Viele Menschen in Neuwiedenthal haben Angst vor Jugendgruppen
Manchmal, wenn Banu Graf, 40, es zulässt, spürt sie eine Unruhe tief in sich. "Hier prallen viele soziale Schichten aufeinander. Man weiß eigentlich gar nicht so genau, was in den Milieus los ist", sagt die Lehrerin. Seit 13 Jahren lebt sie in Neuwiedenthal, unterrichtet an der Schule Neugraben. Natürlich hat sie davon gehört, wie die Gewalt am Sonnabend im Schatten der Betonburgen am Rehrstieg eskaliert ist. Banu Graf schüttelt nur den Kopf. Es ist nicht so, dass sie Angst hat. Aber sie hört vieles. Auch, dass es Banden gibt und dass die sich gegenseitig bekriegen.
Aber eine solche brutale Schlägerei? Die meisten sind einfach nur fassungslos. Alle wollen wissen, was passiert ist. Am Kiosk von Salih Kalender, 28, im Tunnel S-Bahn-Station Neuwiedenthal ist das Tageszeitungsangebot an diesem Montagvormittag schon sichtlich gelichtet. "Schlägereien, Anpöbeln - das kommt hier oft vor. Der Respekt vor der Polizei ist kaum noch da", sagt Kalender. Oft kämen auch Unfriedenstifter in seinen Laden. "Die sind so 16 bis 17 Jahre alt und auf Krawall aus. Die schmeiß ich raus. Ich lasse mir von denen nichts bieten."
Nicht alle sind so mutig. "Der Stadtteil wird immer unsicherer", sagt eine ältere Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Aus Angst. Öfter schon sei sie angepöbelt worden. "Man darf diese Jugendlichen nicht angucken, sonst muss man befürchten, zusammengeschlagen zu werden."
Neuwiedenthal ist das, was man einen sozialen Brennpunkt nennt. Viele Menschen in den Hochhäusern rund um den S-Bahnhof haben ausländische Wurzeln. Fast ein Viertel der Bewohner, also mehr als 5000 Kinder und Jugendliche, ist unter 18 Jahre alt.
Trotzdem, sagt Matthias Malowitz, Leiter der Polizeiwache Neugraben, falle der Stadtteil in der Gewaltstatistik nicht auf. "Probleme gibt es manchmal am Wochenende an den S-Bahnhöfen Neuwiedenthal und Neugraben, wenn einige Bewohner betrunken vom Kiez wieder nach Hause kommen." Außerdem hätten Präventionsprojekte, die vor zehn Jahren an Schulen eingeführt worden sind, positive Wirkung gezeigt. Gewalt gegen Polizeibeamte "ist in dieser Form in den vergangenen Jahren nie da gewesen".
Und eine einfache Erklärung gibt es offenbar auch nicht. Slims Sfaxi, 21, ist einer von denen, die am Sonnabend mitgeprügelt haben. Der gebürtige Tunesier ist schon häufiger mit der Polizei in Konflikt gekommen, wurde mit Rauschgift erwischt, hat geklaut. Acht Stunden war er in der Nacht auf Sonntag in Polizeigewahrsam. "Wir sind nicht die Harmlosesten, aber dieses Mal ging die Gewalt von der Polizei aus." Das beweise das Handy-Video, das inzwischen auch auf YouTube zu sehen ist. Auch Bewohner des nahen Hochhauses wollen gesehen haben, dass die Polizisten auf den wehrlos am Boden liegenden Mann eingeprügelt haben. Sfaxi sagt, er habe einen Rechtsanwalt eingeschaltet, sei auch im SPD-Büro in Harburg gewesen. "Wir sind keine Polizistenschläger."
Auch wenn gestern Abend das Leben rund um den Neuwiedenthaler Bahnhof scheinbar seinen gewohnten Gang nahm, unter der Oberfläche gärt es. Es gibt viele, die sich abends nicht mehr auf die Straße trauen. "Ich habe schon oft Angst gehabt. Die Jugendlichen sitzen im Treppenhaus, rauchen und trinken", sagt eine junge Türkin, die mit ihren Kindern in einem der Hochhäuser wohnt. Sie will nur noch weg. Und auch Fleischereiverkäuferin Susanne Hosemann, 48, ist beunruhigt. "Sie kommt immer näher, diese Brutalität, die Respektlosigkeit." Sie fahre nur noch mit dem Auto zur Arbeit.