Kiel. Schleswig-Holstein schafft „Fehlerquotienten“ ab. Was an dessen Stelle tritt, ist kurz vor Schulbeginn noch unklar, kritisiert die SPD.

In disem Tekst komt es nicht auf Vehler an, sie spilen vür eine Nohte keine Rollle.

Theoretisch können die Schülerinnen und Schüler in Schleswig-Holstein nach den Sommerferien Sätze wie diesen schreiben, ohne dass es Einfluss auf die Bewertung hätte. Das Land hat mit Ende des Schuljahres 2023/24 den sogenannten Fehlerquotienten abgeschafft. Das heißt: Die Lehrer sollen nicht mehr auf die Anzahl der Fehler achten, allerdings schon noch darauf, welche Fehler Schüler machen. Nur: Wie das gehen soll, was genau an die Stelle des Fehlerquotienten tritt und wie damit im Unterricht nach den Sommerferien gearbeitet werden soll, das wissen die Deutschlehrer zwischen Flensburg und Lauenburg vier Wochen vor Beginn des neuen Schuljahres nicht. „Das Bildungsministerium sitzt wohl bis zur letzten Minute an der Erarbeitung des versprochenen Bewertungsbogens, der immer noch nicht veröffentlich ist“, kritisiert SPD-Bildungsexperte Martin Habersaat.

Schule Schleswig-Holstein: Fehler in Schülertexten – was sich nach den Ferien ändert

„Man stelle sich für einen Moment vor, eine SPD-Bildungsministerin hätte dem ‚Heimat- und Sachunterricht‘ die ‚Heimat‘ genommen oder im Deutschunterricht die Bedeutung der Rechtschreibung geschwächt, indem sie den Fehlerquotienten ohne große Diskussion abschafft. Das Geheul aufseiten der CDU wäre riesig gewesen“, kritisiert Habersaat die Entscheidung der schwarz-grünen Landesregierung vom Frühjahr, die in wenigen Wochen greift.

Die Bedeutung der Rechtschreibung und Zeichensetzung soll den Schülerinnen und Schülern nach den Ferien „auf anderem Wege als nur über eine undifferenzierte Bewertung nach Menge der Fehler ohne Beurteilung der Qualität der Fehlleistungen vermittelt werden“, argumentiert das Land. Schließlich hätten auch Bildungstests gezeigt, dass Kinder aus Schleswig-Holstein trotz des Fehlerquotienten nicht weniger orthografische Fehler machten als Kinder aus Bundesländern, in denen der Fehlerquotient längst Vergangenheit ist.  

Martin Habersaat aus Reinbek ist Landtagsabgeordneter und Bildungsexperte der SPD.
Martin Habersaat aus Reinbek ist Landtagsabgeordneter und Bildungsexperte der SPD. © Jan-Christoph Schultchen | Jan-Christoph Schultchen

Schule Schleswig-Holstein: Beorgniserregende Ergebnisse im IGB-Bildungstest

In der Antwort auf eine Kleine Anfrage des SPD-Bildungsexperten Habersaat gesteht das Land sogar massive orthografische Defizite bei den Schülern ein. So hatten sich die norddeutschen Mädchen und Jungen bei den jüngsten bundesweiten Bildungstests („IQB“) nochmals zum Teil deutlich in ihren – ohnehin nicht überragenden Leistungen – verschlechtert. Wörtlich heißt es in der Antwort des Bildungsministeriums, dass die orthografischen Kompetenzen norddeutscher Grundschüler „im unteren Mittelfeld“ lägen. Seit 2016 seien die „mittleren Kompetenzen“ der Schülerinnen und Schüler in Orthografie bedeutsam gesunken, gleichzeitig sei seither eine „bedeutsame Zunahme des Anteils von Risikoschülern“ festzustellen. Nicht viel besser sieht es an den weiterführenden Schulen Schleswig-Holsteins aus. Hier habe der IQB-Bildungstrend 2022 gezeigt, dass „bedeutsam“ mehr Neuntklässler die Mindeststandards für den Ersten Schulabschluss in Orthografie verfehlten.

Im Unterschied zu Schleswig-Holstein haben sich die Hamburger Schülerinnen und Schüler in den jüngsten Bildungstests verbessert. Hier greift ein Bündel von Maßnahmen, die die Hansestadt nach dem „Pisa-Schock“ ergriffen hatte. So wird längst jedes Kind mit viereinhalb auf sein Sprachvermögen getestet – und bei Bedarf nachgeschult. Es gibt verpflichtende Nachhilfe, Sommercamps und systematische Überprüfungen der Leistungen der Schüler. Wer hier durchfällt, wird ebenfalls nachgeschult. All das gibt es in Schleswig-Holstein nicht.

Fehlerquotient wird abgeschafft: Was der SPD-Experte jetzt fordert

Bildungsfachmann Habersaat goutiert, dass die Kieler Landesregierung im neuen Schuljahr zumindest ein Pilotprojekt zur Sprachstandserhebung vor der Einschulung startet. Aber ihm kommen Maßnahmen wie diese viel zu zögerlich. „Was soll eigentlich pilotiert werden, wenn diese Maßnahme zusammen mit der sich anschließenden Sprachförderung bereits seit Langem in fast der Hälfte der Bundesländer erfolgreich umgesetzt wird?“ Auch die Experten im Nationalen Bildungstrend würden solche Tests empfehlen, so Habersaat. „Wie lange soll es dauern, bis diese Maßnahme flächendeckend auch in Schleswig-Holstein umgesetzt wird und unsere Kinder davon profitieren?“ Der SPD-Politiker bemängelt zudem, dass eine standardisierte Diagnostik, um Förderbedarfe bei Schülern der Jahrgangsstufen 1 bis 6 festzustellen, erst ab dem Schuljahr 2025/26 realisiert werden soll. „Das ist alles noch Zukunftsmusik, obwohl wir die Probleme an den Schulen heute haben.“

Mehr zum Thema

Zurück zum Fehlerquotienten. Habersaat hat sich für sein Mandat als Landtagsabgeordneter von seinem Job als Deutschlehrer beurlauben lassen. Ihm ist es wichtig, dass den Schülerinnen und Schülern „der Wert einer korrekten Rechtschreibung vermittelt wird“. Die Kinder und Jugendlichen müssten sich, auch wenn die Rechtschreibung nicht mehr notenrelevant sei „mit den eigenen Fehlern auseinandersetzen. Nur wer die eigenen „Fehlerschwerpunkte“ sehe und sich mit ihnen beschäftigt, werde sich verbessern. „Allerdings nur, solange die Botschaft nicht lautet, Rechtschreibung ist nicht mehr so wichtig“, sagt Habersaat. „Allein durch die Streichung des Fehlerquotienten wird nichts besser werden.“