Hamburg. Kürzungspläne der Koalition haben Fass zum Überlaufen gebracht. Schon lange fühlt man sich in Dörfern und Kleinstädten übersehen.

Ein Hauch von Frankreich weht durch das Land: So viel Zorn war lange nicht mehr auf deutschen Straßen. In Hamburg haben Bauern den Verkehr lahmgelegt, in Emden die VW-Produktion gestoppt, in manchen Landkreisen ganze Ortschaften abgesperrt. Und die Bauern blieben nicht allein, Brummifahrer und Handwerker schlossen sich dem

Protestzug

Am Montagmorgen zogen Mehrere Hundert Traktoren durch Hamburgs Straßen sternförmig Richtung Innenstadt – wegen des Starts der Bauernproteste mussten andere Verkehrsteilnehmer und Busfahrgäste zu Wochenbeginn erst einmal warten.
Am Montagmorgen zogen Mehrere Hundert Traktoren durch Hamburgs Straßen sternförmig Richtung Innenstadt – wegen des Starts der Bauernproteste mussten andere Verkehrsteilnehmer und Busfahrgäste zu Wochenbeginn erst einmal warten. © HA | Roland Magunia
Äußerst laut wurde es an der Luruper Hauptstraße – die der Konvoi früher passierte als geplant. Rund 200 Fahrzeuge machten Lärm, auch viele Handwerker schlossen sich dem Protest spontan an.
Äußerst laut wurde es an der Luruper Hauptstraße – die der Konvoi früher passierte als geplant. Rund 200 Fahrzeuge machten Lärm, auch viele Handwerker schlossen sich dem Protest spontan an. © HA | Katy Krause
Auch in St. Georg beteiligten sich Handwerker an den Protesten.
Auch in St. Georg beteiligten sich Handwerker an den Protesten. © HA | Luisa Herbring
Mancherorts wurden sogar mehr Gärtner, Bauunternehmen oder Installateure im Konvoi gesichtet als Landwirtschaftsmaschinen.
Mancherorts wurden sogar mehr Gärtner, Bauunternehmen oder Installateure im Konvoi gesichtet als Landwirtschaftsmaschinen. © HA | Matthias Iken
Protest vor großer Kulisse – auch am Michel zog der Bauern-Konvoi vorbei.
Protest vor großer Kulisse – auch am Michel zog der Bauern-Konvoi vorbei. © HA | Roland Magunia
Dort sicherte die Polizei den übrigen Verkehr.
Dort sicherte die Polizei den übrigen Verkehr. © HA | Roland Magunia
Auch die Organisatorin des Bauern-Protests, Uta von Schmidt-Kühl, fand sich am Michel ein.
Auch die Organisatorin des Bauern-Protests, Uta von Schmidt-Kühl, fand sich am Michel ein. © Michael Rauhe/Funke Foto Services | Michael Rauhe/Funke Foto Services
Die aktuelle Bundesregierung wurde von den Teilnehmern der Demonstration hart angegangen.
Die aktuelle Bundesregierung wurde von den Teilnehmern der Demonstration hart angegangen. © HA | Roland Magunia
„Nicht vergessen, wir machen das Essen“: Auch diese Botschaft verbreiteten die Landwirte in Hamburg.
„Nicht vergessen, wir machen das Essen“: Auch diese Botschaft verbreiteten die Landwirte in Hamburg. © HA | Luisa Herbring
Auch diese gehörte dazu.
Auch diese gehörte dazu. © HA | Michael Arning
Den Kiez durchfuhr die Trecker-Kolonne über die Reeperbahn.
Den Kiez durchfuhr die Trecker-Kolonne über die Reeperbahn. © HA | Roland Magunia
An der Kreuzung Max-Brauer-Allee/Holstenstraße kamen sich mitunter Trecker und übrige Verkehrsteilnehmer in die Quere.
An der Kreuzung Max-Brauer-Allee/Holstenstraße kamen sich mitunter Trecker und übrige Verkehrsteilnehmer in die Quere. © HA | Christian Rückert
Auch die Wandsbeker Chaussee gehörte zur Route der Bauern.
Auch die Wandsbeker Chaussee gehörte zur Route der Bauern. © HA | Lena Diekmann
Aus Langenhorn kommend rollten die Trecker am frühen Montagmorgen auch über die Stresemannstraße.
Aus Langenhorn kommend rollten die Trecker am frühen Montagmorgen auch über die Stresemannstraße. © HA | Anna Schlichting
Von dort fuhren sie hupend weiter über den Neuen Pferdemarkt in Richtung Innenstadt.
Von dort fuhren sie hupend weiter über den Neuen Pferdemarkt in Richtung Innenstadt. © HA | Anna Schlichting
An der Anschlussstelle Harburg blieben die Traktoren stehen und blockierten so die Auffahrt zur Autobahn A1.
An der Anschlussstelle Harburg blieben die Traktoren stehen und blockierten so die Auffahrt zur Autobahn A1. © HA | André Zand-Vakili
Viele Landwirte transportierten eindeutige Botschaften in Richtung Bundesregierung.
Viele Landwirte transportierten eindeutige Botschaften in Richtung Bundesregierung. © HA | Anna Schlichting
„Es geht nicht nur um Diesel“: Trecker bei ihrer Demo auf der Holstenstraße in Hamburg.
„Es geht nicht nur um Diesel“: Trecker bei ihrer Demo auf der Holstenstraße in Hamburg. © HA | Matthias Iken
Auch in der Tarpenbekstraße in Eppendorf wurde der Trecker-Konvoi von der Polizei eskortiert. Dort machten sich rund 100 Fahrzeuge auf den Weg in die Hamburger Innenstadt.
Auch in der Tarpenbekstraße in Eppendorf wurde der Trecker-Konvoi von der Polizei eskortiert. Dort machten sich rund 100 Fahrzeuge auf den Weg in die Hamburger Innenstadt. © HA
Auch Lkw beteiligten sich hupend am Protest – in Bergedorf sperrte die Polizei deshalb vorübergehend den Verkehrsknotenpunkt am Mohnhof.
Auch Lkw beteiligten sich hupend am Protest – in Bergedorf sperrte die Polizei deshalb vorübergehend den Verkehrsknotenpunkt am Mohnhof. © HA | Julian Willuhn
In Bergedorf musste außerdem die B5 gesperrt wegen – allerdings wegen Glätte. Die Traktoren mussten daher eine alternative Route wählen.
In Bergedorf musste außerdem die B5 gesperrt wegen – allerdings wegen Glätte. Die Traktoren mussten daher eine alternative Route wählen. © HA | Michael Arning
In der Vierlandenstraße hatten Verkehrsteilnehmer, die Richtung Bergedorfer City unterwegs waren, Glück gehabt – sie hatten trotz der Bauernproteste freie Fahrt.
In der Vierlandenstraße hatten Verkehrsteilnehmer, die Richtung Bergedorfer City unterwegs waren, Glück gehabt – sie hatten trotz der Bauernproteste freie Fahrt. © HA | Julian Willuhn
In Harburg teilten sich die Trecker in zwei Konvois auf – einer fuhr im Schneckentempo über die Bremer Straße, ein anderer über die Winsener Straße.
In Harburg teilten sich die Trecker in zwei Konvois auf – einer fuhr im Schneckentempo über die Bremer Straße, ein anderer über die Winsener Straße. © HA | André Zand-Vakili
Im Süden Hamburg hatten sich die Bauern zuvor auf einem Parkplatz an der Maldfeldstraße in Marmstorf versammelt.
Im Süden Hamburg hatten sich die Bauern zuvor auf einem Parkplatz an der Maldfeldstraße in Marmstorf versammelt. © HA | André Zand-Vakili
Auch aus dem Umland setzten sich die Landwirte in Richtung Hamburg in Bewegung – wie hier in Pinneberg.
Auch aus dem Umland setzten sich die Landwirte in Richtung Hamburg in Bewegung – wie hier in Pinneberg. © HA | Michael Rahn
In Norderstedt fanden sich die Landwirte am Kulturwerk zusammen, um gemeinsam nach Hamburg zu fahren.
In Norderstedt fanden sich die Landwirte am Kulturwerk zusammen, um gemeinsam nach Hamburg zu fahren. © HA | Christopher Mey
Unter ihnen auch die Norderstedter Landwirtin Kathrin Rehders.
Unter ihnen auch die Norderstedter Landwirtin Kathrin Rehders. © HA | Christopher Mey
Auch in Norderstedt gab es eindeutige Botschaften der protestierenden Bauern.
Auch in Norderstedt gab es eindeutige Botschaften der protestierenden Bauern. © HA | Christopher Mey
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an. Es gärt im Land. Und die Ampel trägt dafür ein gerüttelt Maß an Verantwortung. Natürlich ist es richtig, dass die Koalition durch finstere Zeiten navigieren muss. Diese Nachsicht aber ist inzwischen aufgebraucht, weil die Regierung um Olaf Scholz zu viele handwerkliche Fehler aneinanderreiht.

Der ifo-Präsident Clemens Fuest brachte es auf dem Punkt, als er seine Verwunderung teilte, dass man einen so großen Anteil des Gesamtsparpakets einer so kleinen Gruppe zumutet. Diese Schieflage hat bei den Bauern das Fass zum Überlaufen gebracht. Schon lange haben viele Menschen auf dem Land das Problem, dass sie in der Berliner Politik, aber auch in vielen öffentlichen Debatten kaum noch vorkommen.

Auf dem Land fühlen sich viele seit Langem übersehen

Beispiele gibt es viele: Als das Deutschlandticket kam, freuten sich die Städter über einen günstigen Nahverkehr – leider fahren in Dithmarschen, dem Alten Land oder der Uckermark nur selten Busse. Finanzieren dürfen den Freifahrtschein für Metropolitaner aber alle.

Berlin will die Energiewende und stellt Windanlagen und Hochspannungsmasten in die Landschaft; die Koalition scheitert an einer echten Zuzugsbegrenzung und bringt die Flüchtlinge dann in Dörfern unter; der Bundesgesundheitsminister will sparen und die Kliniken auf dem Land dicht machen; das Auto gilt als böse, ist in der Provinz aber alternativlos. Jede Minderheit findet viel Verständnis, nur nicht das Landei. Wirklich gern haben viele Städter dort draußen nur den Wolf – es sind ja auch nicht ihre Schafe, die gerissen werden.

Stadt und Land entfremden sich in einem beängstigenden Tempo

Es ist etwas aus dem Lot geraten. Wohl noch nie waren sich Stadt und Land so fremd wie heute – und keine Koalition war so weit weg von den Sorgen und Nöten der Provinz wie diese Ampel. Sie streitet über Themen wie Legalisierung von Hasch oder Geschlechterwechsel, die am Prenzlauer Berg, in Winterhude und Schwabing bewegen, aber in Prenzlau, Wildeshausen oder Schliersee kaum relevant sind.

Die großartige Schriftstellerin Juli Zeh, übrigens Sozialdemokratin, schildert in ihrem Buch „Zwischen Welten“ den Alltag einer Landwirtin und kontrastiert ihn mit dem Leben eines Journalistenmenschen aus Hamburg. Hätte nur einer der Ampel-Minister dieses Buch gelesen, er hätte die Einsparungen klüger verteilt. Es geht vielen Bauern eben nicht nur um den eigenen Verdienst, es geht um ihre Zukunft: das Überleben jahrhundertealter Höfe, gewachsener Strukturen, Landschaftspflege – und die Versorgung mit Lebensmitteln aus der Region.

Die Unzufriedenheit rechtfertigt aber nicht alles

Das alles vermag die Wut und den Zorn vieler Landwirte erklären – rechtfertigt aber nicht jede Aktion. Ziviler Ungehorsam hat Grenzen. Wer Politiker persönlich angreift, Unbeteiligte in ihrer Freiheit massiv einschränkt, mit rechten Rattenfängern gemeinsame Sache macht oder Gewalt anwendet, verliert jeden Rückhalt und jedes Verständnis.

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Zugleich muss die Ampel um Olaf Scholz das ganze Land in den Blick nehmen – auch das Land: Wer jeden Protestler in die rechte Ecke schiebt, sorgt nur dafür, dass sie am Ende dort landen. Und vergessen wir auch nicht, wer die Meister des zivilen Ungehorsams waren. Es wäre eine bittere Ironie der Geschichte, wenn sie nun mit ihren eigenen Mitteln geschlagen würden.