Hamburg. Fünf Besitzerwechsel: Jahrelang verfiel Altbauensemble am Holstenareal. Jetzt soll saniert werden – ein bizarrer Termin vor Gericht.
- Wohnhäuser an der Harkortstraße in Hamburg-Altona verkommen immer mehr
- Mieter sprechen von „Horrorhäuser in der Hardcorestraße“
- Jetzt sollen Bewohner der Immobilien ihre Wohnungen verlassen
Die Fassaden versprühen Altbaucharme. Doch wer die um 1900 errichteten Wohngebäude an der Harkortstraße 138, 142, 144 oder 146 betritt, fühlt sich eher wie in einer Ruine. Die Dächer sind undicht, bei Regen läuft, so berichten die Mieter, das Wasser das Treppenhaus herunter. Die Außenwände der Altonaer Häuser sind teilweise ungedämmt, sodass es im Winter bitterkalt wird, und immer wieder kommt es zu Rohrbrüchen und damit verbundenen Wasserschäden.
„Seit Anfang Juli haben wir ein Leck im Wasserrohr der Küche, kein fließend Wasser mehr und müssen in Schüsseln spülen”, klagt Larissa B., die mit ihrer Familie in der Harkortstraße 146 wohnt. Es sei, so die 53-Jährige, „bereits der dritte Rohrbruch oder Rohrverstopfung innerhalb eines Jahres”. Vergangenen Februar habe sie wegen eines Wasserschadens im Bad „sogar für einige Tage in ein Hotel ziehen” müssen.
Immobilien in Hamburg-Altona: Dächer undicht, nie mehr als 17 Grad in der Wohnung
Doch damit nicht genug: „Seit auf dem direkt angrenzenden ehemaligen Holsten-Areal eine Abfüllhalle abgerissen wurde, die sich direkt an unser Wohngebäude angeschmiegt hat, haben wir eine total ungedämmte und inzwischen auch feuchte Außenwand”, klagt die Buchhändlerin. Auch wenn die Heizungen voll aufgedreht seien, klettere „die Temperatur in der Wohnung nie über 17 Grad“. Und einige von Larissa B.s. Nachbarn klagen über vergleichbare Zustände in ihren vier Wänden.
Das renommierte Hamburger Immobilienkonsortium Köhler & von Bargen, das mehr als 2000 Wohnungen im Bestand hat, ist über seine Tochter KvBP Verwaltungs GmbH Eigentümerin der Ensembles. Das Unternehmen weist zu Recht darauf hin, dass der massive Instandsetzungsstau größtenteils schon bestanden habe, als es vor zwei Jahren den Altbaukomplex erwarb. Zuvor hatten die vier Gebäude nach Angaben der Mieter in wenigen Jahren bereits viermal den Besitzer gewechselt – und verfielen in dieser Zeit rapide.
Mieter sprechen von „Horrorhäusern in der Hardcorestraße”
Ein Sprecher von Köhler & von Bargen erklärt dazu: „Dass ein unsanierter Altbau Mängel aufweist, ist unvermeidlich. Akute Schäden werden so schnell wie möglich repariert. Nachhaltig beseitigt werden können die Mängel aber nur durch umfangreiche Modernisierungen, die unbedingt erforderlich und auch geplant sind.”
Doch das bedeutet für die Hausbewohner nichts Gutes: „Vermietungen erfolgen nur befristet, damit perspektivisch leere Wohnungen geschossweise saniert werden können”, heißt es in einer Stellungnahme der Unternehmensgruppe. Im Klartext: Köhler & von Bargen versucht seine Mieter, die eben oft nur einen befristeten Mietvertrag erhalten haben, loszuwerden – und das erfolgreich. 21 der 48 Wohnungen des Häuserkomplexes stehen bereits leer, weitere Räumungsklagen laufen. Die verbliebenen Mieter sprechen deshalb von den „Horrorhäusern in der Hardcorestraße”.
Auftritt vor dem Amtsgericht Altona gerät zur Farce
Dass die Entmietungen auf juristisch wackeliger Grundlage stehen, wurde Ende vergangener Woche im Amtsgericht Altona deutlich, wo eine Räumungsklage gegen die langjährige Mieterin Anna C.* verhandelt wurde. Der Auftritt des Köhler & von Bargen-Advokaten geriet zur Farce. Mehrfach forderte die Vorsitzende Richterin den Klägeranwalt auf, „eine wirksame Begründung für die Befristung des Mietvertrags vorzutragen, die dem Gericht bis heute nicht vorliegt”. Doch der Anwalt hatte da nichts vorbereitet. Sein Kommentar vor Gericht: „Ich dachte, dass sei juristisch nicht notwendig.”
Wie ein Erstsemester musste er sich von der Richterin das Juristen-Einmaleins erklären und darüber belehren lassen, dass jede Begründung für die Befristung eines Mietvertrages in der Praxis nachgewiesen werden müsse. Wenn der behauptete „komplette Umbau der Wohnung und die geplante Zusammenlegung mit Nachbarwohnungen” nicht genehmigungsfähig oder nachweisbar geplant sei, habe das Unternehmen „den Befristungsgrund erschlichen”, so die Richterin.
Immobilien Hamburg: Für diese Altbauten gilt Soziale Erhaltungsverordnung
Der schlecht vorbereitete Jurist muss nun schriftlich nacharbeiten, am 10. Oktober sieht man sich vor Gericht wieder. Doch dass Köhler & von Bargen wirklich eine baldige Zusammenlegung des Heims von Anna C. mit der Nachbarwohnung plant, darf bezweifelt werden: „In dieser Wohnung lebt eine 89 Jahre alte Witwe, die schon seit 80 Jahren in diesem Haus wohnt”, berichtet die 35 Jahre alte Sozialpädagogin. Die alte Dame aber habe „noch nicht einmal eine Kündigung erhalten”.
Auch dass die als Befristungsgrund angeführten „kompletten Umbauten und Zusammenlegungen von Wohnungen” überhaupt rechtlich möglich sind, ist zweifelhaft. Die vier Altbauten liegen im Bereich einer Sozialen Erhaltungsverordnung. Aufwendige Modernisierungen und Wohnungsvereinigungen werden hier in aller Regel vom Bezirk nicht genehmigt, um „Verdrängungseffekten in diesen Stadtteilen entgegenzuwirken und weitere Verluste von noch verbliebenem günstigen Wohnraum einzudämmen“.
Ein Firmengeflecht und das Verwirrspiel um Eigentümergesellschaften
Kurios: Im Schriftverkehr mit den Mietern und auch in den Klageverfahren tauchte in der Vergangenheit als Eigentümer stets nur die eine oder andere sogenannte „Objektgesellschaft Harkortstraße” auf, oft versehen mit den entsprechenden Hausnummern, nie aber der Name Köhler & von Bargen. Ein unübersichtlich gehaltenes Firmengeflecht, bei dem auch deren Schöpfer offensichtlich schon mal durcheinanderkommen: So wurde Anja B. von der inzwischen sogar aufgelösten „Objektgesellschaft Harkortstraße 142” gekündigt, der das Gebäude aber auch nie gehört hat. Denn die Beklagte wohnt in dem Altbau mit der Hausnummer 146.
Wozu dieses Verwirrspiel gut ist, glaubt die Mietergemeinschaft zu wissen: Mehrere Mieter und Mieterinen vermuten, dass der Verkauf der Häuser verschleiert werden sollte, damit Bezirk und Stadt ihr Vorkaufsrecht nicht ausüben, das sie nutzen können, wenn nach dem Besitzerwechsel einer Immobilie Spekulation droht. Denn wechselt bei einem sogenannten Share Deal nicht ein Gebäude den Besitzer, sondern die Firma, der das Gebäude gehört, so ist das Vorkaufsrecht der Stadt viel schwieriger auszuüben. Zwar betont Finanzsenator Andreas Dressel (SPD), „dass Share Deals unser Vorkaufsrecht nicht aushebeln”, doch seine Behörde räumt gleichzeitig ein, dass Hamburg damit „juristisches Neuland” betrete.
Köhler & von Bargen: Keinerlei Interesse, die Eigentumsverhältnisse zu kaschieren
Tatsächlich bestätigte das Bezriksamt Altona den Mietern: „Für das Haus Harkortstraße 142 und auch für die nördlich angrenzenden Häuser Harkortstraße 144, 146 hatten wir bisher keinen Kaufvertrag zur Prüfung des allgemeinen Vorkaufsrechts vorliegen.“ Köhler & von Bargen allerdings bestreitet jedes Interesse, die wahren Eigentumsverhältnisse zu kaschieren: „Dass Wohngebäude in Objektgesellschaften liegen, ist bei großen privatwirtschaftlichen Bestandshaltern schon aus steuerrechtlichen Gründen Usus. Damit wird nichts ,verschleiert´.“
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Das Unternehmen kündigt nun an, mit der Instandsetzung und Modernisierung des bereits entmieteten Wohnraums zeitnah zu beginnen. Erste Sanierungsanträge für einzelne Wohnungen hat es bereits vom Bezirk bewilligt bekommen. Auf die Idee, nach der Sanierung der leer stehenden 21 Wohnungen die verbliebenen Mieter bei der anschließenden Ertüchtigung ihrer Wohnungen vorübergehend hausintern umzuquartieren, statt sie auf die Straße zu setzen, ist die Firma bislang aber noch nicht gekommen – entsprechende Ankündigungen oder gar Angebote liegen den verbliebenen Hausbewohnern bis heute nicht vor.
Immobilien Hamburg: Mieter wissen nicht, wie es weitergeht
Auch wurden diese vom Eigentümer bislang nicht darüber informiert, ob die Altbauten grundsaniert oder aufwendig modernisiert werden sollen mit entsprechenden Mietsprüngen. Selbst darüber, ob ihre Häuser wirklich wieder in Schuss gebracht oder doch abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden sollen, wissen die verbliebenen 27 Mietparteien nicht.
„Die Eigentümer kommunizieren mit uns nicht über unsere Zukunft in der Harkortstraße – die bleibt ungewiss”, sagt ein Mieter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, und ergänzt: „Wir wissen aber natürlich, dass ein komplett entmietetes Haus viel mehr wert ist als eines, in dem noch Menschen leben.”
*Name von der Redaktion geändert.