Hamburg. Der Verkehrsminister legt sich für die Deutsche Bahn ins Zeug. Gewerkschaft fordert 100 Milliarden Euro. Es geht um viele Hamburger Projekte.

Redet so ein scheidender Bundesverkehrsminister? Sieht so eine lame duck aus? Volker Wissing hat mit einer flammenden und emotionalen Rede beim Hamburger Kongress der größten deutschen Eisenbahngewerkschaft EVG für eine voll durchfinanzierte Sanierung der Deutschen Bahn geworben, für das Deutschlandticket und für eine zukunftsträchtige Mobilität auf Gleisen. Gleichzeitig sagte Wissing, der nach dem Bruch der Ampel-Koalition in Berlin aus der FDP austrat und im Amt blieb: „Der Übergang zu einer nächsten Bundesregierung führt nicht dazu, dass es zu einem Abriss der Infrastrukturmaßnahmen kommt. Die Eisenbahn ist Herzstück unserer Mobilität und Logistik.“

Die Gewerkschafter quittierten Wissings Rede mit Zwischenapplaus und großem Beifall nach dem Ende. Der Verkehrsminister war aus Berlin per Video zugeschaltet, weil es schon am Dienstag wetterbedingte Probleme bei der Anreise gegeben hatte. Er wollte aber unbedingt bei dem Hamburger Kongress sprechen.

Wissing in Hamburg: Deutschlandticket soll auch nach 2025 erhalten bleiben

„Das Netz der Bahn ist nicht okay, aber Sie müssen das aushalten“, sagte Wissing und spielte darauf an, dass es die Eisenbahner seien, die im direkten Kontakt mit den Fahrgästen oder den Wirtschaftskunden der Deutschen Bahn seien. „Die Sanierung ist ein gemeinsames Projekt, nicht nur der Regierung.“ Auch die Bauindustrie habe daran gezweifelt, ob es zum Beispiel gelänge, die Riedbahn zwischen Frankfurt/Main und Mannheim in einem Rutsch so intensiv und so schnell zu modernisieren. Ohne es beim Namen zu nennen, dachte Wissing auch an Sanierungskorridore wie den von Hamburg nach Berlin oder nach Hannover.

Der Hamburger Hauptbahnhof.
Der Hamburger Hauptbahnhof zählt 550.000 Fahrgäste pro Tag und soll umgebaut und erweitert werden. © Thorsten Ahlf | Thorsten Ahlf

„Ich habe an die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner geglaubt“, so Wissing. In der Regierung sei er immer wieder gefragt worden: „Brauchst du wirklich so viel Geld, ist das nicht übermütig?“ Der Verkehrsminister machte in Hamburg klar, dass es einen Infrastrukturfonds für die Bahn brauche. Er wolle gegenüber dem Bundesfinanzminister (bisher: Christian Lindner) nicht immer als Bittsteller auftreten. Das Geld für Digitalisierung – Wissing nannte digitale Stellwerke wie jenes, das die Hamburger S-Bahn bekommen soll – und die Oberleitungen wie die Bahnhöfe sei gut angelegt. „Wir können im Infrastrukturbereich zeigen, dass wir in Deutschland leistungsfähig sind.“

Deutsche Bahn: Flammende Rede des scheidenden Verkehrsministers

Das Deutschlandticket nannte Wissing ein „Erfolgsprojekt“: „Noch nie war es so leicht und so einfach, Bus und Bahn zu benutzen. Noch nie hatten wir so viele Menschen mit einem Abo. 13 Millionen Menschen nutzen es zurzeit. Das Deutschlandticket darf den Menschen nicht mehr weggenommen werden. Hier muss Geld ins System.“ Das Abo-Ticket, das sich demnächst im Preis von 49 auf 58 Euro erhöht, wird von Bund und Ländern gemeinsam finanziert.

Damit machte Wissing klar, dass sich Zuschüsse für das Deutschlandticket und Sanierung der Bahn nicht ausschließen dürfen. Den Eisenbahngewerkschaftern sagte er: „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind das Wertvollste an der Deutschen Bahn. Danke, dass ich auf Sie zählen kann. Sie können auf mich weiter zählen. Ich werde alles dafür tun, dass die Verkehrspolitik so übergeben wird, dass es weitergeht mit den Investitionen bei der Deutschen Bahn.“

Eisenbahngewerkschaft will Sondervermögen wie bei der Bundeswehr

Die Eisenbahngewerkschaft EVG hat ähnlich wie für die Bundeswehr nach dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine ein Sondervermögen für die Infrastruktur der Deutschen Bahn gefordert. Beim Kongress in Hamburg sagte der EVG-Vorsitzende Martin Burkert, es gehe darum, die Schiene langfristig zu finanzieren. Er warf die Summe von 100 Milliarden Euro analog zum Sondervermögen Bundeswehr in den Raum. Ein Sondervermögen läuft quasi neben dem Bundeshaushalt und ist zweckgebunden.

Burkert bezifferte die eigentliche Summe, die zur Sanierung der Bahn-Infrastruktur notwendig sei, sogar auf 360 Milliarden Euro. „Das eignet sich nicht für parteipolitische Ränkespiele oder Gezänk“, sagte Burkert und spielte auf das Ampel-Aus in Berlin an. Ausdrücklich lobte der Gewerkschaftsvorsitzende Verkehrsminister Wissing. Er habe mit seiner Entscheidung „Rückgrat bewiesen“. Und: „Wissing hat sich gegen den Finanzminister für mehr Mittel für die Bahn starkgemacht. Wir arbeiten an einem Strang.“

Sanierung bei der Deutschen Bahn vor allem in Hamburg

Elbtower in der Hamburger HafenCity und S-Bahn- sowie U-Bahn-Station Elbbrücken
Der Elbtower steht an den Hamburger Elbbrücken, die dringend saniert werden müssen. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Wissing habe die Strukturreform der Bahn begonnen, die noch viele Jahre brauche. „Man kann die Infrastrukturprojekte nicht auf die lange Bank schieben. Das wäre zum Schaden des Landes.“ Burkert erinnerte an marode Brücken und Gleise, von denen Hamburg besonders betroffen ist, wo unter anderem ein Dutzend Elbbrücken erneuert werden müssen. Noch immer gebe es bei der Deutschen Bahn Stellwerkstechnik aus dem Jahr 1912 und Vorschriften aus dem Jahr 1938. „Wer das erlebt – das glaubt einem kein Mensch.“

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Einen Hoffnungsschimmer sah Burkert in der Zusage der Union, die Weitersanierung Strecke Hamburg–Berlin auch im Jahr 2025 zu finanzieren. Das hatte das Abendblatt exklusiv berichtet. Mit der Riedbahn Frankfurt–Mannheim und Hamburg–Berlin seien aber erst zwei von 40 Korridoren gesichert.

S-Bahn Hamburg, Hauptbahnhof, U5: Hamburg ist auf Geld vom Bund angewiesen

Hamburg ist nicht nur bei der Sanierung von Bahnstrecken auf den Bund angewiesen, sondern vor allem beim Neubau. Die Strecke Hamburg–Hannover soll ausgebaut werden, ebenso die nach Lübeck und weiter zum neuen Fehmarnbelttunnel Richtung Dänemark. Die S4 spielt in diesem Megaprojekt eine große Rolle, innerstädtisch ist es die U5, die in Zukunft 270.000 Fahrgäste täglich befördern soll, sowie weitere S-Bahn-Projekte. Zu guter Letzt soll der größte deutsche Bahnhof, der Hamburger Hauptbahnhof, umfassend umgebaut werden, um die Masse an 550.000 täglichen Fahrgästen überhaupt noch zu bewältigen.

Die norddeutschen Verkehrsexperten der CDU trafen sich gerade in Hamburg und stellten fest, dass die Verkehrsprojekte vor allem schnell umgesetzt werden sollen. Dazu wollen sie wie berichtet das Klagerecht von Verbänden einschränken. Der Bürgerschaftsabgeordnete Richard Seelmaecker sagte: „Wir wollen dem Bundestag mehr Entscheidungsmöglichkeiten bei Planfeststellungsverfahren von überragendem Interesse einräumen. Wir wollen damit sicherstellen, dass zukünftig schneller, besser und rechtssicher geplant und gebaut werden kann. Für Norddeutschland gibt es aktuell eine Vielzahl verkehrlicher Projekte, die im großen Stil von dieser Herangehensweise profitieren würden.“