Hamburg. Nach den spektakulären Schüssen auf einen Audi Q8 führt die Spur ins Drogenmilieu. Verletzte Insassen sind polizeibekannt.

„Es machte immer wieder peng, peng, peng“, sagt Werner Grimm (94), der seit 1955 an der Straße Am Pulverhof nahe der Stein-Hardenberg-Straße in Tonndorf wohnt. Der ehemalige Kriminalbeamte dachte an verspätetes Feuerwerk, dreht sich um und schlief weiter. Tatsächlich hatte sich vor seiner Tür gerade eine der spektakulärsten Schießereien der vergangenen Jahre in Hamburg ereignet.

Zahlreiche Kugeln haben die Seitenscheibe eines Audi Q8 durchschlagen. Der Fahrer wurde mehrfach getroffen. Sein Beifahrer erlitt einen Streifschuss. Wie schon bei anderen Schießereien, die sich in den vergangenen Monaten und Jahren ereigneten, führt die Spur ins Drogenmilieu. Die beiden Männer, die in dem SUV saßen, so hieß es, seien der Polizei im Zusammenhang mit entsprechenden Delikten, aber auch durch Gewalttaten bekannt.

Auch am Dienstagmittag sicherten die Ermittler noch Spuren der Schießerei.
Auch am Dienstagmittag sicherten die Ermittler noch Spuren der Schießerei. © HA | André Zand-Vakili

Schüsse in Tonndorf: Mordkommission vor Ort

Die Polizei war am Tatort mit einem großen Aufgebot im Einsatz: Beamte der Mordkommission und der Kriminaltechnik sicherten Spuren. Für die Vermessung des Tatortes setzen die Beamten einen Drei-D-Scanner ein. Einschusslöcher wurden markiert. Allein die Seitenscheibe auf der Fahrerseite des Audi Q8 50 TDI Quattro, der in der Grundausstattung fast 80.000 Euro kostet, war von 20 Kugeln getroffen worden – so zeigen es die nummerierten Aufkleber der Spurensicherung an.

Im Park nahe dem Tatort suchten Bereitschaftspolizisten des Technisches Zuges mit Metallsonden nach Projektilen. Auch an einem Haus, das sich auf der anderen Straßenseite in Höhe des Tatorts befindet, sicherten Beamte mehrere Einschusslöcher.

Werner G. wurde von dem Schusswechsel geweckt und dachte zunächst an ein verspätetes Feuerwerk.
Werner G. wurde von dem Schusswechsel geweckt und dachte zunächst an ein verspätetes Feuerwerk. © Unbekannt | André Zand-Vakili

Gegen 11.30 Uhr, mehr als zehn Stunden nach der Tat, wurde der Audi von einem Abschlepper abgeholt. Die Experten der Spurensicherung hatten das Fahrzeug bis dahin lediglich von außen unter die Lupe genommen und die Scheiben, die durch Schüsse beschädigt wurden, gesichert. Erst in der Halle der Verwahrstelle der Polizei an der Halskestraße, ein besonders gesichertes Gelände für sichergestellte Fahrzeuge, wird der Wagen genauer untersucht werden.

Zahlreiche Einschusslöcher in den Scheiben des Audi Q8 zeugten von dem Kugelhagel.
Zahlreiche Einschusslöcher in den Scheiben des Audi Q8 zeugten von dem Kugelhagel. © HA | Michael Arning

Schüsse in Tonndorf: Autoinsassen verletzt ins Krankenhaus

Die beiden Insassen, ein Türke und ein Afghane, 26 und 30 Jahre alt, kamen verletzt ins Krankenhaus. Der jüngere Fahrer soll mindestens zehn Schusswunden davongetragen haben. Er schwebte zunächst in Lebensgefahr, soll intensivmedizinisch versorgt und operiert worden und mittlerweile wieder außer Lebensgefahr sein. Der 30 Jahre alte Beifahrer wurde durch einen Streifschuss verletzt.

Zum Tatablauf gab es zunächst nur Hypothesen. Die Schießerei war der Polizei zuerst als „Verkehrsunfall“ gemeldet worden, nachdem der Audi hinter der Kreuzung und noch vor dem dortigen Bahnübergang direkt an einer Böschung zum Stehen kam. Die ersten eintreffenden Bereitschaftspolizisten erkannten die Lage aber, riefen Verstärkung und leisteten erste Hilfe.

Auch zwei Taschen wurden sichergestellt, die, so erfuhr das Abendblatt, der Beifahrer noch mithilfe eines Taxifahrers vom Tatort wegschaffen wollte. In ihnen waren jeweils eine Schusswaffe, von denen eine geladen war, die andere aber ein leeres Magazin hatte, als wenn es leer geschossen worden wäre. Beide Männer, so hieß es, seien „unkooperativ“. Als eigentlicher Tatort wurde der Bereich vor der Kreuzung in Fahrtrichtung zu dem Bahnübergang lokalisiert. Vermutlich hatten die Kontrahenten des verletzten Duos in einem anderen Fahrzeug gesessen, als geschossen wurde.

Schüsse in Tonndorf: Täter feuerten aus kurzer Distanz

Die Treffer in der Windschutzscheibe auf der Fahrerseite des Audi deuten darauf hin, dass die Schüsse aus nicht allzu großer Entfernung abgegeben wurden. Die Einschusslöcher sind alle nah beieinander. Keine Kugel hat augenscheinlich das Blech der Tür getroffen. Auf der Beifahrerseite ist die Seitenscheibe ebenfalls zerstört, allerdings haben mehrere Projektile offenbar das Glas nicht mehr durchschlagen. Auch im hinteren Seitenfenster sind drei Stellen markiert, an denen offenbar von innen Projektile gegen das Glas prallten.

Der Audi Q8 mit den beiden Opfern kam an einem Bahnübergang zum Stehen.
Der Audi Q8 mit den beiden Opfern kam an einem Bahnübergang zum Stehen. © HA | Michael Arning

Patronenhülsen auf der Fahrbahn markierten den Tatort. Ob die Schüsse nur in eine Richtung abgegeben wurden oder ob ein Schusswechsel stattfand, sollen jetzt weitere Untersuchungen der Kriminaltechnik ergeben. Erst dann wird klar sein, ob, wie zunächst vermutet, auch mit einer automatischen Waffe, möglicherweise einer Maschinenpistole, geschossen wurde. Dass aus mehreren Waffen geschossen wurde, darauf weist die Aussage von „Ohrenzeuge“ Grimm hin. Denn die Knallgeräusche seien unterschiedlich gewesen.

Nach den Schüssen war der Audi noch quer über die Kreuzung gefahren und erst dann von der Fahrbahn abgekommen, um an der Böschung stecken zu bleiben. Von den Kontrahenten fehlte zunächst jede Spur.

Schüsse in Tonndorf: Fall erinnert an Schießerei in Shisha-Bar

Der Fall erinnert an die Schüsse in der Shisha-Bar an der Lübecker Straße im Stadtteil Hohenfelde, bei der Ende Juli vergangenen Jahres der 27 Jahre alte Terry   S. durch Schüsse ins Herz und in das Gesicht getötet wurde. Er war in dem gut besuchten Laden durch zwei Männer, die mit Corona-Masken getarnt und mit einer Maschinenpistole ausgerüstet, waren, erschossen worden. Auch der 27-Jährige war im Zusammenhang mit Drogendelikten bekannt.

In Hohenfelde ging es um Drogengeschäfte

So war es keine große Überraschung, dass laut Ermittlung das Motiv der Tat in Streitigkeiten bei Drogengeschäften lag. Im Dezember verhaftete die Polizei dann im Zuge einer größeren Aktion einen der beiden mutmaßlichen Schützen, einen 24-Jährigen, an der Paul-Roosen-Straße auf St. Pauli. Der zweite Tatverdächtige war zu dem Zeitpunkt bereits in die Türkei abgetaucht.

Das Duo gehörte zu einem Netzwerk, das in wechselnder Beteiligung Drogengeschäfte abwickelte. Über die Dimension dieses „lockeren Zusammenschlusses“ gab schon die Zahl der im Rahmen der Aktion durchsuchten Objekte – es waren 24 Adressen – Aufschluss. Zudem wurden damals weitere Beteiligte festgenommen. Die Polizei hatte bei dem Einsatz Drogen – Kokain und Marihuana – sowie eine scharfe Schusswaffe gefunden. Sicherlich wird auch jetzt wieder geprüft werden, ob es Verbindungen zu der Gruppierung gibt, die im Dezember ausgehoben wurde.

Die Polizei bittet Zeugen der jüngsten Schießerei, sich unter Telefon (040) 428 65 67 89 zu melden.