Hamburg. 29-Jähriger jetzt in Schweden. Kritiker fordern, Schutz durch Kirchen zu respektieren. Innenbehörde: Letzte Entscheidung liegt beim Staat.
- Aus Hamburger Kirchenasyl abgeschoben: Afghane hat in Schweden „keine Perspektive“
- Streit um Kirchenasyl: Zwei Meinungen prallen aufeinander
- Grünen-Abgeordnete Michael Gwosdz: Grote (SPD) muss Kirchenasyl respektieren
Die Empörung war groß, als Hamburg Anfang der Woche erstmals einen Asylbewerber aus dem Kirchenasyl in der Hansestadt abgeschoben hat. Der 29 Jahre alte Afghane war am frühen Morgen von Mitarbeitern des Amts für Migration der Innenbehörde in Begleitung von Polizeibeamten aus den Gebäuden der katholischen Pfarrei Heilige Elisabeth in Hamburg-Bergedorf abgeholt und zurück nach Schweden überstellt worden, wo sein Asylantrag bereits vor geraumer Zeit abgelehnt worden war.
Die Linke in der Bürgerschaft sprach von einem „absoluten Tabubruch“, auch der grüne Koalitionspartner kritisierte die Entscheidung von Innensenator Andy Grote (SPD). Hamburgs Erzbischof Stefan Heße reagierte sehr betroffen: „Ich erinnere noch einmal daran: Das Kirchenasyl ist ein letztes Mittel zur Abwendung unzumutbarer humanitärer Härten.“ Ihm sprang auch die protestantische Bischöfin Kirsten Fehrs bei.
Aus Kirchenasyl in Hamburg abgeschoben: Junger Afghane ist krank
Worin aber liegt die „unzumutbare humanitäre Härte“ in diesem Fall? Das Abendblatt hat sich auf Spurensuche begeben. Denn nach der reinen Papierlage ist der 29-Jährige ein klarer Dublin-Fall. Gemäß dieser Verordnung ist der Staat für die Abwicklung eines Asylantrags zuständig, in dem der Flüchtling zuerst registriert wurde und einen Asylantrag gestellt hat, auch wenn dieser abgelehnt wurde – hier also Schweden.
Der 29-Jährige, so erfuhr das Abendblatt, aus Kirchenkreisen, ist krank. Er hat psychische Probleme und ist suizidgefährdet. Grund dafür ist unter anderem wohl das, was er in Afghanistan erlebte. Als er 13 Jahre alt war, wurde sein Vater getötet. Die Familie gehört der schiitischen Volksgruppe der Hazara an, die diskriminiert und gewaltsam verfolgt wird. Der 13-Jährige musste mit für die Familie sorgen. Die Mutter reiste dann mit dem Rest der Familie nach Schweden aus, er blieb zunächst in Afghanistan. 2015 kam er hinterher, beantragte die Familienzusammenführung. Doch da er zu diesem Zeitpunkt schon über 18 Jahre alt war, lehnte Schweden seinen Asylantrag ab. Daraufhin kam er im März dieses Jahres nach Deutschland.
In Schweden hat abgeschobener Afghane „keine Perspektive“
In Schweden sei er nun „perspektivlos“, wie Diakon Andreas Petrausch, Flüchtlingsseelsorger des Erzbistums Hamburg, sagte. Er erhalte dort keine medizinische Versorgung und dürfe nicht arbeiten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) habe die besondere Härte nicht wirklich erneut individuell geprüft. In seiner Ablehnung des Gesuchs schreibt das BAMF hingegen, dass psychisch erkrankte Flüchtlinge in Schweden, wenn nötig, behandelt würden und die entsprechenden Einrichtungen dafür bereitstünden.
Der Fall macht aber auch eine unterschiedliche Auffassung über das Kirchenasyl und dessen Grenzen deutlich. In Hamburg gibt es laut Innenbehörde aktuell 72 Fälle von Kirchenasyl.
Was ist Kirchenasyl überhaupt?
Grundsätzlich ist dieses kein Rechtsmittel, sondern ein letzter Versuch, vor dem Vollzug einer unmittelbar drohenden Abschiebung eine erneute Überprüfung der Abschiebungsentscheidung zu ermöglichen. Dabei hat Kirchenasyl seine Grundlage nicht im geltenden Recht, sondern in einer Verfahrensverabredung zwischen dem BAMF und den Kirchen aus dem Jahr 2015. Darin ist vereinbart, dass die Kirchen dem BAMF aussagekräftige Dossiers vorlegen, aus denen sich eine begründete, humanitäre Härte im Einzelfall ergeben kann. Das BAMF erklärte sich bereit, anhand eines von den zentralen Ansprechpartnern der Kirchen vorgelegten und aussagekräftigen Dossiers, eine erneute Überprüfung der Fälle vorzunehmen.
Die Geschichte des Kirchenasyls geht bis ins Alte Testament zurück. Die Entstehung der modernen Kirchenasylbewegung ist im Zusammenhang mit der weltweiten Zunahme der Flüchtlingszahlen seit den 1970er-Jahren zu sehen. 1983 kam es in Deutschland zum ersten Kirchenasyl in der Heilig-Kreuz-Gemeinde in Berlin-Kreuzberg. Drei palästinensische Familien aus dem Libanon baten um Unterstützung, weil sie in den vom Bürgerkrieg zerrütteten Libanon abgeschoben werden sollten. Beim Kirchenasyl werden Flüchtlinge durch eine Pfarrei oder Kirchengemeinde vorübergehend zu ihrem Schutz aufgenommen.
Streit um Kirchenasyl: Zwei Meinungen prallen aufeinander
Die letzte Entscheidung über eine Abschiebung fällen aber nicht die Kirchengemeinden, sondern das BAMF. Dabei geht es immer häufiger vor allem um Dublin-Fälle. Die Ausländerbehörde Hamburg sei hier nur Vollzugsbehörde und nach der Entscheidung des BAMF verpflichtet, die Rücküberstellung organisatorisch durchzuführen, so die Innenbehörde.
Aus den Stellungnahmen der Kritiker ergibt sich eine andere Haltung: Die kirchliche Entscheidung, einem Menschen Asyl zu geben, dürfe nicht angetastet werden, forderte die Linken-Abgeordnete Carola Ensslen. „Abschiebungen aus dem Kirchenasyl darf es nicht geben! Auch wenn es sich im rechtlichen Sinn nicht um ein echtes Asyl handelt, muss es als gesellschaftlich anerkannter Schutz respektiert werden – selbst dann, wenn das BAMF die kirchliche Einschätzung nicht teilt.“
Grüner: Innensenator Grote (SPD) muss Kirchenasyl respektieren
Der Grünen-Abgeordnete Michael Gwosdz erklärte, es würden nur sehr ausgewählte Einzelfälle nach eingehender Prüfung ins Kirchenasyl aufgenommen. „Daher ist die Zahl der Fälle inzwischen sehr gering. Vor diesem Hintergrund ist der Bruch des Kirchenasyls völlig unverständlich. Wir fordern den Innensenator auf, das Kirchenasyl auch weiterhin zu respektieren.“ Erzbischof Heße forderte, „dass die Behörden die Tradition des Kirchenasyls respektieren“. Kirchenvertreter kritisieren auch, dass das BAMF die Fälle nur pro forma und nicht wirklich individuell prüfe – zurück kämen als Antwort auf die von den Kirchen zusammengestellten Dossiers zur Lage des Betroffenen meist nur Textbausteine.
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Die Innenbehörde respektiere das Kirchenasyl und die dazu getroffenen Vereinbarungen, sagte deren Sprecher Daniel Schaefer. „Kirchenasyl ist ein sehr sensibles Thema, mit diesem Instrument gilt es sehr verantwortungsvoll umzugehen.“ Aber: „Auch die Kirchen müssten sich an geltendes Recht und getroffene Verfahrensverabredungen halten. Dazu gehört, dass die rechtsstaatliche Prüfung von solchen Härtefällen und auch deren Ergebnis akzeptiert wird und man sich nicht kategorisch darüber hinwegsetzt.“
Wenn, wie in diesem Fall alle Voraussetzungen gegeben sind, das BAMF nach intensiver Prüfung eine klare Entscheidung auf Grundlage des mit den Kirchen vereinbarten Verfahrens getroffen und das zuständige EU-Mitgliedsland seine Aufnahme bei Überstellung zugesagt habe, gebe es keinen Grund, von einer Rücküberstellung abzusehen. Auch, zumal eine spätere Rücküberstellung durch Zeitablauf dann ausgeschlossen sei.