Hamburg. Die Kassenärzte reduzieren Notdienste – auch bei der Versorgung von Kindern. Was Hamburger Notfallpatienten beachten sollten.

  • Hamburgs Notfallpraxen öffnen später und schließen früher
  • Notfallpraxis Stresemannstraße in Altona sogar vor dem Aus?
  • Kinderkrankenhäuser in den Ambulanzen ebenfalls betroffen
  • Zukunft der Notfallversorgung in Hamburg sieht gravierend anders aus als heute

Die Hamburger Notfallpatienten müssen sich auf kürzere Öffnungszeiten, längeres Warten und ein verändertes medizinisches Angebot einstellen. Die Notfallpraxen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) öffnen später und schließen ihre Türen nach Abendblatt-Informationen früher als bisher. Auch Eltern mit ihren akut kranken Kindern sind davon betroffen. In absehbarer Zeit werden einige Ambulanzen ganz schließen, wenn es nur noch eine Handvoll Integrierter Notfallzentren (INZ) an Krankenhäusern in Hamburg und andernorts geben wird.

Die KV bestätigte im Wesentlichen die Änderungen auf Abendblatt-Anfrage. Einige Maßnahmen seien bereits zum 1. Oktober umgesetzt worden. Der Hintergrund ist, dass es zum Beispiel zu wenige niedergelassene Kinderärztinnen und Kinderärzte gibt, die überhaupt neben ihrer Praxistätigkeit noch Notdienste abends und am Wochenende übernehmen können. Außerdem zahlen die Kassenärzte aus ihrem Budget jedes Jahr Millionen Euro für einen Notdienst, der sich nicht selbst trägt. Drittens muss die KV – und damit die Praxisärzte – nach einem Grundsatzurteil für die selbstständig tätigen Ärzte auch noch Sozialbeiträge aufwenden.

Hamburg Notdienst: Öffnungszeiten der Praxen ändern sich

Die von Erwachsenen meistfrequentierte Notfallpraxis an der Stresemannstraße in Altona öffnet jetzt werktags um 19 Uhr und schließt um 22 Uhr (mittwochs ab 16 Uhr). Am Wochenende und feiertags öffnet sie um 9 und schließt um 22 Uhr. KV-Sprecher Jochen Kriens sagte: Das habe den Grund, „dass die Patientenzahlen in den Stunden vor Mitternacht stark rückläufig sind“. Diese Änderung sei bereits angepasst an die künftige Gesetzgebung. „Eine entsprechende Übertragung auch auf andere Standorte ist nicht ausgeschlossen.“ Das könnte dann etwa die KV-Notfallpraxen am UKE oder in Harburg betreffen.

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Am Kinderkrankenhaus Wilhelmstift in Rahlstedt kürzt die KV ebenfalls abends auf 22 Uhr, fängt mittwochs erst um 16 statt 14 Uhr an und öffnet am Wochenende und feiertags erst um 9 statt 8 Uhr und schließt um 22 Uhr (vorher 23 und 24 Uhr).

Hamburger Kinderärzte empfinden Notdienste als Belastung

Hamburg: Krankenhaus Wilhelmsstift - Lage in den Kinderkliniken eskaliert
Hamburger Kinderkrankenhaus Wilhelmsstift: Wartezeiten dürften sich verlängern. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Kriens sagte: „Die KV Hamburg bietet im kinderärztlichen Notdienst bundesweit die ausgedehntesten Servicezeiten an insgesamt vier Standorten an. In den vergangenen Monaten mehren sich die Schwierigkeiten, diese Dienste gerade vor dem Hintergrund der sehr langen Öffnungszeiten ärztlich zu besetzen.“

Auch weil Hamburgs Kinderärzte älter werden, empfänden sie die Dienste bis in die Nacht neben ihren Praxen als belastend. „Mit der Anpassung der Öffnungszeiten am Wilhelmstift und am Altonaer Kinderkrankenhaus tragen wir diesen Umständen Rechnung.“ Die neuen Zeiten und der 365-Tage-Service sei mehr, als im Entwurf des neuen Notfallgesetzes vorgesehen sei und „umfangreicher als in vielen anderen Bundesländern“.

Patientenzahlen der Hamburger Notfallpraxen (Mai 2023 bis April 2024):

  • Altona Stresemannstraße 24.222
  • Bundeswehrkrankenhaus 20.466
  • UKE 16.889
  • AK Harburg 13.736
  • Reinbek 13.004
  • INZ am Marienkrankenhaus 11.064
  • Kinderkrankenhaus Wilhelmstift 26.955
  • Altonaer Kinderkrankenhaus 17.455

Notfallpraxen und Notaufnahmen: vorher 116 117 anrufen!

Caroline Roos, Vorständin der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg
Caroline Roos, Vorständin der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg. © MARCELO HERNANDEZ / FUNKE Foto Services | Foto: Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Das Wilhelmstift betonte schon einmal, dass Eltern durch die neuen Zeiten auch in der Notaufnahme des Kinderkrankenhauses erwartbar mehr Geduld aufwenden müssten. Denn die Realität sieht ja so aus, dass Eltern oft einen Praxisbesuch „überspringen“ und direkt in eine Notfallambulanz oder die Notaufnahme eines Krankenhauses fahren. Die Hälfte aller Menschen, die in Hamburg eine Notfalleinrichtung aufsuchen, tut das nach Angaben der KV „vollkommen ungesteuert“. Das treibt die Kosten in die Höhe und bindet die Ärzte, die in den Notfallpraxen oft das versorgen, was in eine normale Praxis gehört.

KV-Vorständin Caroline Roos forderte zuletzt auf einer Ärzteversammlung, dass Patienten wie in Dänemark und den Niederlanden verpflichtet werden, vor dem Betreten einer Notfalleinrichtung telefonisch oder digital eine Leitstelle wie den Arztruf 116 117 zu kontaktieren.

Krankenhaus Hamburg: Reform mit Rettungsdienst zusammendenken

In Hamburg und deutschlandweit krankt das gesamte Notfallsystem auch daran, dass die 116 117 und die Notrufnummer 112 nicht richtig miteinander koordiniert sind. Der auf akute oder gar lebensbedrohliche Notfälle ausgerichtete Rettungsdienst der Feuerwehr fährt zu oft minder schwer erkrankte Patienten. Diese Fahrten werden teuer abgerechnet, worüber sich die Krankenkassen bereits beschwerten. Denn die Hamburger Feuerwehr hat ihre eigene Gebührenordnung. Außerdem kommen diese Patienten ins Krankenhaus, auch wenn oft eine – zumeist kostengünstigere – Behandlung in einer Praxis weiterhelfen könnte.

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Techniker Krankenkasse: „Durcheinander bei Notdiensten“

Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse
Der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse, Dr. Jens Baas, ist selbst Arzt. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Die AOK mahnte bereits, bei der Krankenhausreform und den Neuerungen bei den Notfällen auch gleich den Rettungsdienst einzubeziehen. Deutschland größte Krankenkasse, die Techniker, forciert einen großen Wurf. Ihr Vorstandschef Jens Baas sagte: „Bei dem aktuellen Durcheinander aus ambulanten Notdiensten und Notaufnahmen der Krankenhäuser kann es nicht bleiben.“ Das Rettungswesen gleiche einem „Flickenteppich“. Die Krankenkassen insgesamt stehen vor Milliardendefiziten, die Krankenhäuser fürchten – aus mehreren Gründen – eine Insolvenzwelle. Die hat das Hamburger Umland längst erreicht.

In Hamburg dürften wie berichtet nur einige Integrierte Notfallzentren an Krankenhäusern übrig bleiben, wenn die Reformen Realität werden. Kassenärzte und Krankenkassen sind sich einig, dass es wohl fünf sind. Anders als zunächst erwartet, heißt es in Behördenkreisen nun, dass das Bundeswehrkrankenhaus in Wandsbek als Standort dafür keinesfalls „gesetzt“ ist. Und: Insider gehen davon aus, dass zusätzlich zu diesen fünf INZ zwei Kinder-INZ kommen. Dafür scheinen das Wilhelmstift und das AKK prädestiniert. Allerdings ist all das Teil intensiver Verhandlungen.