Hamburg. Nina Zimmermann, Chefin des Firmenbewertungs-Portals Kununu, verrät, worauf junge Bewerber Wert legen.

Seit gut einem Jahr ist Nina Zimmermann Chefin von Kununu, einer Bewertungsplattform für Unternehmen im Internet. Bei der Tochterfirma der Hamburger New Work SE, zu der auch das bekannte Karriere-Netzwerk Xing gehört, wurden bisher 4,7 Millionen authentische Erfahrungsberichte für Tausende Betriebe abgegeben, von A wie Amazon bis Z wie Zurich Versicherung. Die 47-Jährige kennt sich wie kaum eine andere Managerin mit dem Innenleben von Firmen und mit den dort gezahlten Gehältern aus, denn auch diese werden auf der Plattform von vielen Beschäftigten öffentlich gemacht.

Zudem weiß sie von den Ansprüchen, mit denen viele jüngere Leute an ihren neuen Arbeitgeber herantreten. „Habe ich eine Viertagewoche, wann kann ich eine Auszeit nehmen, Homeoffice ist doch eine Selbstverständlichkeit?“, fragen immer mehr Bewerber bereits im ersten Vorstellungsgespräch. Nina Zimmermann wiederum appelliert vor allem an ältere Unternehmenslenker, unbedingt ihren Führungsstil zu überdenken, um auch in Zeiten des Fachkräftemangels Nachwuchs anzulocken.

Frau Zimmermann, Sie sind gebürtige Britin, haben hierzulande aber auch bei Burda, T-Online und Ricardo.de gearbeitet – wie unterscheiden sich die Firmenkulturen in England und Deutschland?

Ich war in etlichen Unternehmen, in kleinen und großen, und hatte dabei spannende Einblicke. Ein guter Witz kommt in England bestens an, aber auch das Persönliche spielt eine große Rolle. Ich weiß dort mehr über das Leben meiner Kollegen als es in Deutschland üblich ist. Die Trennung zwischen beruflich und privat ist in Großbritannien nicht so ausgeprägt. Andererseits sind die Deutschen direkter, und sie entschuldigen sich nicht ständig.

Wie entwickeln sich die Ansprüche junger Bewerber?

Die jüngeren Leute wollen eine neue Unternehmenskultur. Die Pandemie hat dazu einiges beigetragen, sie hat Entwicklungen beschleunigt, die sonst Jahrzehnte gedauert hätten. Wir haben uns bei Videokonferenzen im Privatleben gesehen, mal ist die kleine Tochter im Zimmer aufgetaucht, dann läuft die Katze durchs Bild. Diese Einblicke haben das Verständnis füreinander vertieft.

Der Mitarbeiter wird nicht nur als IT-Fachmann, sondern auch als Vater gesehen?

Ja – und damit wird es eine Selbstverständlichkeit, wenn ich mal schnell die Kinder in die Kita bringe. Oder nachmittags kurz joggen gehe und dafür abends länger arbeite.

Und die Führungskraft muss vertrauen?

Ja, unbedingt. Die Corona-Zeit hat gezeigt, dass viele Leute mehr gearbeitet haben und im Homeoffice effizienter waren, die Zahl der Fälle von Burnout sind gestiegen. Das beweist, dass die Beschäftigten nicht weniger produktiv waren. Ich kann auch im Büro sitzen und nur aus dem Fenster schauen. Warum sollten wir nicht das Positive sehen und stattdessen das Schlechte im Menschen erwarten? Zugleich müssen sich die Führungskräfte auch selber als Menschen zeigen, das erwartet die jüngere Generation. Bisher haben viele Vorgesetzte noch nicht einmal ein Foto ihrer Kinder auf dem Schreibtisch, niemand weiß, wo sie wohnen. Es hat aber mit Wertschätzung und Vertrauen zu tun, dass man sich gegenseitig kennt und beispielsweise auch weiß, wie man seine Freizeit verbringt.

Expertin: So locken Hamburger Unternehmen Fachkräfte an

Wie leben Sie außerhalb des Büros?

Ich bin Mutter von zwei Kindern, koche wahnsinnig gerne indisches Essen, lese und boxe gerne. Auch Reisen gehört dazu, als Nächstes geht es nach Bali. Darauf freue ich mich schon sehr (lacht).

Wie locken Hamburger Firmen aktuell Fachkräfte an – haben Sie Beispiele?

Bei der Techniker Krankenkasse gehören Sabbaticals (monatelange Auszeiten, die Red.) zu den Vorteilen für die Beschäftigten. Diese können mit einem Lebensarbeitszeitkonto individuell ihre Bedürfnisse nach Auszeiten planen. Auch wenn Kinder erkrankt sind oder Angehörige gepflegt werden, ist eine bezahlte Freistellung möglich. Oder bei Batterie Kutter in Norderstedt können Beschäftigte ein E-Auto leasen und in der Firma kostenfrei laden, loben die Mitarbeiter bei Kununu.

Welche Wünsche äußern Bewerber heute bereits im Vorstellungsgespräch?

Es ist salonfähig geworden, direkt nach einer Viertagewoche zu fragen. Wir haben einen Arbeitnehmermarkt. Wenn ich gut bin in dem, was ich tue, kann ich vieles bestimmen. Homeoffice gehört praktisch zur Erwartungshaltung: Die Hälfte der Bewerber würde gar nicht erst bei einem Unternehmen anfangen, das die Arbeit von zu Hause nicht zulässt. Beim Thema Gehalt habe ich schon von einer Bewerberin gehört, die vor dem ersten Kennenlernen nach der angebotenen Summe fragte.

Gehalt Hauptgrund für Arbeitgeberwechsel

Wie wichtig ist das Gehalt für Bewerber?

Es ist fast immer der Hauptgrund, zu einem anderen Unternehmen zu wechseln. Es ist aber nicht die Ursache, weswegen man bleibt. Meine Firma kann mir 10.000 Euro mehr zahlen, aber wenn mein Chef mich jeden Tag anschreit, suche ich mir etwas Neues.

Laut einer Studie der Unternehmensberatung Kienbaum wünschen sich 71 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr Transparenz beim Thema Gehalt. Wie halten Sie es damit?

Bei Kununu haben wir sogenannte Gehaltsbänder für gewisse Standorte und Funktionen. In einer Bandbreite von beispielsweise 50.000 bis 70.000 Euro sehe ich dann verschiedene Punkte, die für die jeweilige Summe stehen. Namen werden aber nicht genannt.

Und Ihr eigenes Gehalt machen Sie ebenfalls öffentlich?

Das möchte ich jetzt nicht nennen. Gehälter einzelner Personen sind bei uns nicht einsehbar – das gilt auch für mich.

Wie gut zahlen die Firmen in Hamburg?

Unter den 30 großen deutschen Städten liegt bei den Auswertungen von Kununu Hamburg auf dem zehnten Platz, mit einem Durchschnittsgehalt von 49.000 Euro. München liegt mit knapp 56.000 Euro an der Spitze, als starker IT-Standort, Deutschlandsitz von Microsoft und Amazon, aber auch von BMW.

Gehälter: Warum in Hamburg relativ wenig gezahlt wird

Angesichts der Lebenshaltungskosten erscheint Platz zehn für Hamburg nicht so herausragend ...

Die Unterschiede ergeben sich durch den Branchenmix: Stuttgart mit Automobilkonzernen, Frankfurt mit seinen Banken belegen Rang zwei und drei. Dann folgt Wiesbaden mit staatlichen Einrichtungen wie dem Bundeskriminalamt oder dem Statistischen Bundesamt sowie der R+V Versicherung, darauf Bonn, ehemalige Bundeshauptstadt, mit Arbeitgebern wie der Deutschen Telekom oder der Deutschen Post. Vor Hamburg liegen dann noch Düsseldorf, Karlsruhe, Köln und Mannheim.

Was machen Unternehmen, um marktkonform zu entlohnen?

Sie kaufen sich Gehaltsstudien, um mindestens Marktpreise zu zahlen. In Hamburg existiert auch ein starker Wettbewerb innerhalb der Stadt. Die Leute wollen gerne hierbleiben. Andererseits können viele Beschäftigte, etwa in der IT, heute von überall arbeiten. Große amerikanische Unternehmen wie Google oder Apple stellen viele Entwickler ein, haben bisher aber auch sehr viel in attraktive Büros investiert, auch hier in Hamburg. Es ist fraglich, wie sie jetzt im globalen Wettbewerb um Talente damit umgehen.

Und welche Branchen haben gehaltsmäßig zuletzt stark zugelegt?

Seit 2020 sind die Gehälter in der Hamburger Energiebranche mit Arbeitgebern wie Hansewerk AG, Stromnetz und Gasnetz Hamburg und Vattenfall am stärksten gestiegen, um 6,34 Prozent. Darauf folgen Medizin und Pharma mit einem Plus von 6,28 Prozent, mit Firmen wie AstraZeneca, Chiesi, PerkinElmer Cellular Technologies und Evotec. Dann mit einem Anstieg von knapp sechs Prozent Chemie­betriebe wie Shell Deutschland, die Helm AG und Essity. Zu den Bereichen mit stagnierenden Verdiensten seit 2020 gehören Transport und Logistik, Marketing, Werbung und PR sowie IT.

Fehlt es Chefs an Menschlichkeit?

Die Gehaltsschere scheint immer weiter auseinanderzugehen – welchen weiteren Trend sehen Sie hierbei?

Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass wegen Personalmangels Restaurants schließen mussten oder Reisen abgesagt wurden. Diese Entwicklung stimmt mich zuversichtlich, dass es eine ausgeglichenere Bezahlung geben muss. Ich hoffe, dass Unternehmen diese Haltung annehmen und nicht nur in den oberen Etagen jedes Jahr soundsoviel Prozent mehr zahlen.

Der Wunsch jüngerer Leute nach besserer Work-Life-Balance kann dazu führen, dass sie weniger häufig in Managementpositionen streben?

Ja, diese Tendenz sehen wir. Besonders traurig ist auch, dass weniger Frauen als Männer diesen Wunsch haben. Vielleicht gibt es zu viele schlechte Vorbilder, Chefs, die glauben, nur mit längerem Arbeiten und einer Verfügbarkeit von 24 Stunden sei ein Aufstieg möglich. Und denen andererseits die Empathie fehlt, die Menschlichkeit.

Haben Sie selbst immer eine Führungsposition angestrebt?

Das war eher ein natürlicher Prozess. Ich führe gerne, habe Ambitionen. Zugleich habe ich gelernt, dass man nicht alles alleine machen kann. Man muss Menschen begeistern. Ich arbeite sehr gerne mit Kollegen zusammen, mit verschiedenen Leuten. Ich bin in Großbritannien aufgewachsen, als Teil einer großen indischen Familie. Meine Eltern kamen aus dem Punjab nach London, und meine Mutter hat sich hochgearbeitet – bis zur Direktorin einer Schule. Ich habe also gesehen, dass man mit Fleiß und Ehrgeiz nach vorne kommen kann.