.v. l.) hatten die Übereinkunft wesentlich mitausverhandelt.
Bürgermeister Peter Tschentscher (r.) und MSC-Chef Søren Toft, besiegelten den Deal am Mittwoch im Kaisersaal des Rathauses mit einem Handschlag. Finanzsenator Andreas Dressel (SPD, l) und Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD, 2.v. l.) hatten die Übereinkunft wesentlich mitausverhandelt. © dpa | Christian Charisius

Seit 1975 ist der Hauptsitz von MSC Genf in der Schweiz. Heute betreibt MSC dem jüngsten Report des Branchendienstes Alphaliner zufolge 783 Schiffe und hat einen Marktanteil von 19,3 Prozent. Sie hat damit Maersk als weltgrößte Handelsreederei deutlich überholt. Hinzu kommt ein bedeutendes Standbein als Kreuzfahrtanbieter. Allerdings hat die Reederei in der Vergangenheit mit allerlei negativen Schlagzeilen von sich reden gemacht. Zuletzt kämpfte sie mit dem Vorwurf, von Drogenschmugglern missbraucht worden zu sein.

Welche Vorteile hat der Hamburger Hafen durch das Geschäft?

MSC verspricht, jährlich mindestens eine Millionen Standardcontainer (TEU) mehr in den Hamburger Hafen zu bringen. Bei einem gesamten Umschlagsvolumen von rund 8,5 Millionen TEU ist das eine bedeutende Menge. MSC hat sich zudem verpflichtet, in der HafenCity auf 12.000 Quadratmetern seine neue Deutschlandzentrale zu bauen und die Mitarbeiterzahl auf 700 mehr als zu verdoppeln. Noch wichtiger ist aber, dass die Stadt durch den Verkauf ihrer HHLA-Anteile mehr als eine Milliarde Euro erzielen wird. Das Geld wird dringend bei der Digitalisierung der Containerterminals gebraucht. Insbesondere am Burchardkai gibt es einen Modernisierungsstau. Dort soll der Ladungsumschlag wie am Containerterminal Altenwerder künftig automatisiert stattfinden.

Was wird aus dem aktuellen Management der HHLA?

Beim HHLA-Vorstand sind derzeit keine personelle Veränderungen geplant, wie der Senat am Mittwoch betonte. Vielmehr sei es so, dass bei einem Vorhaben dieser Größenordnung, das eine Reihe von Investitionen nach sich ziehe, alle Akteure an Bord gebraucht würden, betonte Leonhard.

Was bedeutet der Deal für die Beschäftigten?

Finanzsenator Dressel legt Wert auf die Feststellung, dass die Mitbestimmungsrechte der HHLA-Beschäftigten von diesem Deal nicht berührt würden „Die Sozialpartnerschaft bleibt bestehen.“

Welche Risiken gibt es für Hamburg?

Nach Informationen des Abendblatts haben Dressel und Tschentscher noch am Mittwoch das Gespräch mit dem Vorstandschef von Hapag-Lloyd, Rolf Habben Jansen, und Aufsichtsratschef Michael Behrendt gesucht. Aus gutem Grund. Hapag-Lloyd hat der Stadt in den vergangenen zwei Jahren gut 2,4 Milliarden Euro an Dividendeneinnahmen beschert. Jetzt wird der Reederei eröffnet, dass man einen ihrer schärfsten Konkurrenten an Bord holt. Nicht genug damit: Als Holding-Mitglied hat MSC künftig auch Mitspracherecht am Containerterminal Altenwerder, an dem Hapag-Lloyd 25 Prozent hält. Da sind Konflikte programmiert. Hamburg muss verhindern, dass sich ihre natürliche Partnerrederei umorientiert. Ein Stück weit hat Hapag-Lloyd das mit der Übernahme des Containerterminals in Wilhelmshaven schon getan. Unsicher ist auch, wie die HHLA-Beschäftigten auf den Deal reagieren. Sie sind gewerkschaftlich gut organisiert und haben schon einmal einen Mehrheitsverkauf der HHLA durch die Androhung massiver Streiks verhindert. In einer ersten Stellungnahme wehrt sich Ver.di gegen den Verkauf.

Die größte Frage ist aber, wie die tägliche Zusammenarbeit zwischen HHLA-Geschäftsführung und ihrem neuen Miteigentümer aussehen wird. MSC ist eine Reederei mit klaren Zielen. Das Unternehmen wird kaum die Füße stillhalten, wenn es Entwicklungen gibt, die den eigenen Erwartungen zuwiderlaufen.

HHLA-Deal im Hamburger Hafen: Wie reagiert die Börse?

An der Börse kamen die Nachrichten – wenig überraschend – gut an. Denn ein Übernahmeangebot zu einem Preis deutlich über dem Börsenkurs beflügelt verständlicherweise die Fantasie der Aktionäre. So stieg der Aktienkurs am Mittwoch – nach Bekanntgabe der MSC-Pläne – um fast 50 Prozent auf mehr als 17 Euro. Damit lag der Wert des Papiers sogar klar über der MSC-Offerte von 16,75 Euro. Das kann als Zeichen interpretiert werden, dass die Aktionäre auf ein noch besseres Angebot von MSC hoffen oder sogar auf einen Bieterkampf mit einer anderen Reederei setzen. Ohnehin hat der gestrige Tag der HHLA-Aktie mehr als gut getan. Denn schaut man auf die vergangenen Monate, so verharrte der Kurs im Schnitt bei rund elf Euro, sackte sogar zeitweise auf zehn Euro ab. Zum Vergleich: Vor der Pandemie war das Papier in der Spitze mehr als 25 Euro wert.