Hamburg. Ein Gender-Gegner und ein Sternchen-Fan im Schlagabtausch beim Hamburger Abendblatt. Überraschend: Sie verfolgen dasselbe Ziel.
Hamburg stellt die Genderfrage: Wie halten Sie‘s mit der geschlechtersensiblen Sprache? Noch bis zum 28. August können die Bürger (und Bürgerinnen?) dieser Stadt eine Antwort darauf geben. Denn die Initiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ sammelt postalisch und auf der Straße Unterschriften. Kommen rund 66.000 zusammen, haben die Gender-Gegner den Status eines Volksbegehrens erreicht. Dann gibt es parallel zur Wahl des Deutschen Bundestags im Jahr 2025 einen Volksentscheid, und die Mehrheit der Abstimmenden entscheidet, ob das Genderverbot in Hamburg kommt.
Das geplante Verbot ruft selbstverständlich Kritiker auf den Plan. Schließlich gibt es in Hamburgs Verwaltung und Bildung bisher auch keinen Genderzwang. Zwar hat sich der Senat 1995 in einem Beschluss verpflichtet, geschlechtersensibel zu formulieren – die Nutzung von Sternchen und Co. ist nach einer Änderung von 2021 aber nur erlaubt und keinesfalls verpflichtend.
Krieg der Sternchen – die große Debatte zur Gendersprache in Hamburg
Wieso also ein Verbot? Das fragt sich Dirk Hertrampf, Referent in der Kulturbehörde und Gründungsmitglied im Bündnis für geschlechtersensible Sprache „Die Mitgemeinten“. Die Mitgemeinten vereinen Vertreter unter anderem aus Firmen, Parteien, Behörden und Kulturstätten und repräsentieren alle Hamburger*innen (so formuliert es das Bündnis), die sich durch das generische Maskulinum (siehe Infokasten) nicht angesprochen fühlen.
Hertrampfs Gegner im Abendblatt-Streitgespräch ist Jens Jeep, einer der Köpfe der Initiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ und deren Vertrauensperson. Wenn er gerade nicht mit dem Sammeln von Unterschriften, Erstellen von Info-Material oder dem Werben für die Initiative beschäftigt ist, arbeitet er in Ottensen als Notar.
Bürgerinnen und Bürger, Lehrkräfte, Studierende, Wähler*innen: Wo fängt für Sie die Gendersprache an? Schon bei der Beidnennung oder erst beim Sternchen?
Jens Jeep: Für mich fängt das Gendern schon bei der Doppelbenennung an, also bei „Lehrerinnen und Lehrer“ oder „Schülerinnen und Schüler“. Mehr Worte, die ein Problem lösen sollen, das es praktisch nicht gibt. Bei dem Satz „Die Schüler freuen sich auf die Sommerferien“ fragt doch niemand ernsthaft, warum die Mädchen lieber weiter lernen wollen. Und wer denkt bei der Aussage „Die Hamburger Lehrer machen einen tollen Job“, dass die Lehrerinnen offenbar schlechter unterrichten als ihr männlichen Kollegen?
Dirk Hertrampf: Das Problem ist doch vielmehr, dass man beim Wort „Lehrer“ eben nicht weiß: Meinen Sie männliche Lehrer, meinen Sie „Lehrerinnen und Lehrer“ oder meinen sie die Lehrpersonen insgesamt? Ihre Logik funktioniert so: Wenn es irrelevant ist, ob eine Sache rot oder grün ist, sagen wir einfach, sie ist grün. Und im gleichen Atemzug sagen Sie: Stellen sie sich jetzt bloß nichts Grünes vor, weil uns die Farbe ja egal ist. Ich stehe fürs Gendern ein, weil es mir um die Repräsentation von Nicht-Männern geht. Es ist sogar wissenschaftlich bewiesen, dass bei der Verwendung des generischen Maskulinums tendenziell weniger an Frauen gedacht wird. Es gibt Untersuchungen, da heißt es: „Nennen Sie Ihren Lieblingspolitiker.“ Selbst große Fans von Angela Merkel benennen da nur selten Angela Merkel, weil sie bei ihnen nicht als „Politiker“ abgespeichert ist.
Jeep: Der Vergleich überzeugt mich nicht, und von diesen Studien halte ich nicht viel. Womit sie recht haben: Das Geschlecht sollte eben keine Rolle spielen. Es darf gerade keine Benachteiligung von Menschen einzig aufgrund ihres Geschlechts geben. Deshalb sagen wir: „Lehrer“ ist der allgemeine Begriff. Das ist die Bezeichnung des Berufs. Alle lehrenden Menschen sind damit beschrieben. Das Geschlecht ist völlig egal. Erst die in allen Hamburger Gesetzen verwendete Doppelbenennung „Lehrer und Lehrerinnen“ macht aus dem grammatikalischen ein biologisches Geschlecht. Ohne Not werden aus „allen Lehrern“ nun „männliche Lehrer“. Damit wird das Problem überhaupt erst geschaffen, welches Gendern dann zu lösen meint. Hinzu kommt: Bei der Doppelbenennung werden unzweifelhaft nur Männer und Frauen aufgezählt. Ausgerechnet diese angeblich geschlechtssensible Behördensprache schließt also diejenigen aus, die sich anders definieren.
Genderdebatte in Hamburg: Reicht das generische Maskulinum?
Stimmt. Dass alle, die sich zwischen oder außerhalb des Männlichen und Weiblichen wahrnehmen, sich nicht in der Sprache wiederfinden, ist nicht im Sinne Ihres Bündnisses Die Mitgemeinten, oder Herr Hertrampf?
Hertrampf: Wir im Bündnis haben nicht das eine Gender-Rezept, bei dem wir sagen, das finden wir super. Uns geht es darum, den Diskurs anzuregen. Persönlich glaube ich auch, dass die Beidnennung nicht weit genug geht, weil sie nicht die Gesamtheit des Geschlechter-Spektrums abbildet. Was mir bei Ihnen, Herr Jeep, aber nicht einleuchtet, ist Folgendes: Warum sagen Sie, die männliche Form sei die neutrale?
Jeep: Weil wir das generische Maskulinum immer schon als Beschreibung für alle Menschen verwendet haben. Bis es dann irgendwann hieß: „So, wir benennen damit jetzt nur noch die Männer!“ Und regen uns darüber auf.
Hertrampf: Ich denke, dabei geht es um die Abbildung der Wirklichkeit, und die Wirklichkeit hat sich verändert. Studenten waren zum Beispiel ganz lange nur Männer und deshalb hat es funktioniert, einfach die männliche Form zu benutzen. Heute dürfen aber alle unabhängig von ihrem Geschlecht studieren.
Genderverbot in Hamburg? Initiative fordert Anwendung „gültiger Sprache“
Zumal, Herr Jeep, es gibt doch derzeit gar keinen Genderzwang in Hamburg. Warum fordern Sie trotzdem ein Verbot?
Jeep: Sprache soll den Dialog zwischen den Menschen ermöglichen und Missverständnisse vermeiden. Wenn aber im Radio gegendert wird, weiß man oft nicht, was gemeint ist. Wurde „Lehrer*innen“ gesagt oder „Lehrerinnen“? Wenn es kurz danach „Lehrer“ heißt, geht es dann tatsächlich nur um die Männer oder wurde jetzt doch der generische Begriff benutzt? Sprache verliert die wichtigste Eigenschaft: Klarheit. Wir fordern außerdem kein Verbot aus dem Nichts heraus, sondern umgekehrt die Nutzung der gültigen Sprache.
Hertrampf: Welche gültige Sprache meinen Sie denn? Der Rat für Deutsche Rechtschreibung hat erst neulich seine Auffassung bekräftigt, das allen Menschen mit sensibler Sprache begegnet werden soll (Sonderzeichen innerhalb von Wörtern lehnt der Rat jedoch ab, Anm. d. Red.). Genau das setzt Hamburgs Verwaltung um, indem sie Beidnennungen verwendet, wie es im Senatsbeschluss von 1995 festgelegt ist.
Jeep: Wenn ein Lehrer gendert, müssen 30 Schüler Gendersprache verstehen. Das hat nichts mehr mit Freiwilligkeit zu tun. Die Schüler können ja nicht weg, wenn ihnen das zu blöd ist.
Hertrampf: Ja, Ihre Initiative argumentiert mit einem „Zwang zum passiven Gendern“ … Also da muss ich sagen, dann gibt es ebenfalls den Zwang zum passiven Genitiv oder den Zwang zum passiven Atmen, weil Sie mir hier gegenübersitzen. Wenn es Ihnen um die Verständlichkeit geht, wieso kämpfen Sie dann nicht gegen die komplizierte Verwaltungssprache? Ich arbeite ja selber in der Verwaltung und finde die Sprache oft furchtbar. Wenn die Menschen verstehen sollen, was in Behördenschreiben steht, dann ist das Gendern doch ein totaler Nebenschauplatz. Wir würden doch mehr gewinnen, wenn es klare Zeichenzahl-Begrenzungen in Behördenschreiben gibt, kürzere Sätze, weniger Nominalstil.
Sternchen, Doppelpunkt und Co.: Weshalb das Gendern so stark polarisiert
Das ist eine berechtigte Frage. Herr Jeep, weshalb stellt für Sie insbesondere das Gendern so ein großes Problem dar?
Jeep: Weil es ein viel, viel größerer Eingriff in die Sprache ist als alle anderen Änderungen, die wir erlebt haben. Beispiel: Dem „Wegen mit Genitiv“ gebe ich vielleicht noch zehn Jahre, dann verschwindet es als einzig richtige Form. Das ist natürliche Sprachentwicklung, ohne jedes Verständnisproblem. Beim Gendern reden wir aber über einen künstlichen Eingriff in die Sprache. Die Menschen auf der Straße gendern eben nicht von alleine. Weil Sprache im natürlichen Gebrauch niemals komplizierter wird. Und Gendern ist verdammt kompliziert.
Beim Gendern geht es um einzelne Buchstaben, Wörter, Zeichen. Wieso polarisiert das Thema überhaupt so stark?
Hertrampf: Ich glaube, weil uns alle folgende beiden Dinge betreffen: die Sprache und das Geschlecht. Außerdem gibt es genug Leute, die für das Thema streiten, weil sie es als unangenehm empfinden, falsch angesprochen zu werden. Sie sind nicht mitgemeint.
Jeep: Ich würde sagen, das Thema berührt uns alle, weil Sprache die Grundlage unserer Verständigung ist, wir nutzen sie ständig. Die Menschen sind hier sehr sensibel. Sie möchten keine Sprache aufgedrückt bekommen, die sie erziehen soll. In George Orwells Buch „1984“ geht es darum, wie über das sogenannte Neusprech die Sprache von oben herab so verändert wird, dass sich auch das Denken in die gewünschte Richtung bewegt. Das haben wir hier im Kleinen.
Hertrampf: Ziemlich ironisch. Sie sind doch derjenige, der etwas verbieten will.
Da müssen wir einmal nachhaken: Welche geheime Agenda soll denn hinter dem Gendern stecken? In welche Richtung soll denn unser Denken bewegt werden?
Jeep: Wir beobachten in vielen Bereichen eine Tendenz, die Menschen in die Guten und die Schlechten aufzuteilen. Die Botschaft ist: „Wir sind die Guten, denn ihr sprecht nicht geschlechtergerecht!“ Es wird nicht mehr der Inhalt transportiert, sondern die politische Botschaft
Hertrampf: Wir sind doch keine weltumspannende Machtelite, sondern ein paar Leute, denen das Thema am Herzen liegt. Das Motto der Mitgemeinten lautet ganz bewusst „In Hamburg darfst du gendern“ nicht „musst“ oder „sollst du gendern“.
Sprachliche Gängelung: Umfragen zeigen, Mehrheit lehnt das Gendern ab
Herr Hertrampf, können Sie denn den Vorwurf verstehen, dass sich die Mehrheit vom Gendern sprachlich gegängelt fühlt? Eine Vielzahl von Umfragen zeigt, dass der Großteil der Bevölkerung das Gendern ablehnt.
Hertrampf: Ich fühle mich vielmehr gegängelt von der Initiative, weil sie das Gendern verbieten will. Das ist ja gerade: Wir als Bündnis sagen, die Debatte ist offen, und wir wollen darüber diskutieren – und die Initiative sagt schon dem Namen nach „Schluss damit!“
Jeep: Ich finde es prima, dass es Ihr Bündnis gibt. Da geht es ja um den privaten Bereich. Wir als Initiative würden einen Teufel tun, zu verbieten, wie die Menschen im Privaten sprechen. Uns geht es allein um die Gendersprache in Verwaltung und Bildung.
Viele junge Menschen benutzen bereits die Gendersprache. Theoretisch könnte sie sich in den kommenden Jahrzehnten etablieren und ganz selbstverständlich werden. Ist das eine denkbare Zukunft für Sie?
Jeep: Das halte ich für extrem unwahrscheinlich. Aber wenn es so käme, dann wäre es eben so. Sprache verändert sich.
Hertrampf: Ich finde, man könnte es darauf ankommen lassen. Dazu dürfen Sie, Herr Jeep, es aber auch nicht verbieten.
Jeep: Es müsste sich dann schon von allein durchsetzen und nicht, weil man es so in der Schule oder vom Behördenchef immer und immer wieder vorgebetet bekommt. Also ohne staatliches Gendern.
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Kommt das Genderverbot in Hamburg? Das große Streitgespräch
Sie beide wollen, dass das biologische Geschlecht sprachlich keine Rolle mehr spielt. Wie schaffen wir das?
Jeep: Wir sollten uns in einer Art großem gesellschaftlichen Vertrag wieder darauf einigen, dass generische Begriffe nichts mit dem biologischen Geschlecht zu tun haben. Es ist dann ganz einfach: Wenn ich nur die Männer meine, muss ich „männlich“ davorsetzen. Wenn ich nur die Frauen meine, nutze ich den weiblichen Begriff. Sonst gibt es einen Begriff für alle Menschen. Und damit geht es uns – genau wie Ihnen, Herr Hertrampf – darum, alle Menschen zu erfassen. Sprache muss eben nicht nach Geschlechtern unterscheiden, solange sie nicht ganz ausnahmsweise bewusst nach Geschlechtern unterscheiden will, etwa weil eine konkrete Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beschrieben werden soll.
Hertrampf: Das funktioniert doch nicht! Wenn es egal ist, ob etwas rot oder grün ist, dann nennen wir es doch einfach gelb. Erschaffen wir doch eine generische Form, bei der wirklich kein Geschlecht erkennbar ist. Die Schweden haben es auch geschafft, ein weiteres Pronomen einzuführen.
Auf einen Nenner kommen Sie beide heute nicht mehr, oder?
Hertrampf: Ich muss schon anerkennen, dass wir uns in ganz vielen grundlegenden Dingen einig sind — und dass Sie ein cleverer Typ sind, Herr Jeep. Gerade deshalb kann ich aber einfach nicht nachvollziehen, dass Sie ein Genderverbot wollen, dass Sie sagen: „Schluss damit!“
Jeep: Sie sind auch ein schlauer Kopf. Wir haben das gleiche Ziel, unterscheiden uns aber im Weg. Um Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts zu verhindern, müssen wir die Sprache nicht künstlich kompliziert machen, wir dürfen es auch nicht. Sprache muss klar und verständlich sein, um miteinander zu reden und gemeinsam Probleme zu lösen. Die Sprache selbst ist aber nie die Lösung.
Das generische Maskulinum
Das generische Maskulinum ist ein Phänomen der deutschen Sprache. Es bezeichnet den Umstand, dass männliche Substantive auch als geschlechtsneutral gelten können. Substantive mit dem Artikel „der“ sind also im grammatikalischen Sinn männlich, nicht aber im biologischen. Sie können sowohl eine männliche Person bezeichnen (der Leser Herr Meyer), als auch eine neutrale (der Leser des Abendblatts).
Befürworter des Genderns halten diese Ansicht für falsch. Ihnen zufolge hat das generische Maskulinum sehr wohl eine Konnotation, die sich auf das biologische Geschlecht bezieht. Deshalb erachten sie es als ungünstig, alle Menschen mit dem generischen Maskulinum zu bezeichnen.
Diese Arten der geschlechtersensiblen Sprache gibt es
Die sogenannte Gendersprache soll dazu dienen, Menschen geschlechtersensibel anzusprechen. Allerdings: Gendern ist nicht gleich Gendern. Folgende Varianten gibt es.
Beidnennung oder Doppelnennung: Beispiele hierfür sind „Bürgerinnen und Bürger“ oder „Schülerinnen und Schüler“. Als problematisch gilt einerseits die Länge dieser Formulierungen. Andererseits wird mit der Beidnennung niemand angesprochen, der sich nicht als männlich oder weiblich identifiziert.
Partizipformen: Statt von Lesern zu schreiben, setzt die gendersensible Sprache hier auf den Begriff „Lesende“ und Witwen werden beispielsweise zu „Verwitweten“.
Alternative Begriffe: Manchmal lassen sich neutrale Ersatzwörter finden. Statt „Mädchen und Jungen“ ließe sich auch „Kinder“ sagen. Aus den Kunden wird die Kundschaft und aus den Zuschauern das Publikum. Je nach Kontext gibt es im Deutschen aber nicht immer eine passende geschlechtersensible Alternative.
Gendern mit Sonderzeichen: Das Sternchen gilt als typisches Symbol für den Streit um die Gendersprache (Leser*innen). Manche Menschen nutzen aber auch einen Doppelpunkt (Leser:innen) oder einen Unterstrich (Leser_innen), den sogenannten Gendergap. In der gesprochenen Sprache wird aus den Sonderzeichen eine minimale Pause zwischen Wortstamm und Endung. Das nennt sich Glotisschlag.
Binnen-I: Ein großes I markiert die Trennung zwischen Wortstamm und Endung (LeserInnen). Auch hier erfolgt beim Sprechen ein Glotisschlag.