Hamburg. Professor Schreyögg plädiert für wenige Integrierte Notfallzentren – und erklärt, warum der Standort für Patienten nicht entscheidend ist.
Die Zahl der Notaufnahmen an Krankenhäusern in Hamburg wird sinken müssen. Das sehen politische Reformpläne vor. Doch wie viele Notfallpraxen und Ambulanzen braucht es – und woher kommen die Ärzte dafür? Das Abendblatt sprach mit Prof. Jonas Schreyögg, Direktor des Hamburg Centers for Health Economics an der Uni Hamburg und Mitglied im Sachverständigenrat Gesundheit der Bundesregierung.
Herr Prof. Schreyögg, die geplante Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach und den Bundesländern sorgt für enorme Verunsicherung im deutschen Gesundheitswesen. Quer durchs Land gibt es bereits Insolvenzen. Wird es zu einem unkontrollierten Krankenhaussterben kommen?
Prof. Jonas Schreyögg: Wir haben in den vergangenen Jahren immer schon Krankenhausschließungen gesehen. Dies betraf insbesondere kleinere Krankenhäuser. Die Reduktion der Krankenhausstandorte ist aber derzeit nicht beschleunigt, sondern nur stärker in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Die reine Zahl der Insolvenzen sagt nicht sehr viel aus. Insolvenzen werden von Trägern häufig genutzt, um eine notwendige Umstrukturierung schneller vollziehen zu können. Die Patientenversorgung läuft in der Regel unverändert weiter. Dies ist natürlich für das Personal belastend. Die Patientenversorgung in Deutschland ist aber derzeit nicht bedroht.
Haben wir denn zu viele Krankenhäuser?
Wir haben in Deutschland insgesamt die Situation, dass wir erheblich mehr Betten als andere Länder vorhalten, die nur zu zwei Dritteln ausgelastet sind. Und obwohl wir im internationalen Vergleich sehr viel Krankenhauspersonal pro Einwohner haben, das noch dazu deutlich angewachsen ist, werden wir es nicht schaffen, alle bestehenden Krankenhäuser mit Personal auskömmlich auszustatten. Daher und zur Verbesserung der Qualität kommen wir um eine Zusammenlegung von Krankenhausstandorten nicht herum.
UKE, Asklepios, Albertinen: Welche Auswirkungen hat die Krankenhausreform in Hamburg?
In Hamburg gibt es hoch spezialisierte Krankenhäuser unterschiedlichster Träger: das UKE, die Asklepios Kliniken, die freigemeinnützigen wie Albertinen, Marienkrankenhaus, Agaplesion und Spezialkliniken wie das wegen der speziellen Brustkrebsbehandlungen ausgezeichnete Jerusalem. Worauf müssen sie sich einstellen?
Ich denke nicht, dass die geplante Krankenhausreform für die Träger in Hamburg zu erheblichen Änderungen führen wird. Es kann sein, dass das ein oder andere Haus in Zukunft zum Beispiel etwas mehr Personal in einem bestimmten Leistungsbereich vorhalten muss. Ansonsten glaube ich aber, dass wir noch eine Reihe von Änderungen am Gesetz sehen werden. An der Krankenhausvergütung selbst wird sich durch das Gesetz nicht sehr viel ändern. Denn es wird nur ein Teil aus den Fallpauschalen herausgenommen, der aber auch wiederum fallzahlorientiert vergütet wird. Eine notwendige Reform des Fallpauschalensystems selbst erfolgt leider nicht.
Auch interessant
Kann Hamburg, kann der Senat bei der Krankenhausplanung einfach festlegen, welches Haus in Zukunft was anbieten darf bzw. streichen muss?
So einfach ist es nicht. Gegen den Widerstand eines Trägers eine Fachabteilung zu schließen ist kaum möglich, da sich Träger erfolgreich einklagen oder dies androhen. Daher müssen Veränderungen behutsam angegangen werden. Oftmals ist es vielversprechender, wenn die Länder eine moderierende Rolle einnehmen und so eine Zusammenlegung von Fachabteilungen erreichen. Im Rahmen der Krankenhausreform plant der Bund, die Vergütung für eine Leistungsgruppe an die Gewährleistung bestimmter Mindestanforderungen zu koppeln, zum Beispiel die Vorhaltung von bestimmten Geräten oder einer bestimmten Anzahl an Ärzten. Wer diese nicht erfüllt, erhält keine Vergütung – so zumindest der Plan.
- „Katastrophale Zustände in Praxen“: Ärzte und Patienten bangen
- Karl Lauterbach nutzt Alsterdorf-Besuch für wichtige Ankündigung
- Chefarzt-Affäre am UKE: Jetzt ein Fall für das Arbeitsgericht
Notaufnahmen in Hamburg: „Eine Zusammenlegung ist geboten“
Bei der Reform der Notfallversorgung könnten in Hamburg am Ende nur fünf Integrierte Notfallzentren (INZ) wie zuletzt das im Marienkrankenhaus übrig bleiben. Dort sollen an Kliniken die niedergelassenen Ärzte die Hoheit über den „Tresen“ haben und entscheiden, welcher Patient ins Krankenhaus kommt, wer vor Ort versorgt wird und wer einen späteren Termin bekommt. Ist das der richtige Weg?
Integrierte Notfallzentren sind in der Tat genau der richtige Weg. Diese Reform haben wir als Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege bereits 2018 vorgeschlagen und sie sollte schon in den letzten beiden Legislaturperioden kommen. Sie wird einen spürbareren Einfluss auf die Versorgung haben als die Krankenhausreform, denn sie vermeidet eine Fehlinanspruchnahme von Leistungen und schafft freie personelle Kapazitäten. Die Kernidee ist, dass jeder Patient, der einen Notfall hat, zunächst bei einer integrierten Leitstelle anruft, die idealerweise 112 und 116 117 integriert. Diese steuert den Patienten dann durch das System. Dann bucht sie einen Termin bei einem Hausarzt oder in einem INZ. Oder sie schickt den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst zum Patienten. Nur wenn es sich um einen lebensbedrohlichen Notfall handelt, wird ein Rettungswagen geschickt.
Gibt es Vorbilder dafür?
In Dänemark läuft dies bereits ähnlich und sehr gut. Der kassenärztliche Bereitschaftsdienst und die klassische Krankenhaus-Notaufnahme sollten räumlich integriert sein, so wie das am Marienkrankenhaus in Hamburg oder am städtischen Krankenhaus in Kiel der Fall ist, wobei im Marienkrankenhaus die KV ja wieder ausgestiegen ist. Es sollte nur wenige INZ geben, die dafür groß und gut ausgestattet sind. Studien zeigen, dass bei Notfällen nicht die Nähe von Notfallstandorten, sondern ihre Leistungsfähigkeit für die Behandlungsqualität entscheidend ist. Daher ist auch in Hamburg im Sinne der Patienten, aber auch aus Personalgründen eine Zusammenlegung geboten. Welche Standorte in Hamburg ein INZ werden, wird sicherlich am Ende die Behörde gemeinsam mit den Verbänden entscheiden.