Nach dem Angriff auf Streifenbeamte stellt sich der Hauptverdächtige den Ermittlern. Der Senat hat eine Sonderkommission eingerichtet.
Hamburg. Amor S. hatte sich mit seinem Rechtsanwalt besprochen. Der sagte ihm, dass er sich als Beschuldigter nicht selbst belasten müsse. Am Montag um 22.50 Uhr ging der 31-Jährige schließlich in das Polizeipräsidium in Alsterdorf und stellte sich den Beamten. Zwei Tage nachdem er laut Ermittlungen einen 46-jährigen Polizeikommissar in Neugraben mit einem Fußtritt in dessen Gesicht schwer verletzt hatte.
Die Nacht hatte Amor S. in einer Zelle verbracht. Am Dienstagnachmittag wurde er dem Haftrichter vorgeführt. "Die Staatsanwaltschaft hat einen Haftbefehl wegen des dringenden Verdachts des versuchten Totschlags und der gefährlichen Körperverletzung beantragt", sagt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers. Amor S. bestritt die Vorwürfe. Anschließend erließ der Richter den Haftbefehl wegen Fluchtgefahr.
Amor S. ist der Hauptverdächtige bei dem Überfall auf Polizisten, bei dem fünf Beamte am Sonnabend zum Teil schwer verletzt worden sind. Rund 30 Männer und Jugendliche hatten die Beamten angegriffen. Sie zerschlugen Gehwegplatten und warfen Betonbrocken auf die Polizisten. Schließlich traten und schlugen die Angreifer auf die Polizisten ein. Erst ein Großaufgebot von 30 Streifenwagenbesatzungen stoppte die Attacken. 16 Verdächtige wurden vorläufig festgenommen. Alle haben einen Migrationshintergrund und sind polizeibekannt.
Ausgangspunkt der Eskalation war die Festnahme eines Exhibitionisten. Der 27-Jährige, ebenfalls bei der Polizei bekannt, hatte in der Nähe des S-Bahnhofs Neuwiedenthal uriniert und sein Geschlechtsteil einer Frau mit zwei Kindern gezeigt. Weil der Mann sich laut Polizei gewehrt hatte, "wurde er zu Boden gebracht".
Auf einem Handy-Video ist zu sehen, wie einer der Beamten mit seinem Schlagstock auf den am Boden liegenden Mann einschlägt, während der andere die pöbelnden Männer in Schach hält. Das Video stammt aus dem Umfeld der Täter. Es zeigt allerdings nicht, wie es zu dem Schlagstockeinsatz kam. Auch zeigt es die späteren Angriffe auf die Beamten nicht. Die Bilder waren in der Öffentlichkeit in die Kritik geraten, da sie den Anschein erweckten, ein wehrloses Opfer sei von der Polizei grundlos verprügelt worden.
DAS HANDY-VIDEO VOM POLIZEIEINSATZ IN NEUGRABEN
"Wenn man sich den Ausschnitt der Zwangsmaßnahmen allein ansieht, entsteht ein falscher Eindruck", sagt Polizeisprecher Ralf Meyer. Die Aufnahmen zeigten nicht, dass der Festgenommene den Beamten mit einem Faustschlag in den Genitalbereich angegriffen hat.
"Der Beamte musste mit seinem Einsatzstock verhindern, dass der Festgenommene ihn angreift oder sogar flüchtet." Wäre es zu einem Kampf zwischen dem Polizisten und dem Verdächtigen gekommen, hätte die Gefahr bestanden, dass die zehn umherstehenden Männer angegriffen hätten. Das Dezernat Interne Ermittlungen, welches Dienstvergehen ermittelt, habe keinen Anfangsverdacht gegen den Beamten erhoben.
Pastorin Susanne Lindenlaub-Borck kann sich nicht erklären, warum es zu der Eskalation gekommen ist. Schließlich habe der Förderverein Neuwiedenthal, dessen Vorsitzende sie ist, bereits mit der Polizei Konflikte entschärfen können: "Die Videoaufnahme muss genau analysiert werden. Ich weiß selbst auch von völlig unbeteiligten Jugendlichen, die trotzdem von der Polizei festgenommen wurden."
Einen Angriff, wie ihn Amor S. ausgeführt haben soll, rechtfertigt das allerdings nicht. 1997 war er zu dreieinhalb Jahren Haft unter anderem wegen Erpressung verurteilt worden. Seinetwegen warf sich der damals 17 Jahre alte Mirco Sch. vor eine Bahn (siehe links).
Amor S. war bereits vorher wegen Schlägereien und Erpressungen angezeigt worden. Er hatte zudem einen Sozialarbeiter verprügelt und ihm ein Messer in das Bein gerammt. Während die Fahnder vor 13 Jahren die Komplizen von Amor S. festnahmen, saß er bereits im Gefängnis. Der damals 18-Jährige hatte während seiner Bewährungszeit einen Straßenraub begangen.
Aber auch nach seiner Entlassung ist Amor S. immer wieder polizeilich aufgefallen:
Dezember 2005: Nach einer Beamtenbeleidigung wird er zu 500 Euro Geldstrafe verurteilt.
Januar 2007: 600 Euro Strafbefehl wegen Drogenbesitzes.
Juni 2007: Nachdem er eine Frau mehrfach ins Gesicht geschlagen hat, muss er 500 Euro Geldstrafe zahlen.
März 2008: Amor S. wird bei einer Verkehrskontrolle ohne Fahrerlaubnis, stattdessen mit einem gefälschten Führerschein erwischt. 900 Euro Strafe.
Juni 2009: Nach einer Schlägerei erhält S. einen Strafbefehl über 900 Euro.
Heute soll der verletzte Polizist operiert werden. Noch immer ist unklar, ob er auf einem Auge erblinden wird. Er ist derjenige, der mit dem Schlagstock auf den 27-Jährigen eingeschlagen hat. Drei seiner Kollegen sind noch bis nächste Woche krankgeschrieben. Der Fünfte ist wieder im Dienst.
+++ SO KRIMINELL IST IHR STADTTEIL +++
Der Senat hat nun eine "Senatskommission gegen Gewalt in der Öffentlichkeit" eingerichtet. Unter der Leitung der Innenbehörde wird diese sich nicht nur mit dem Überfall beschäftigen. Ziel sei, die Situation in Hamburg insgesamt und diese mit anderen Städten vergleichen. Auch Justiz- und Sozialbehörde sowie nötigenfalls weitere Institutionen werden vertreten sein. SPD-Innenexperte Andreas Dressel bezeichnete die Pläne als "hilflos". "Der Senat ersetzt vernünftige Innenpolitik durch hektischen Aktionismus."