Hamburg. Kürzungspläne der Koalition haben Fass zum Überlaufen gebracht. Schon lange fühlt man sich in Dörfern und Kleinstädten übersehen.
Ein Hauch von Frankreich weht durch das Land: So viel Zorn war lange nicht mehr auf deutschen Straßen. In Hamburg haben Bauern den Verkehr lahmgelegt, in Emden die VW-Produktion gestoppt, in manchen Landkreisen ganze Ortschaften abgesperrt. Und die Bauern blieben nicht allein, Brummifahrer und Handwerker schlossen sich dem
Protestzug
an. Es gärt im Land. Und die Ampel trägt dafür ein gerüttelt Maß an Verantwortung. Natürlich ist es richtig, dass die Koalition durch finstere Zeiten navigieren muss. Diese Nachsicht aber ist inzwischen aufgebraucht, weil die Regierung um Olaf Scholz zu viele handwerkliche Fehler aneinanderreiht.
Der ifo-Präsident Clemens Fuest brachte es auf dem Punkt, als er seine Verwunderung teilte, dass man einen so großen Anteil des Gesamtsparpakets einer so kleinen Gruppe zumutet. Diese Schieflage hat bei den Bauern das Fass zum Überlaufen gebracht. Schon lange haben viele Menschen auf dem Land das Problem, dass sie in der Berliner Politik, aber auch in vielen öffentlichen Debatten kaum noch vorkommen.
Auf dem Land fühlen sich viele seit Langem übersehen
Beispiele gibt es viele: Als das Deutschlandticket kam, freuten sich die Städter über einen günstigen Nahverkehr – leider fahren in Dithmarschen, dem Alten Land oder der Uckermark nur selten Busse. Finanzieren dürfen den Freifahrtschein für Metropolitaner aber alle.
Berlin will die Energiewende und stellt Windanlagen und Hochspannungsmasten in die Landschaft; die Koalition scheitert an einer echten Zuzugsbegrenzung und bringt die Flüchtlinge dann in Dörfern unter; der Bundesgesundheitsminister will sparen und die Kliniken auf dem Land dicht machen; das Auto gilt als böse, ist in der Provinz aber alternativlos. Jede Minderheit findet viel Verständnis, nur nicht das Landei. Wirklich gern haben viele Städter dort draußen nur den Wolf – es sind ja auch nicht ihre Schafe, die gerissen werden.
Stadt und Land entfremden sich in einem beängstigenden Tempo
Es ist etwas aus dem Lot geraten. Wohl noch nie waren sich Stadt und Land so fremd wie heute – und keine Koalition war so weit weg von den Sorgen und Nöten der Provinz wie diese Ampel. Sie streitet über Themen wie Legalisierung von Hasch oder Geschlechterwechsel, die am Prenzlauer Berg, in Winterhude und Schwabing bewegen, aber in Prenzlau, Wildeshausen oder Schliersee kaum relevant sind.
Die großartige Schriftstellerin Juli Zeh, übrigens Sozialdemokratin, schildert in ihrem Buch „Zwischen Welten“ den Alltag einer Landwirtin und kontrastiert ihn mit dem Leben eines Journalistenmenschen aus Hamburg. Hätte nur einer der Ampel-Minister dieses Buch gelesen, er hätte die Einsparungen klüger verteilt. Es geht vielen Bauern eben nicht nur um den eigenen Verdienst, es geht um ihre Zukunft: das Überleben jahrhundertealter Höfe, gewachsener Strukturen, Landschaftspflege – und die Versorgung mit Lebensmitteln aus der Region.
Die Unzufriedenheit rechtfertigt aber nicht alles
Das alles vermag die Wut und den Zorn vieler Landwirte erklären – rechtfertigt aber nicht jede Aktion. Ziviler Ungehorsam hat Grenzen. Wer Politiker persönlich angreift, Unbeteiligte in ihrer Freiheit massiv einschränkt, mit rechten Rattenfängern gemeinsame Sache macht oder Gewalt anwendet, verliert jeden Rückhalt und jedes Verständnis.
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Zugleich muss die Ampel um Olaf Scholz das ganze Land in den Blick nehmen – auch das Land: Wer jeden Protestler in die rechte Ecke schiebt, sorgt nur dafür, dass sie am Ende dort landen. Und vergessen wir auch nicht, wer die Meister des zivilen Ungehorsams waren. Es wäre eine bittere Ironie der Geschichte, wenn sie nun mit ihren eigenen Mitteln geschlagen würden.