Hamburg. Viertklässler fordern mehr Rücksicht im Straßenverkehr. Die häufigsten Gefahrenquellen – und warum Elterntaxis verboten werden sollen.
„Tempo runter“, „Augen auf die Straße“: Mit selbst gebastelten Plakaten und gelben Warnwesten stehen Schülerinnen und Schüler zweier vierter Klassen der Grundschule Redder an der Straße Saseler Markt. Mit ihrer Aktion wollen sie Autofahrer sensibilisieren, im Straßenverkehr aufmerksamer zu sein und vor allem auf diejenigen achtzugeben, die mit Ranzen auf dem Rücken ihren Weg zur Schule bestreiten – ganz ohne Warnweste und Hinweisschild.
In Hamburg werden in diesem Jahr rund 20.000 Kinder eingeschult. Für die Erstklässlerinnen und Erstklässler beginnt ein neues Abenteuer: Schule. Doch auch der Weg dorthin stellt eine besondere Herausforderung dar. Für Kinder ist dies oft die erste eigenständige Erfahrung im Straßenverkehr. Geübte Verkehrsteilnehmer treffen auf Ungeübte. Die Polizei Hamburg ruft daher zu besonderer Rücksichtnahme auf und kündigt verstärkte Kontrollen an.
Schule Hamburg: Kinder sollten Schulweg „alleine kennenlernen und meistern“
„Viertklässler haben schon gelernt, wie sie sicher zur Schule kommen. Aber ab Dienstag kommen mehr als 200 Kinder, die eingeschult werden“, sagt Gunnar Hümme, Leiter der Vor- und Grundschule Redder in Sasel. Es sei eine gemeinsame Aufgabe, dass der Schulweg sicher ist, sagt Bildungssenatorin Ksenija Bekeris.
Gemeinsam mit dem Stabsleiter der Verkehrsdirektion der Polizei Hamburg sowie der Unfallkasse Nord und Schülern verteilte sie Flyer in Form von Schultüten an Autofahrer. Diesen müsse man „vor Augen halten, Geschwindigkeit sowie den passenden Abstand zu halten und bremsbereit zu sein“, sagt Bekeris. Achtsamkeit rette Leben. Daneben müssen laut Nieberding Eltern ihre Kinder auf Gefahren hinweisen. Wenn möglich, sollten diese ihre Kinder nicht vor die Schultür fahren, sondern ihnen „die Möglichkeit geben, dass sie den Schulweg alleine kennenlernen und meistern“.
Schülerin Lotte Hackhe sagt: „Autofahrer sollen langsamer fahren, und zwar nicht nur für die nächsten zwei Wochen, sondern für immer, damit sie keine Unfälle bauen.“ Die neun Jahre alte Schülerin wünscht sich zwar weniger Autos insgesamt, dafür aber mehr E-Autos. „Das ist auch für das Klima besser.“
„Autofahrer sollen langsamer fahren, und zwar nicht nur für die nächsten zwei Wochen, sondern für immer.“
Zu den häufigsten Gefahrenquellen zählen laut Polizei überhöhte Geschwindigkeit, die Missachtung roter Ampeln, das Nichtbeachten des Vorrangs von Fußgängern an Zebrastreifen sowie verkehrswidriges Halten und Parken – insbesondere durch sogenannte „Elterntaxis“ im Umfeld der Schulen. Auch unzureichende Sicherung der Kinder in Fahrzeugen und ihre mangelnde Sichtbarkeit stellen ein Risiko dar. Hamburg sei ein gefährliches Pflaster, so Jarosch. Im vergangenen Jahr gab es laut der Sachgebietsleiterin für Bildungseinrichtungen 1300 Schulwegunfälle, aber nur wenige mit einem Kfz.
Einschulung in Hamburg: Polizei Hamburg führt verstärkt Kontrollen durch
An der Grundschule Redder gibt es wie an zahlreichen anderen Hamburger Schulen eine Verkehrs AG des Elternrats. Dieser weist immer wieder darauf hin, Kinder nicht mit dem Auto zur Schule zu bringen. Es gebe Stempelpässe für Schüler, die mit dem Bus kommen, sagt Gesa Hagner, stellvertretende Schulleiterin. Dieser halte wenige Meter entfernt. „Den restlichen Weg schaffen sie alleine.“
Zwischen 7 und 17 Uhr herrscht totales Parkverbot in der Straße, die Schule hat eine „Kiss&Go“-Zone eingerichtet, an diesem Punkt können Eltern kurz halten, ihre Kinder abgeben und verabschieden. „Das klappt ganz gut“, so Hagner. Doch vor allem an Regentagen bringen viele Eltern ihre Kinder mit dem Auto.
Um die Sicherheit im Schulumfeld zu erhöhen, wird die Polizei Hamburg bis zum 20. September im Umfeld von Schulen Schwerpunktkontrollen durchführen.
Besondere Gefahr im Verkehr: Durch Elterntaxis wird es „unübersichtlich und gefährlich“
Mehrere Initiativen, darunter der Deutsche Fahrrad-Club, Parents for Future und der Verkehrsclub Deutschland, forderten bereits ein Aus für Elterntaxis. Auch ein Antrag von SPD und Grünen widmet sich diesem Problem: „Vor Schulbeginn und nach Schulschluss staut sich der Bring- und Holverkehr, die Lage auf Bürgersteigen und Straßen wird besonders für die Kleinsten unübersichtlich und dadurch gefährlich“, heißt es in dem Antrag.
Um für Sicherheit zu sorgen, könne man sogenannte Schulstraßen einführen. Heißt: Straßen werden temporär, zu den Stoßzeiten, für den Autoverkehr gesperrt. Praktiziert wird das bereits in der Schule in der Alten Forst in Harburg – in Altona und Eimsbüttel gebe es aktuell Planungen und Aktionen, heißt es in dem Antrag.
So reagieren Hamburger Grundschulen auf den Vorschlag
„Die Idee ist prima“, sagt Birgit Freitag, Leiterin der Schule Curslack-Neuengramme. An der Grundschule im Bezirk Bergedorf sei das „sehr gut realisierbar“. Die Schule habe eine zusätzliche Haltestelle für Eltern eingerichtet, rund 300 Meter von der Schule entfernt. Eltern werden wiederholt auf Elternabenden und in Elternbriefen darum gebeten, ihre Kinder nicht in unmittelbare Schulnähe zu bringen und abzuholen.
Die Idee ist jedoch nicht für jede Einrichtung geeignet. „An unserer Schule ist dieser Vorschlag wahrscheinlich nicht realisierbar, da ein Bus direkt an der Schule vorbeifährt. Zudem haben wir in direkter Nachbarschaft eine Kita und ein Gymnasium, insgesamt also ein sehr hohes Verkehrsaufkommen unterschiedlich mobiler Personen“, sagt Heike Joost-Blaszczyk, Schulleiterin der Schule Surenland. „Den Vorschlag finde ich hervorragend und würde die Bringsituation morgens sehr entspannen“, sagt Kerstin Wendt-Scholz, Schulleiterin der Grundschule Franzosenkoppel. Es gebe aber keine Pauschallösung – „wir müssen weiter an die Vernunft appellieren und dranbleiben“.
An Hamburger Grundschulen treffen sich Kinder bereits auf dem Weg: „Stärkt Verkehrskompetenz“
Dirk Hoffmann, Leiter der Schule Neubergerweg, lehnt Elterntaxis ab, hält aber wenig von der Idee: „Mag ja realisierbar sein, aber schaffen wir hiermit für die Kinder eine der Realität entsprechende Verkehrssituation?“ So sollten Schüler lernen, mit den Gefahren des Straßenverkehrs möglichst gut umzugehen. „Eltern sollten akzeptieren, dass die Umwelt der kleinen Kinder voller Gefahren ist. Diese Gefahren können nicht beseitigt werden.“ Hoffmann rät Eltern deshalb: „Kinder stark machen: Kinder ermächtigen, möglichst schnell ihren Schulweg eigenständig zu bewältigen.“
- Hamburger Kinder haben besonders oft Karies – was Experten raten
- Einschulung: Zwillinge in einer Klasse – geht das gut?
- Fehler in Schülertexten – was sich nach den Ferien ändert
Auch Marco Czech, Schulleiter Schule Stengelestraße, rät Eltern, die Zeit vor der Einschulung zu nutzen, um den Schulweg gemeinsam zu üben. Ein temporäres Durchfahrtsverbot könne in Einzelfällen sinnvoll sein. „Grundsätzlich sollten aber die Verantwortlichen vor Ort eine praktikable Lösung finden, wenn Probleme bestehen.“
Die Straße der Schule wird während der U-Bahn-Baustelle an der Horner Rennbahn als Ausweichstrecke für die Linienbusse genutzt. Das eingerichtete Halteverbot werde von Eltern nicht gut eingehalten, so Czech. „Hier ist immer wieder konsequentes, wiederholtes Eingreifen der Polizei notwendig. Nach Fertigstellung der U-Bahn könnte man überlegen, ob statt des dann wieder geltenden Parkverbots eine Kurzhaltezone ‚Kiss&Go‘ ermöglicht werden kann.“
Schule in Hamburg hat Verkehrs AG gegründet
Die Eltern der Schule an der Burgweide in Wilhelmsburg haben ebenfalls eine Verkehrs AG gegründet. „Wir bemühen uns, eine fahrradfreundliche Schule zu sein. Wir haben sehr viele neue Stellplätze erhalten und in der Fahrrad AG lernen Schülerinnen und Schüler, einfache Reparaturen selbst durchzuführen“, sagt Schulleiterin Daniela Quidas-Heer. So fahren jeden Morgen bis zu einem Dutzend Kinder die zweieinhalb Kilometer lange Strecke zur Schule gemeinsam, in Begleitung eines Erwachsenen.
Jörg Maltzan, Leiter des Fahrrad-Workshops und Mitglied der Verkehrs AG, betont: „Das klappt super und stärkt schon früh die Verkehrskompetenz der Kinder im Alter von vier bis neun Jahren.“ Auch Lotte Backhe fährt jeden Tag mit dem Fahrrad zur Schule, gemeinsam mit ihrer Freundin Lara. Die Schülerinnen fühlen sich auf dem Gehweg sicher. „Trotzdem habe ich manchmal Angst, überfahren zu werden“, sagt die Neunjährige. Sie sei auch schon mal vom Rad gestürzt. „Zum Glück habe ich mich aber nur erschreckt.“