Hamburg. Afghane suchte Schutz bei Kirchengemeinde – doch Behörde holte ihn aus Pfarrei. Das führt zu Krach in der Koalition. Was Erzbischof sagt.
Hamburg hat einen jungen Afghanen am Montag aus dem Kirchenasyl in der Hansestadt nach Schweden abgeschoben. Der 29-Jährige wurde am frühen Morgen von Mitarbeitern des Amts für Migration der Innenbehörde in Begleitung von Polizeibeamten aus den Gebäuden der Pfarrei Heilige Elisabeth in Hamburg-Bergedorf abgeholt, wie Daniel Schaefer, Sprecher der Innenbehörde, dem Abendblatt bestätigte. Die Maßnahme sei ruhig und kooperativ verlaufen. Es ist das erste Mal, dass eine Person aus dem Kirchenasyl in Hamburg rücküberstellt wurde, so Schaefer. Die Entscheidung stieß auf empörte Kritik.
Hamburgs Erzbischof Stefan Heße, der auch Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen der Deutschen Bischofskonferenz ist, reagierte sehr betroffen. Der Flüchtling habe sich in einer „überaus schwierigen Lage“ befunden. Die befürchteten humanitären Härten, auf die die katholische Kirchengemeinde aufmerksam gemacht habe, seien nicht berücksichtigt worden. „Wenn eine Kirchengemeinde Kirchenasyl gewährt, macht sie sich die Entscheidung nicht einfach. Jede Räumung eines Kirchenasyls bedeutet für alle Beteiligten eine große Belastung“, sagte Heße.
Abschiebung aus dem Kirchenasyl in Hamburg – für Linke „ein absoluter Tabubruch“
Die Nachricht vom Bruch des Kirchenasyls in Hamburg mache ihn daher sehr betroffen. „Ich erinnere noch einmal daran: Das Kirchenasyl ist ein letztes Mittel zur Abwendung unzumutbarer humanitärer Härten. Es geht darum, im Austausch mit den staatlichen Stellen im konkreten Einzelfall eine verantwortbare Lösung zu finden. Das Kirchenasyl dient in diesem Sinne auch der rechtsstaatlichen Ordnung. Umso wichtiger ist es, dass die Behörden die Tradition des Kirchenasyls respektieren.“
Die Linkspartei sprach von einem „absoluten Tabubruch“. Auch der grüne Koalitionspartner in der Bürgerschaft stellte sich gegen die Handlungsweise der SPD-geführten Innenbehörde.
Junger Afghane hatte zuerst bei Familie in Schweden Asylantrag gestellt
Hintergrund: Der junge Mann hatte nach seiner Ausreise aus Afghanistan seit 2015 bei Familienangehörigen in Schweden gelebt und dort einen Asylantrag gestellt, der aber abgelehnt wurde. In der Folge reiste er im März dieses Jahres nach Deutschland. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte den Antrag des Betroffenen, ein Asylverfahren in Deutschland zu führen, jedoch als unzulässig ab.
Gemäß Dublin-III-Verordnung ist Schweden für seinen Fall zuständig. Das macht den 29-Jährigen – zumindest den Eckdaten zufolge – zu einem klaren Dublin-Fall. Gemäß dieser Verordnung ist der Staat für die Abwicklung eines Asylantrags zuständig, in dem der Flüchtling zuerst registriert wurde und einen Asylantrag gestellt hat, auch wenn dieser abgelehnt wurde.
Kirchenasyl in Hamburg gesucht: Junger Flüchtling trotzdem abgeschoben
Um seiner Abschiebung in das skandinavische Land zu entgehen, suchte der Afghane Anfang August Kirchenasyl in der katholischen Hamburger Pfarrei Heilige Elisabeth. Jedoch sei die Prüfung individueller Härten durch das BAMF nach intensiver Prüfung eines vom Erzbistum Hamburg vorgelegten Dossiers abschlägig beschieden worden, wie Behördensprecher Schaefer erklärte. Zuständig für die Prüfung und Entscheidung in solchen Dublin-Fällen ist ausschließlich das BAMF. Die Ausländerbehörde Hamburg sei hier nur Vollzugsbehörde und nach der Entscheidung des BAMF verpflichtet, die Rücküberstellung organisatorisch durchzuführen, so die Innenbehörde.
Der Grünen-Abgeordnete Michael Gwosdz verwies auf die jahrhundertelange Tradition des Kirchenasyls. „Die Praxis in der Gegenwart beruht auf einem zwischen den Kirchen und den staatlichen Behörden eng abgestimmten Verfahren. Auf dieser Grundlage werden nur sehr ausgewählte Einzelfälle nach eingehender Prüfung ins Kirchenasyl aufgenommen. Daher ist die Zahl der Fälle inzwischen sehr gering. Vor diesem Hintergrund ist der Bruch des Kirchenasyls völlig unverständlich. Wir fordern den Innensenator auf, das Kirchenasyl auch weiterhin zu respektieren.“
Abschiebung aus Kirchenasyl: Linke fordert von Innensenator Grote „verbindliche Zusage“
„Das ist ein absoluter Tabubruch“, sagte auch Carola Ensslen, fluchtpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft. Sie „hätte nicht für möglich gehalten, dass das in Hamburg passieren kann“. Die kirchliche Entscheidung, einem Menschen Asyl zu geben, dürfe nicht angetastet werden. „Abschiebungen aus dem Kirchenasyl darf es nicht geben! Auch wenn es sich im rechtlichen Sinn nicht um ein echtes Asyl handelt, muss es als gesellschaftlich anerkannter Schutz respektiert werden – selbst dann, wenn das BAMF die kirchliche Einschätzung nicht teilt. Es ist daher scheinheilig, wenn die Innenbehörde sich nun hinter die Argumentation zurückzieht, sie müsse wegen der BAMF-Entscheidung die Abschiebung vollziehen“, so die Linke. Sie erwarte von Innensenator Andy Grote, „dass er den Kirchen eine verbindliche Zusage macht, dass so etwas nicht wieder geschieht“, erklärte Ensslen.
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Auch Kirsten Fehrs, Hamburgs Bischöfin und amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) erklärte, die Räumung des Kirchenasyls im Erzbistum Hamburg erfülle sie „mit großer Sorge“. Kirchenasyl sei keine leichtfertige Entscheidung, sondern eine Form des humanitären Schutzes. „Kirchengemeinden gewähren ihn nach sorgfältiger Prüfung, wenn sie in der Umsetzung des Asylrechts schwerwiegende Mängel oder Gefahr für Leib und Leben sehen.“ In den vergangenen Wochen habe es bundesweit immer wieder Fälle gegeben, in denen staatliche Behörden das Kirchenasyl gebrochen hätten. „Als Kirchen werden wir weiter gemeinsam dafür eintreten, dass das Kirchenasyl als letzte Zuflucht im Sinne einer menschenwürdigen Asylpraxis erhalten bleibt“, kündigte Fehrs an.
Behörden sehen keine „unzumutbare Härte“ im Fall des Afghanen
Kirchenasyl hat seine Grundlage grundsätzlich nicht im geltenden Recht, sondern in einer Verfahrensverabredung zwischen dem BAMF und den Kirchen. Darin ist vereinbart, dass die Kirchen dem BAMF aussagekräftige Dossiers vorlegen, aus denen sich eine begründete, humanitäre Härte im Einzelfall ergeben kann. Das BAMF überprüfe die Entscheidung daraufhin noch einmal.
So geschah es auch im aktuellen Fall, nachdem das Erzbistum Hamburg ein entsprechendes Dossier vorgelegt hatte. Das BAMF kam jedoch zum Ergebnis, dass eine „unzumutbare Härte“ nicht vorliege. Freiwillig wollte der Afghane Deutschland aber nicht verlassen, auch habe keine Bereitschaft bestanden, das Kirchenasyl zu beenden. Deshalb haben Mitarbeiter des Amts für Migration den Mann mit Unterstützung der Polizei in der Pfarrei Heilige Elisabeth in Bergedorf abgeholt.