Hamburg. Angeklagter hatte sich offenbar Feinde gemacht – und dann zum Schutz Waffen getragen. „Ein Wunder, dass Sie überlebt haben!“
- Mann legte sich mit Drogenbossen an -- die sannen auf Rache und schossen
- „Es ist nur dem Zufall zu verdanken, dass Sie überlebt haben“, sagte die Richterin
- Hinter dem Anschlag soll einer der meistgesuchten Verbrecher Europas stehen.
Ihm ging es um das leicht verdiente Geld. Deshalb mischte er im Rauschgifthandel mit. Doch dort legte sich Mehmet K. (Name geändert) wohl mit den Falschen an. Mit Drogenbossen, die mit Unbequemen nicht zimperlich umgehen – und mit Gegnern erst recht nicht. Wie groß die Gefahr für den 32-Jährigen schließlich im Milieu war, bekam der Hamburger am 10. Januar vergangenen Jahres zu spüren. Da wurden auf ein Auto, in dem er saß, 22 Kugeln abgeschossen. Und Mehmet K. feuerte 15-mal zurück.
Unter anderem wegen dieser Schießerei wurde der 32-Jährige am Mittwoch in einem Prozess vor dem Landgericht verurteilt. Die Kammer verhängte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten gegen Mehmet K. wegen diverser Verstöße gegen das Waffengesetz. Neben dem Schusswechsel in Hamburg-Tonndorf hatte der 32-Jährige unter anderem in einem Einkaufszentrum im Stadtteil St. Pauli eine scharfe Schusswaffe bei sich geführt, diesmal in einer Umhängetasche. Auch mindestens bei einer weiteren Gelegenheit ging er nur bewaffnet aus dem Haus. Denn Mehmet K. hatte Todesangst.
Prozess Hamburg: Angeklagter hatte Todesangst
Zu Recht, wie es scheint. „Es ist wohl nur dem Zufall zu verdanken, dass Sie das überlebt haben“, sagte die Vorsitzende Richterin in der Urteilsbegründung an die Adresse des Angeklagten. Gemeint ist die Attacke auf den Audi Q8, in dem er auf dem Beifahrersitz gesessen hatte und durch eine Kugel zwar verletzt wurde, aber eben nicht in Todesgefahr geraten war. Der Fahrer des Wagens hatte bei der Schießerei lebensgefährliche Verletzungen davongetragen. Wie gefährlich die Situation für beide Insassen war, zeigte später die Inspektion des Audi. Eine Scheibe war von Projektilen geradezu durchsiebt.
Womöglich gibt es auch einen Zusammenhang mit dem Verbrechen, bei dem ein Mann in einer Shishabar an der Lübecker Straße von zwei Kugeln tödlich getroffen wurde. Auch hier scheinen Konflikte im Rauschgiftmilieu eine entscheidende Rolle zu spielen. Diese Tat vom 27. Juli 2022 ist bis heute nicht aufgeklärt. Schon vorher hatte es mit Waffen ausgetragene Auseinandersetzungen gegeben, die ihren Ursprung mit Drogenmilieu haben sollen.
Als Mann, der im Hintergrund die Fäden zieht, kommt offenbar jemand in Betracht, nach dem schon länger gefahndet wird: Mansour Ismail. Der mutmaßliche Drogenboss zählt zu den meistgesuchten Verbrechern Europas. Und ausgerechnet ihm, so hatte es ein Informant der Polizei erzählt, soll Mehmet K. versucht haben, Drogen im Wert von mehreren Hunderttausend Euro zu klauen.
32-Jähriger soll sich mit mächtigem Drogenboss angelegt und ihn beklaut haben
Mit dem Urteil blieb die Kammer in der Nähe der Forderung der Staatsanwaltschaft, die zwei Jahre und zehn Monate Haft beantragt hatte. Die Verteidigung hatte auf eine „bewährungsfähige Strafe“ plädiert und darüber hinaus beantragt, den Haftbefehl gegen den Angeklagten aufzuheben. Doch laut Entscheidung der Kammer bleibt Mehmet K. weiterhin in Untersuchungshaft, denn es bestehe Fluchtgefahr.
Der Angeklagte hatte die Vorwürfe eingeräumt, bei drei Gelegenheiten eine Schusswaffe bei sich getragen zu haben, obwohl ihm das schon vor längerer Zeit verboten worden war. Über seinen Verteidiger hatte Mehmet K. im Prozess dargestellt, dass er immer wieder bedroht worden sei und sich in Lebensgefahr befunden habe, so der Angeklagte. „Ich habe verzweifelt versucht zu überleben“, hieß es. Die Waffen habe er „ausschließlich zu Verteidigungszwecken“ bei sich gehabt.
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„Ich sah keine andere Möglichkeit, mein Leben zu schützen“
Seit 2022 gebe es Vorfälle, die ihn „in Angst und Schrecken versetzen“, stellte Mehmet K. seine Situation dar. Dazu gehöre die Schießerei in Tonndorf. Man habe immer wieder versucht, ihn zu töten, und auch seine Familie bedroht. Also habe er sich „eine Waffe angeschafft, weil ich keine andere Möglichkeit sah, mein Leben zu schützen“. Die Gefährdung habe stetig zugenommen.
Es „springe einen geradezu an, dass Sie Todesangst hatten“, sagte die Vorsitzende Richterin in der Urteilsbegründung. Das müsse für ihn „ein Albtraum gewesen sein“. Das LKA habe um seine Gefährdung gewusst, aber nicht ausreichend reagiert. Dies sei „ein schweres Versäumnis“. Allerdings sei es umgekehrt für Mehmet K. selber nie in Betracht gekommen, eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der Polizei einzugehen. Noch nicht einmal nach der Schießerei, bei der er verletzt wurde, habe er sich an die Polizei gewandt.
Er ging mit der Schusswaffe sogar ins Einkaufszentrum
Stattdessen habe er sich mit einer Schusswaffe bewaffnet auf die Straße und an von vielen Personen besuchte Orte wie ein Einkaufszentrum begeben – und so Situationen in Kauf genommen, die hätten eskalieren können. „Da muss nur einer doof gucken, und Sie denken dann: Das sind jetzt die, die mich verfolgen.“ Die Konsequenz hätte sein können, dass Mehmet K. losballert.
Auch das Vorleben von Mehmet K. sei von Straftaten geprägt, betonte die Richterin. Anders als seine Mutter, die im Kinderschutzhaus arbeitet, und seine Schwester, die ein Jurastudium aufgenommen hat, habe er sich nie bemüht, auf redliche Weise Geld zu verdienen. Stattdessen kam er mehrfach in Haft, wegen Drogen und Gewaltdelikten.
Dass für den Angeklagten noch eine Bewährungsstrafe hätte in Betracht kommen können, auf die Mehmet K. offenbar gehofft hatte, verbiete sich, machte die Richterin klar. „An drei Tagen laufen Sie mit durchgeladener Schusswaffe herum und einmal wird die Waffe komplett leer geschossen. Und dafür soll es Bewährung geben?“