Hamburg. Mehrere Milliarden Euro Baukosten: Ein Gutachten erteilt der Unter-Elbe-Bahn eine Absage. Keine der 14 vom Bund geprüften Varianten lohnt sich.
Die Elbbrücken sind das ultimative Nadelöhr für Hamburgs Schienenverkehr. Sind die Eisenbahnbrücken einmal gesperrt, rücken Hamburg-Mitte und die Elbinseln sowie Harburg ein ganzes Stück auseinander – die nächste Schienenquerung befindet sich nämlich rund 40 Kilometer entfernt in Lauenburg. Das ist nicht nur für Pendler aus dem und in den Hamburger Süden mehr als ärgerlich, sondern wirft zudem Fahrpläne für Bahnverbindungen zwischen Skandinavien und dem Rest von Europa über den Haufen, gerade im Güterverkehr.
Umso drängender ist die Frage nach einer weiteren Elbquerung für schienengebundene Fahrzeuge – als Entlastung, Ergänzung, vielleicht auch zeitweisen Ersatz der teils ohnehin sanierungsbedürftigen Brücken. Das Verkehrsministerium des Bundes, in dessen Verantwortungsbereich diese Frage fällt, hat 14 Möglichkeiten eines Schienentunnels westlich der bestehenden Querung prüfen lassen. Das Ergebnis des Gutachtens ist ernüchternd. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten taugt keine der in Erwägung gezogenen Möglichkeiten.
S-Bahn Hamburg: Traum vom Schienen-Elbtunnel geplatzt
Aus der Traum von der Unter-Elbe-Bahn. Am Donnerstag, rund ein Jahr später als geplant, wird das Elbtunnel-Gutachten im Verkehrsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft vorgestellt. Dem Abendblatt liegt die Machbarkeitsstudie da bereits vor. Sie ist in Zusammenarbeit der Technischen Universität Hamburg mit dem Schweizer Planungsbüro SMA und dem Planungsbüro Obermeyer aus München entstanden.
Die Experten untersuchten zwei Querungen für den Fern-, drei für den Nahverkehr, acht für S-Bahnen und eine für den Güterverkehr. Außerdem wurden zwei Kombi-Varianten geprüft, die für Fern- und Regionalverkehr beziehungsweise Regionalverkehr und S-Bahnen gleichermaßen nutzbar wären. Die Szenarien umfassen jeweils Streckenverläufe, die Harburg, Neugraben oder Stade mit dem Hauptbahnhof, Altona oder Elmshorn verbinden.
Die Quintessenz aus der Studie: Ein Bahntunnel, der unter der Elbe verläuft, dürfte nicht nur extrem teuer, sondern noch dazu völlig unwirtschaftlich sein. Damit hat sich die jahrelang diskutierte Möglichkeit eines solchen Schienentunnels vermutlich erledigt, zumal bei der aktuellen Finanzlage des Bundes, der für den Bau zahlen müsste.
Elbtunnel für die S-Bahn? Kosten von bis zu 3,2 Milliarden Euro prognostiziert
Die 14 begutachteten Tunnelverläufe wären in vielen Fällen nicht nur ein bisschen, sondern so richtig unwirtschaftlich. Zwischen 0,03 und 0,62 bewegen sich die von den Experten attestierten Kosten-Nutzen-Faktoren, wobei erst ein Faktor größer 1 eine „gesamtwirtschaftliche Vorteilhaftigkeit“ bedeutet. Für die überprüften Varianten werden Baukosten zwischen 1,9 und 3,2 Milliarden Euro (Stand 2022) prognostiziert.
Die Hauptursache für die hohen Kosten: lange Rampen. Züge, insbesondere Güterzüge, können allerdings nicht sonderlich steil fahren. Mehr als 1,25 Prozent Gefälle darf ein Tunnel, in dem Güterzüge fahren, deshalb an keiner Stelle aufweisen. Selbst S-Bahnen machen in der Regel nicht mehr als vier Prozent Steigung mit. Allerdings müssten die Bahnen je nach Streckenverlauf eines Elbtunnels ganz schöne Höhenunterschiede überwinden. Das würde zu enormen Tunnellängen von 16 Kilometern und mehr führen, was so ein Bauvorhaben richtig teuer macht.
Elbquerung: Machbarkeitsstudie schließt auch Brücken-Lösung aus
„Der verkehrliche Nutzen einer Westquerung der Elbe steht selbst bei einzelnen sehr optimistisch getroffenen Trassierungsparametern in keinem Verhältnis zu den zu erwartenden Kosten für den Bau dieser neuen Bahnstrecke“, so lautet das harte Urteil, das die Machbarkeitsstudie fällt. Noch dazu dürfte sich die zusätzliche Elbquerung laut den Experten kaum positiv auf den geplanten Deutschlandtakt auswirken. „Die derzeitige Nachfrage zeigt klar, dass die Mehrzahl der Personenfahrten über den Hamburger Hauptbahnhof führt“, heißt es.
Und übrigens: Wer meint, statt des Tunnels könnte doch einfach eine Brücke als weitere Elbquerung entstehen, täuscht sich. Auch dieser Idee erteilen die Experten in der Machbarkeitsstudie nämlich eine Absage. Sie sehen diese Lösung aufgrund der Dimensionen der Brücke und der Tatsache, dass das Bauwerk im Bereich des Altonaer Balkons münden müsste, als nicht realisierbar an.
Elbtunnel für Schienenverkehr: Resilienz spielte in Gutachten keine Rolle
Ungeklärt bleibt die Frage nach der Resilienz – also die Möglichkeit, bei einer Sperrung der Elbbrücken Verkehre umzuleiten – die eine zweite Querung für den Schienenverkehr bedeuten würde. Sie ist für die Befürworter der Tunnel-Idee oftmals das Hauptargument. Mit dieser Frage sollten sich die Gutachter, die das Verkehrsministerium angeheuert hat, aber gar nicht erst beschäftigen.
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„Die untersuchten Varianten ermöglichen zwar grundsätzlich im Bedarfsfall (Störungen etc.) eine alternative schienengebundene Querung der Elbe in Hamburg, die bislang nicht möglich ist“, heißt es in dem Bericht. „Eine Berücksichtigung der Resilienz ist jedoch nicht Bestandteil der aktuellen Bewertungsverfahren.“
VCD Nord sieht „wesentliche Schwachstellen“ in dem Gutachten
Es ist ein Gutachten, das nicht allen schmeckt. Der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD Nord) spricht sogar von „wesentlichen Schwachstellen“ in der Machbarkeitsstudie, etwa weil die Frage der Resilienz nicht bewertet wurde. Zudem hätte eine mögliche Entlastung des Hauptbahnhofs durch eine weitere Elbquerung in die Bewertung einfließen müssen, heißt es vom VCD Nord.
Auch die Kosten von 1,9 bis 3,2 Milliarden Euro je nach Variante seien im Vergleich mit dem Geld, das für Autobahnprojekte ausgegeben würde, „relativiert“. Jens Deye, Vorstandsmitglied des VCD Nord, fordert: „Wir brauchen eine andere Politik, die der Schiene klaren Vorrang gegenüber dem Ausbau von Kfz-Infrastruktur gibt. Nur so werden wir Klimaziele im Verkehr erreichen und die Region vor einem Verkehrskollaps schützen.“