Hamburg. „Kirche steht nicht über dem Recht“: Andy Grote wirft ihr in scharfen Worten Bruch der Vereinbarung vor. Wer bleiben darf, entscheidet Staat.

Der Fall hatte in Hamburg für erheblichen Wirbel gesorgt: Hamburg hat vor Kurzem erstmals einen Flüchtling aus dem Kirchenasyl abgeschoben. Der katholische Erzbischof Stefan Heße und die protestantische Bischöfin Kirsten Fehrs kritisierten die Abschiebung. Die kirchliche Entscheidung, einem Menschen Asyl zu geben, dürfe nicht angetastet werden, forderte die Linke sogar und sprach von einem „Tabubruch“. Auch die Grünen, Koalitionspartner der SPD im Rathaus, verlangen von der Hamburger Innenbehörde, „das Kirchenasyl auch weiterhin zu respektieren.“ Jetzt findet Innensenator Andy Grote (SPD) im Abendblatt sehr klare Worte. Er sagt: „Die Kirche steht nicht über dem Recht.“

Seine Behörde respektiere das Kirchenasyl, so Grote, „aber es hat in einem rechtsstaatlichen Verfahren nur dann eine Legitimation, wenn sich alle Beteiligten an die verabredeten Regeln halten. Das bedeutet: Wir räumen den Kirchen, und zwar nur den Kirchen, die Möglichkeit ein, Menschen zu benennen, die schon alle rechtsstaatlichen Verfahren durchlaufen haben, bei denen die Kirche aber dennoch eine besondere Härte erkennt.“ Diese habe dann die Möglichkeit, mit einem eigenen Dossier, in dem sie den jeweiligen Fall noch mal darstellt, eine erneute Prüfung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auszulösen. Das ist die Verabredung von 2015. Wenn das Bundesamt daraufhin seine Entscheidung ändert, entsteht daraus für den Betroffenen ein gültiges Bleiberecht.

Hamburgs Innensenator findet scharfe Worte zu Kirchenasyl: „Kirche steht nicht über dem Recht“

„Erkennt das BAMF die Einwände aber nicht an, muss das Kirchenasyl auch verlassen werden. Und dieser letzte Teil wird gern vergessen. Das Kirchenasyl wird auch bei einer ablehnenden Stellungnahme des BAMF eben regelmäßig nicht beendet. Das ist ein Problem, denn: Die Kirche steht nicht über dem Recht“, sagt Grote. Heute debattiert die Hamburgische Bürgerschaft über den Fall. Die Linke erneuerte ihre Kritik:Beim Kirchenasyl wurde eine Grenze klar überschritten. Das muss rückgängig gemacht werden“, forderte sie. Und: „Der Senat muss sich entschuldigen und zusagen, dass sich ein Angriff auf das Kirchenasyl nicht wiederholen wird.“

Im konkreten Fall war ein 29 Jahre alter Afghane von Mitarbeitern des Amts für Migration der Innenbehörde in Begleitung von Polizeibeamten aus den Gebäuden der katholischen Pfarrei Heilige Elisabeth in Hamburg-Bergedorf abgeholt und zurück nach Schweden überstellt worden, wo sein Asylantrag bereits vor geraumer Zeit abgelehnt worden war, aber seine Familie lebt. Die Pfarrei hatte ihm zuvor Kirchenasyl gewährt. Es handelt sich um einen klaren Dublin-Fall. Die Kirche hatte aber geltend gemacht, dass der Mann krank sei und in Schweden keine ausreichende medizinische Versorgung bekomme, und damit einen Härtefall begründet. Er soll unter der psychischen Belastung leiden.

Grote: Letzte Entscheidung über Bleiberecht haben nicht die Kirchen

Grote weist diese Behauptung nun im Gespräch mit dem Abendblatt zurück, ebenso wie den Vorwurf, der Fall sei nicht individuell geprüft worden und das BAMF antworte in Ablehnungsbescheiden meist mit den immer gleichen Textbausteinen. „Tatsächlich ist das aber sehr genau geprüft worden. Das BAMF hat sogar auf konkrete medizinische Einrichtungen in Schweden verwiesen, in denen der Betroffene Hilfe erhalten könnte.“

Treffen der sozialdemokratischen Innenminister und Innensenatoren
Andy Grote, Senator für Inneres und Sport Hamburg, findet klare Worte zum Kirchenasyl. © picture alliance/dpa | Michael Reichel

Hinter dem Streit um den Einzelfall steht aber ein grundsätzlicher Dissenz über das Kirchenasyl. In den Ausführungen der Kirchenvertreter spiegelt sich die Auffassung, dass sich die Kirche die Entscheidung nicht leicht mache, wem sie Schutz gewähre – wenn sie sich dann aber nach langer eigener Prüfung dafür entschieden hätten, sei im Grunde der Staat in der Pflicht, dieses dann auch zu respektieren. „Das ist ein Missverständnis, das dringend ausgeräumt werden muss“, sagt Grote. „Wir können als Staat die Entscheidung darüber, wer am Ende ein Bleiberecht hat, nicht anderen Institutionen überlassen.“

In Hamburg sind derzeit noch 26 Flüchtlinge im Kirchenasyl

„Ich finde diese Haltung, wonach die Gesetze und der Rechtsstaat ja schön und gut seien, aber nur die Kirchen könnten eine Schutzwürdigkeit wirklich beurteilen, ziemlich problematisch. Wenn die Rechtslage eigentlich schon klar ist und dennoch das besondere Privileg eingeräumt wird, dass der Fall noch einmal unter Härtefallgesichtspunkten geprüft wird, kann die Kirche bei einem negativen Ergebnis nicht am Ende sagen: Euer Rechtsstaat interessiert uns nicht, wer in Deutschland bleibt, entscheiden wir!“

Derzeit befinden sich in Hamburg laut Innenbehörde noch 26 Menschen im Kirchenasyl; im ganzen Jahr gab es bisher 78 Fälle. Und Grotes Kritik an den Kirchen wird grundsätzlich: „Wir beobachten, dass die Kirchen praktisch ausschließlich Dublin-Fälle ins Kirchenasyl nehmen, mit dem Ziel, diese über die gesetzliche Überstellungsfrist zu bringen, die das europäische Dublin-System vorsieht“, sagt er. „Sobald die sechs Monate herum sind, gehen die Geflüchteten aus dem Kirchenasyl heraus, weil eine Überstellung dann nicht mehr möglich und somit der deutsche Staat verantwortlich ist. Man fragt sich schon, weshalb. Wenn es wirklich um die individuelle Härte einzelner Fälle geht, würde es ja naheliegen, diejenigen ins Kirchenasyl zu nehmen, bei denen eine unmittelbare Rückführung ins Herkunftsland droht“, so Grote. „Da wäre dann möglicherweise auch die Erfolgsquote beim BAMF höher als bei Dublin-Überstellungen, wie in diesem Fall nach Schweden.“

Innensenator Grote widerspricht Hamburgs Bischöfen

Damit widerspricht Grote auch fundamental den beiden Hamburger Bischöfen. Der katholische Erzbischof Stefan Heße, der auch Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen der Deutschen Bischofskonferenz ist, hatte erklärt, der Flüchtling habe sich in einer „überaus schwierigen Lage“ befunden. Die befürchteten humanitären Härten, auf die die katholische Kirchengemeinde aufmerksam gemacht habe, seien nicht berücksichtigt worden. „Wenn eine Kirchengemeinde Kirchenasyl gewährt, macht sie sich die Entscheidung nicht einfach. Jede Räumung eines Kirchenasyls bedeutet für alle Beteiligten eine große Belastung“, sagte Heße. Es gehe darum, im Austausch mit den staatlichen Stellen im konkreten Einzelfall eine verantwortbare Lösung zu finden. Das Kirchenasyl diene in diesem Sinne auch der rechtsstaatlichen Ordnung. „Umso wichtiger ist es, dass die Behörden die Tradition des Kirchenasyls respektieren.“

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Auch Kirsten Fehrs, Hamburgs Bischöfin und amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), erklärte, die Räumung des Kirchenasyls im Erzbistum Hamburg erfülle sie „mit großer Sorge“. Kirchenasyl sei keine leichtfertige Entscheidung, sondern eine Form des humanitären Schutzes. „Kirchengemeinden gewähren ihn nach sorgfältiger Prüfung, wenn sie in der Umsetzung des Asylrechts schwerwiegende Mängel oder Gefahr für Leib und Leben sehen.“ In den vergangenen Wochen habe es bundesweit immer wieder Fälle gegeben, in denen staatliche Behörden das Kirchenasyl gebrochen hätten. 

Hamburg: Grote wirft Kirchen Bruch der Vereinbarung vor

Innensenator Grote sieht den Bruch der Verabredung hingegen bei den Kirchen. „Wir führen derzeit Gespräche mit der Kirche und hoffen, zu einer Verabredung zu kommen, die der 2015 getroffenen und 2021 noch mal angepassten Regelung über das Kirchenasyl entspricht“, so der SPD-Politiker. „Wir stellen dieses Kirchenasyl nicht infrage, aber die Verabredung beinhaltet, dass die Kirchen eine nochmalige Entscheidung des BAMF dann auch respektieren müssen. Im vorliegenden Fall hat sich die Kirche nicht an die Vereinbarungen gehalten, denn sie war nach ablehnender Rückmeldung auf Anfrage nicht bereit, das Kirchenasyl zu beenden.“ Sprich: Der junge Afghane verließ die Pfarrei nicht freiwillig, sondern musste von Behördenmitarbeitern abgeholt werden. Diese Aktion, betont die Innenbehörde, sei aber sehr friedlich verlaufen.

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Der Mann hatte nach seiner Ausreise aus Afghanistan seit 2015 bei Familienangehörigen in Schweden gelebt und dort einen Asylantrag gestellt, der aber abgelehnt wurde. In der Folge reiste er im März dieses Jahres nach Deutschland. Das BAMF lehnte den Antrag, ein Asylverfahren in Deutschland zu führen, jedoch als unzulässig ab. Gemäß Dublin-III-Verordnung ist Schweden für seinen Fall zuständig. Gemäß dieser Verordnung ist der Staat für die Abwicklung eines Asylantrags verantwortlich, in dem der Flüchtling zuerst registriert wurde und einen Asylantrag gestellt hat, auch wenn dieser abgelehnt wurde. Die Entscheidung liegt beim BAMF.

Kirchenvertreter: Abgeschobener Afghane ist krank und nun „ohne Perspektive“

Kirchenkreise machten geltend, dass der 29-Jährige krank sei. Er habe psychische Probleme und sei suizidgefährdet. In Schweden sei er nun „perspektivlos“, hatte Diakon Andreas Petrausch, Flüchtlingsseelsorger des Erzbistums Hamburg, dem Abendblatt gesagt.

Dissenz hat SPD-Politiker Grote in dieser Sache nicht nur mit den Kirchen, sondern auch mit dem eigenen Koalitionspartner. So verwies der Grünen-Abgeordnete Michael Gwosdz auf die jahrhundertelange Tradition des Kirchenasyls. Es würden nur sehr ausgewählte Einzelfälle nach eingehender Prüfung ins Kirchenasyl aufgenommen. Daher sei die Zahl der Fälle inzwischen sehr gering. „Vor diesem Hintergrund ist der Bruch des Kirchenasyls völlig unverständlich. Wir fordern den Innensenator auf, das Kirchenasyl auch weiterhin zu respektieren.“