Hamburg. Bürgerschaftsabgeordnete erklären, wie sie die Wahl 2024 in Thüringen und Sachsen sehen. Wieso? Sie haben vor vielen Jahren „rübergemacht“.
- Landtagswahlen im Osten – nirgendwo ist die AfD so stark wie in Sachsen und Thüringen
- Drei Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete erklären, warum AfD im Osten auf so fruchtbaren Boden stößt
- Was ist dran an dem Gefühl im Osten, ungesehen, unbeachtet und ungehört zu sein?
Am Sonntag blickt ganz Deutschland auf den Osten. Die Landtagswahlen 2024 in Sachsen und Thüringen gelten als Schicksalswahlen. Drei Wochen später setzen zudem die Brandenburger ihre Kreuzchen. In allen drei Ländern hat die AfD veritable Chancen, Wahlsiegerin zu werden. Die Landesverbände der Partei in Sachsen und Thüringen stuft der Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem ein.
Ein Blick auf die bundesweiten Zustimmungswerte zeigt: Nirgendwo verfängt die AfD so stark wie in den neuen Bundesländern. Warum der Osten ist, wie er ist, hat das Abendblatt Menschen gefragt, die es wissen müssen.
Die Bürgerschaftsabgeordneten Arne Platzbecker (SPD), Sandro Kappe (CDU) und Alexander Wolf (AfD) wurden in der DDR geboren und machen heute in Hamburg Politik. Sie berichten, wie ihre Herkunft ihren politischen Kompass beeinflusst, weshalb die AfD in ihrer Heimat auf so fruchtbaren Boden stößt und was sie für die Landtagswahlen hoffen.
Landtagswahlen 2024: Hamburger Politiker über den Osten
Wer den Osten heute verstehen will, der muss den Blick in die Vergangenheit richten, genauer gesagt in die Zeit vor und unmittelbar nach dem Mauerfall, finden die Bürgerschaftsabgeordneten Platzbecker, Kappe und Wolf gleichermaßen. „Der Osten hat das Gefühl, er wurde während der Wende verramscht und ausbluten gelassen“, sagt CDU-Mann Sandro Kappe.
Volkseigene Betriebe (VEB) wurden damals stillgelegt oder mithilfe der Treuhandanstalt privatisiert. Das heißt: Nicht selten von Westdeutschen aufgekauft — teils für nicht mehr als eine einzige „blaue Fliese“ (Westmark). Was von der DDR übrig war, wurde zum Schnäppchenmarkt. Im September 1990 waren mehr als zwei Millionen frühere DDR-Bürger plötzlich arbeitslos oder in Kurzarbeit.
Die Auflösung der SED-Diktatur, der Mauerfall und die Wiedervereinigung waren nicht nur riesige Erfolge, sondern auch ein extremer Einschnitt in die Biografien von Millionen Menschen. „In Ostdeutschland herrscht das Gefühl vor: Uns wurde nichts geschenkt. Es gab eine wirtschaftliche Vernichtung, und wir mussten uns alles selbst wieder aufbauen“, sagt Arne Platzbecker, der seine Heimat Dresden 1992 für einen Zivildienst in der Asklepios Klinik St. Georg verlassen hat.
„Die Wiedervereinigung ist für mich ein historischer Erfolg. Punkt“, sagt er. „Doch im Osten gibt es ganz viele Leute, die im Zuge der Wiedervereinigung enttäuscht worden sind. Diese Menschen fühlen eine Ungerechtigkeit.“ Bis heute habe es der Westen nicht im ausreichenden Maße geschafft, dem Osten gegenüber eine Perspektive der Wertschätzung einzunehmen.
Deutschlands Osten fühlt sich ungesehen, ungehört, unbeachtet – zu Recht?
Für Sandro Kappe, der 1985 in Teterow in Mecklenburg-Vorpommern geboren wurde und für ein duales Studium in der Zollverwaltung „rübergemacht“ hat, steckt hinter der andauernden Enttäuschung auch ein Verständigungsproblem zwischen Ost und West während der aufwühlenden Wendezeit. Es hätte „bei der Wiedervereinigung ganz anders kommuniziert werden müssen, wie schlecht es um die DDR am Ende wirklich stand und wieso der Westen agiert, wie er agiert“, sagt er.
Bis heute plagt Menschen im Osten das Gefühl, die Bundesrepublik habe das Gebiet der DDR mitsamt ihrer über Jahrzehnte gewachsenen Kultur und Identität „gefressen“ – ohne dass jemand einen Gedanken daran verschwendet hätte, welche Errungenschaften und Erfahrungen der „Ossis“ auch im vereinten Deutschland noch von Wert sein könnten. Ein Fall für das viel zitierte „Es war nicht alles schlecht“. Viele Bewohner aus der DDR hätten sich einen Einigungsvertrag gewünscht, sagt Kappe. „Damit wäre es einfacher gewesen, die Leute mitzunehmen.“
„Die Westdeutschen halten den Osten für undankbar — und das macht die Ostdeutschen immer trotziger.“
Auch heute beobachte er noch, dass ostdeutsche Positionen nicht gehört werden wollen, erzählt der SPD-Abgeordnete Platzbecker. „Wenn es zum Beispiel um die Stationierung US-amerikanischer Raketen in Deutschland geht, dann hat der Osten da einfach einen eigenen Blick drauf. Das ist historisch bedingt. Das muss aber auch thematisiert werden“, sagt er. „Die Ostdeutschen vertrauen der Demokratie und dem Rechtsstaat ja zu überwiegendem Teil, aber sie fühlen sich nicht gesehen und ihre Probleme nicht ernst genommen.“
Gänzlich ungehört, ungesehen, unbeachtet — das ist der Osten natürlich nicht. Trotzdem hält sich das Narrativ hartnäckig und dreht seine Pirouetten, beobachtet Platzbecker: „Die Westdeutschen halten den Osten für undankbar — und das macht die Ostdeutschen immer trotziger.“
Landtagswahlen 2024: AfD positioniert sich als „Ossi-Versteher“
Alexander Wolf sitzt für die AfD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft. Nicht ohne Stolz in der Stimme stellt er fest: „Der AfD ist es gelungen, sich als Heimatpartei zu positionieren, mit der sich die Leute identifizieren.“ Damit habe sie in gewisser Weise jene Position eingenommen, die einmal der SED-Nachfolger und Linken-Vorgänger PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus) besetzte. Auch Wolf attestiert einem Teil der Ostdeutschen, sich abgehängt zu fühlen — und sieht darin einen Quell für die hohe Beliebtheit seiner Partei in den neuen Bundesländern: „Auch die AfD wird als Partei ausgegrenzt und gehört nicht zum Establishment. Vielleicht sympathisieren die Leute auch deshalb mir ihr.“ Underdogs unter sich, quasi.
Während einige Ostdeutsche das Gefühl haben, vom Westen noch immer nicht für voll genommen zu werden, noch immer als „Jammer-Ossis“ zu gelten, stilisiert sich die AfD als Partei der „Ossi-Versteher“. Für Werbefotos setzt sich der in Nordrhein-Westfalen geborene Anwärter auf das thüringische Ministerpräsidentenamt, der rechtsextreme Björn Höcke, etwa auf eine S51. Die Mopeds der Marke Simson verbinden viele Ostdeutsche mit einem Gefühl der großen Freiheit. Sie sind Dreh- und Angelpunkt vieler Jugenderinnerungen. Bis heute gilt in Ostdeutschland: Wer auf einer „Simme“ am Schultor vorfährt, zählt zu den ganz Coolen.
Dass sich die AfD das Phänomen der Ostalgie zunutze macht, ist nicht weiter verwunderlich. Und ob es sich bei Ostalgie um nicht mehr als bloße Verklärung handelt, kann der Partei völlig egal sein. Wichtig ist: Die AfD weiß zu vermitteln, dass sie sie ernst nimmt.
„Ein Identitätsgefühl der Ostdeutschen hat es schon immer gegeben“
Der Osten habe eine eigene Identität, so wie es sie auch in Bayern und dem Schwabenland gebe, sagt der SPD-Abgeordnete Arne Platzbecker. Aus diesem verbindenden Element schlage die AfD gekonnt politisches Kapital: „Ein Identitätsgefühl der Ostdeutschen hat es schon immer gegeben und das hat sich mit der Wende auch nicht aufgelöst. Diese eigene Identität wird im Westen aber oftmals nicht gesehen, nicht anerkannt. Jetzt manifestiert sie sich teilweise in einer ablehnenden Haltung gegen die Flüchtlingspolitik. Und ich muss leider sagen: Wir, die demokratischen Parteien, haben darauf bisher nicht die richtigen Antworten.“
Die AfD stürzt sich geradezu auf das Thema Migration. Sie geht auf Stimmenfang mit dem Versprechen, den Zuzug von Geflüchteten beziehungsweise Ausländern extrem zu begrenzen und konsequent abzuschieben. Damit rennt sie im Osten offene Türen ein. Der SPD-Abgeordnete Platzbecker führt das unter anderem auf Verlustängste zurück. Menschen, die nach der Wende gezwungen waren, sich ihr Leben ein zweites Mal aufzubauen, würden besonders sensibel auf mögliche Umbrüche und Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt reagieren. Deshalb gehe es nun darum, dem Osten darlegen zu können, was für Migration spricht und welche Potenziale Zuwanderung birgt.
So viel Osten steckt in Hamburg
Seit der Wiedervereinigung hat es viele Menschen aus den neuen Bundesländern nach Hamburg verschlagen. Am 31. Dezember 2023 lebten nach Daten des Statistikamts Nord knapp 107.800 Menschen in der Hansestadt, die im Osten geboren wurden. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 5,5 Prozent. Die meisten davon stammen aus Mecklenburg-Vorpommern (38.563), gefolgt von Brandenburg (25.356) und Sachsen (18.286).
Die meisten Zuzüge aus den neuen Bundesländern verzeichnete Hamburg im Jahr 2007. Mehr als 10.900 Ostdeutsche wählten damals Hamburg als ihren neuen Wohnort. Seitdem sind die Zahlen wieder rückläufig. Im Jahr 2023 zogen nur rund 4.800 Menschen aus den neuen Bundesländern in die Hansestadt.
Sandro Kappe von der CDU denkt ebenfalls, dass das Thema Migration im ostdeutschen Wahlkampf zentral ist. Zumal es im Osten fehlende Berührungspunkte und damit auch fehlende positive Erfahrungen mit Ausländern gebe. Der Verunsicherung der Menschen müsse mit einer strikteren Asylpolitik begegnet werden. Wenn ausländische Straftäter in Deutschland bleiben dürfen, könne das zu Recht niemand verstehen, sagt Kappe.
Hamburger Bürgerschaft: So viele Ostdeutsche machen hier Politik
Das Gros der Bürgerschaftsabgeordneten kommt aus Hamburg. In der DDR beziehungsweise in den neuen Bundesländern (ausgenommen Berlin) ist nur ein Bruchteil der Politiker geboren. Ihre Verteilung innerhalb der Fraktionen ist jedoch bemerkenswert. Unter den 53 SPD-Abgeordneten finden sich in Arne Platzbecker und Simon Kuchinke zwei.
Sandro Kappe ist der einzige Ostdeutsche in der CDU-Fraktion. In der 33 Personen starken Grünen-Fraktion gibt es niemanden, der in Ostdeutschland geboren wurde; gleiches gilt für die Linken. Auffällig hoch ist der Anteil wiederum bei der AfD. Gleich zwei Abgeordnete der nur sechs Personen starken Fraktion stammen aus dem Osten — Alexander Wolf und Marco Schulz.
Alexander Wolf wurde 1967 in Leipzig geboren. Er berichtet von einem repressiven Alltag in der „demokratischen“ Republik: „Ich war notgedrungen sehr früh politisiert. In der DDR musste man sich immer überlegen: Was kann ich wem sagen?“ Weil die Eltern des heutigen AfD-Politikers keine SED-Mitglieder waren, legte ihnen das Regime Steine in den Weg.
Die Chance, Abteilungsleiter beim Computerhersteller Robotron zu werden, konnte Wolfs Vater nicht wahrnehmen — zumindest nicht ohne Parteibuch. Weil er sich weigerte, in die SED einzutreten, gab es harte Sanktionen. Er verlor seine Beschäftigung und durfte auch keine andere aufnehmen, zu dick seine Kaderakte. Stattdessen fiel er unter Paragraf 215 des DDR-Strafgesetzbuches, „Rowdytum“. Die Mutter, eine Zahnärztin, finanzierte fortan den Lebensunterhalt für die Familie allein.
Nach jahrelangem Abwarten bewilligte die DDR den Ausreiseantrag der Familie endlich. 1979 konnte sie die DDR verlassen. Alexander Wolf war zu dieser Zeit zwölf Jahre alt, er beendete seine Schullaufbahn in München. „Das Thema Wiedervereinigung habe ich damals als sehr zentral erlebt. Auch weil ich früh mitbekommen habe, dass die Teilung nicht für immer Bestand haben kann“, erinnert sich der AfD-Politiker.
Während seiner Studienzeit habe er daher sofort mit der Münchener Burschenschaft Danubia sympathisiert — eine der wenigen Institutionen, die damals an der Idee der Wiedervereinigung festhielten, sagt Wolf. Die Burschenschaft wird heute dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet und in Teilen vom Bayerischen Verfassungsschutz beobachtet.
Ostdeutsche haben „große Skepsis gegenüber dem, was von der Regierung kommt“
„Meine Herkunft hat schon Einfluss darauf, wie ich heute Politik mache. Die Wiedervereinigung und das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Nation sind da wichtige Punkte, die sich aus meiner Vita ergeben“, sagt Wolf. Aus den Erfahrungen seiner Familie in der DDR ergebe sich ein starkes Bedürfnis, „die Freiheit des Einzelnen gegenüber einem übergriffigen Staat zu verteidigen. Der erhobene Zeigefinger und Vorschriften, die bis ins intime Privatleben gehen – da stellen sich bei mir die Nackenhaare auf“, so der AfD-Bürgerschaftsabgeordnete.
Ihm zufolge geht es vielen ehemaligen DDR-Bürgern ganz ähnlich. Sie hätten „eine große Skepsis gegenüber dem, was von der Regierungsseite kommt“ — inklusive der Arbeit des Verfassungsschutzes und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In den Augen des AfD-Politikers ist diese Haltung gerechtfertigt: „Ich sage nicht, dass wir eine ,DDR 2.0‘ sind, aber es gibt Tendenzen zu einem Meinungskonformismus. Die Gefahr heute ist aber nicht staatliche Repression, sondern Ächtung.“
Rechtsextreme im Osten: „Ich erinnere mich, dass 200 Leute Jagd auf Linke gemacht haben“
Dass die AfD im Osten stärker verfängt als im Westen Deutschlands, lässt sich nicht mehr wegreden. „In meinem Heimatort hat die AfD stark dazugewonnen. Man kann richtig beobachten, wie diese Partei salonfähig wird“, erzählt Sandro Kappe. Er wisse von hohen Positionen, etwa in Aufsichtsräten, die mittlerweile von AfD-Mitgliedern besetzt seien, und die Lokalpresse verliere zunehmend die Distanz zu der umstrittenen Partei.
Rechtsextremes Gedankengut — das Teile der AfD-Wähler und -Mitglieder hegen — sei aber nichts Neues, sondern ein langjähriges Problem im Osten, sagt der CDU-Abgeordnete: „Das war auch schon früher so. Ich erinnere mich an einen Tag in meiner Heimatstadt, bei dem 200 Leute aufgeschlagen sind und Jagd auf Linke gemacht haben. Das eine Polizeiauto, das da vorgefahren ist, konnte da natürlich auch nichts machen. Das war schon immer ein Thema im Osten — da brauchen wir uns nichts vorzumachen.“
Wegen des Angriffs auf die Ukraine: „Für Populismus ist das jetzt die beste Zeit“
Abgesehen von dieser Affinität für rechtsextreme Parteien, spiele die Weltpolitik der AfD in die Karten, sagt Kappe. „Auch wegen des Ukrainekriegs würde ich sagen, für Populismus ist das jetzt die beste Zeit. Das Phänomen gab es schon in der Vergangenheit. Während des Jugoslawienkrieges ist die Zustimmung zur NPD auch gestiegen.“ Das zeige sich nicht nur in den neuen Bundesländern. Die hohen AfD-Zustimmungswerte im Osten sollten nicht davon ablenken, dass es deutschlandweit extremistische Haltungen gibt, findet Kappe. „Was man abends in Hamburger Kneipen hören kann, ist nicht weit entfernt von dem, was man im Osten hört.“
Kappe hat die Suche nach Ost-West-Differenzen über. Stadt und Land, diese Kategorien träfen es viel besser, sagt er. „Meine These ist: Die Großstädte im Osten sind eigentlich ähnlich zu den Großstädten im Westen. Was die Dörfer angeht, da stelle ich ebenfalls fest: Auch in Westdeutschland gibt es im Ländlichen mehr Rechtsradikale.“
AfD im Osten beliebt: „Leute sind nicht mehr bereit, an eine positive Zukunft zu glauben“
Eine Einschätzung, die der SPD-Abgeordnete Platzbecker nicht teilt. „Die Diskrepanz zwischen dem ländlichen und städtischen Raum ist im Osten wesentlich höher als im Westen“, sagt er. Während Dresden, Leipzig, Potsdam oder Erfurt in wirtschaftlicher und touristischer Hinsicht Erfolgsgeschichten seien, habe der ländliche Raum den Kürzeren gezogen. „Die ländlichen Gebiete im Osten hat man todschick saniert, aber sie sind häufig abgehangen – sowohl emotional als auch wirtschaftlich.“
Das falle der Demokratie auf die Füße: „Wenn ich auf den Osten gucke, dann mache ich mir Sorgen darüber, dass wir schon ganz viele Leute verloren haben“, sagt Platzbecker. „Diese Leute sind nicht mehr bereit, an eine positive Zukunft zu glauben. Der Frust der Wähler ist so groß geworden, dass sie eine rechtsextreme Partei wählen. Da müssen wir jetzt ran, das ist demokratiegefährdend!“
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Das hoffen Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete für die Landtagswahlen
Was die Landtagswahlen angeht, gibt Platzbecker daher ein Statement ab, das sich für einen SPD-Politiker in jeder anderen Situation verbieten würde: „Ich bin optimistisch für den 1. September, dass die CDU es in Sachsen schafft, stärkste Kraft zu werden und einen demokratischen Koalitionspartner findet.“ Auch die Landtagswahl in Thüringen sei „nicht so verloren, wie es manchmal heißt.“ Kappe hofft — selbstverständlich — ebenfalls, dass die CDU das Rennen macht. „Sollte das gelingen, wird es jedoch eine große Herausforderung, denn wir werden selbstverständlich ohne die AfD koalieren müssen. Eine Zusammenarbeit mit der AfD ist für die CDU absolut ausgeschlossen“, stellt er klar.
Dass „sich die CDU bislang so kategorisch verweigert“, missfällt wiederum AfD-Politiker Wolf. Denn sollte seine Partei als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorgehen, leitet er daraus einen Regierungsanspruch ab. Nur mit wem koalieren? „Gegebenenfalls könnte die AfD mit dem BSW von Sahra Wagenknecht zusammen regieren. Auch eine Minderheitsregierung wäre denkbar“, findet Wolf. Und sogar eine Zusammenarbeit mit der SPD, die schließlich in einer Arbeiterpartei-Tradition stehe, schließt er nicht aus.
Laut Wolf könnte ein Wahlsieg im Osten dazu führen, dass andere Parteien die AfD stärker tolerieren. Ähnlich wie in anderen europäischen Ländern könnte das den Rechten die Türen in die Regierungen öffnen. Wolf verweist hier auf Italien und Schweden.
Sandro Kappe bleibt optimistisch. Sollten sich die Umfragewerte bestätigen und die AfD in Thüringen die Wahlen gewinnen, ließe sich daran ein Exempel statuieren, sagt der CDU-Politiker. „Ich bin guten Mutes, weil man bei TV-Auftritten von Björn Höcke zum Beispiel sieht: Den kann man sofort entzaubern. Die AfD-Politiker erzählen viel, aber wenn sie wie der erste AfD-Landrat an der Macht sind, kriegen sie es ja doch nicht hin.“ Ein Bundesland als Bauernopfer? Ob sich der Osten dadurch gesehen fühlt?
Landtagswahlen 2024 als Zeichen für die Bundestagswahl 2025?
Nach den Landtagswahlen ist vor der Bundestagswahl. Und mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung besteht weiterhin Redebedarf zwischen Ost und West. Für Arne Platzbecker ist jetzt zentral, das Gespräch miteinander nicht verstummen zu lassen. „Ostdeutsche Perspektiven müssen viel stärker mit einbezogen werden“, sagt er, auch in der Hamburger Landespolitik. Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete will seinen Hamburger Genossen einen Sieben-Punkte-Plan vorlegen: Mithilfe eines Dialogforums, einer Innovationsbrücke, Kulturprogrammen sowie einem Zukunftsfonds ließe sich die Beziehung zwischen Hamburg und dem Osten weiter intensivieren.
Sandro Kappe wünscht sich für die Zukunft, dass die Potenziale Ostdeutschlands stärker herausgestellt werden. Industrie und Gewerbe fänden in den neuen Bundesländern schnell passende, vergleichsweise günstige Flächen. Dass bis heute ein überproportionaler Teil der Führungspositionen in Behörden, Bildungseinrichtungen und Privatwirtschaft von Westdeutschen besetzt ist — auch im Osten —, findet Kappe erschreckend.
Das Gute ist: Die Dinge können sich ändern. In Dresden wird von 2025 an der erste Ostdeutsche ein Uniklinikum als Medizinischer Vorstand leiten. „Das ist auch ein politisches Zeichen“, sagt Arne Platzbecker stolz über die neue Position seines Bruders.