Hamburg. Initiative muss im Sommer binnen drei Wochen 66.000 Unterschriften in der Stadt sammeln – mit einem Kniff könnte das sogar gelingen.

Hamburg bekommt aller Voraussicht nach das erste Volksbegehren seit 2014: Die Volksinitiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung” wird im Sommer versuchen, die zweite Hürde für eine Volksabstimmung erfolgreich zu nehmen. Nachdem im ersten Schritt mehr als 10.000 Unterschriften gesammelt wurden, müssen sich im Sommer rund 66.000 Hamburger (ein Zwanzigstel der Wahlberechtigten) in Listen eintragen, die bei den Bezirks- und Ortsämtern oder von der Initiative ausgelegt werden.

Daran scheiterte in der Vergangenheit manche Initiative. Um den Hamburgern die Stimmabgabe nun so bequem wie möglich zu machen, setzen die Gender-Gegner voll auf das Internet. Ab heute können die Bürger online ihren Antrag auf Briefeintragung hinterlegen. „Wer vom staatlichen Gendern genervt ist, kann in 60 Sekunden unter www.ohne-gendern.de den erforderlichen Antrag stellen“, verspricht der Notar Jens Jeep, Vertrauensperson der Volksinitiative.

Hamburger Gendergegner können auf Website einen Antrag stellen

„Wir leiten die Anträge als Bote an den Landeswahlleiter weiter, der im Juli die Unterlagen direkt an die Bürger verschickt.” Das seit rechtlich einwandfrei. Danach laufe die Abstimmung wie bei der Briefwahl, verspricht Jeep – die Bürger können also zu Hause abstimmen. Dieses Verfahren wird immer populärer: Bei der letzten Bundestagswahl 2021 ist der Anteil der Briefwähler in Hamburg auf 51,3 Prozent gestiegen.

Die Gender-Initiative reagiert mit der Online-Offensive auf den ungünstigen Termin der Sammlung von Unterschriften gegen die Gendersprache, der nach dem Willen von SPD, Grünen und Linkspartei in die Sommerferien fällt.

Die Terminierung hatte die Initiative schwer verärgert, weil ein im Gesetz durchaus vorgesehener Antrag auf Verschiebung des Volksbegehrens abgelehnt wurde. „Erstmalig in der Hamburger Geschichte der direkten Demokratie“, grollte die Sprachinitiative und sprach von einem „taktischen Foul“.

Im Juli hatte die Volksinitiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ insgesamt 16.457 Unterschriften vorgelegt
Im Juli hatte die Volksinitiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ insgesamt 16.457 Unterschriften vorgelegt © dpa | Markus Scholz

Sie kritisiert weiter, dass die Digitalisierung in der Volksgesetzgebung nicht vorgesehen ist: Eine direkte Onlineabstimmung ist bis heute nicht möglich, obwohl das Volksabstimmungsgesetz diese bereits seit 16 Jahren vorsieht und inzwischen auch die technischen Voraussetzungen durchaus geschaffen wurden.

Volksgesetzgebung hatte es in den vergangenen Jahren schwer

Ohnehin hat es die Volksgesetzgebung in den vergangenen Jahren schwer gehabt. Im Herbst 2014 scheiterte das Volksbegehren (G9 jetzt), das die Gymnasialzeit wieder von acht auf neun Jahre erhöhen wollte. Zuletzt hatte die Initiative „Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt“ ein Volksbegehren beantragt, nachdem die Bürgerschaft keinen entsprechenden Beschluss gefasst hatte. Der Senat rief aber das Landesverfassungsgericht an, welches das Volksbegehren Ende des vergangenen Jahres für unzulässig erklärte.

„Senat und Bürgerschaft hebeln die direkte Demokratie aus“, hatte der inzwischen verstorbene Bernd Kroll, Vorstand bei „Mehr Demokratie“, im Oktober 2023 kritisiert. Er kritisierte, dass dazu immer wieder das Hamburger Verfassungsgericht angerufen werde, um erfolgreiche Volksinitiativen als verfassungswidrig einstufen zu lassen und damit auszubremsen. Möglich macht das eine Änderung des Hamburger Volksabstimmungsgesetzes von 2012.

Die letzte erfolgreiche Volksabstimmung war 2013

Der letzte Erfolg von inzwischen 68 Volksinitiativen liegt mehr als ein Jahrzehnt zurück: 2013 hatte die Initiative „Unser Hamburg – Unser Netz“ Erfolg, getragen vom BUND, der Verbraucherzentrale und dem Kirchenkreis Ost. Sie gewann die Volksabstimmung mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,9 Prozent. Obwohl sie bei der ersten Sammlung 2010 mit 17.726 Unterschriften keine besonders große Resonanz hatte, gelang beim Volksbegehren im Juni 2011 die Mobilisierung. Hier kamen 116.197 Unterschriften zusammen.

Den spektakulärsten Erfolg hatte das Bündnis „Wir wollen lernen“, das sich gegen die Primarschulpläne des schwarz-grünen Senats richtete. Die Initiative sammelte mehr als 21.000 Unterschriften, im anschließenden Volksbegehren sogar 184.500 Unterschriften und gewann den Entscheid im Juli 2010 mit 58 Prozent. Während Volksentscheide in Hamburg bislang immer erfolgreich gewesen sind, scheitern Volksbegehren häufiger.

Als größte Hürde gilt die zweite Phase – das Volksbegehren

So ist die Sammlung eines Zwanzigstels der Stimmen binnen drei Wochen die ungleich höhere Hürde für Initiatoren: 2010 verfehlte das Bündnis „Die Stadt gehört uns – Keine Privatisierungen gegen den Bürgerwillen“ mit 54.000 Unterschriften.

Oftmals versucht der Senat aber auch, mit den Initiatoren zu einer schnellen Einigung zu kommen: So gab es 2016 einen Kompromiss zur Verteilung der Flüchtlinge („Hamburg für gute Integration“), für eine bessere Inklusion 2015, zum besseren Schutz von Naturflächen 2018 („Hamburgs Grün erhalten“) oder 2020 einer Veränderung der Wohnungsbau- und Bodenpolitik („Keine Profite mit Boden & Miete“).

Der rot-grüne Senat hat eine Einigung mit den Gendergegnern abgelehnt

Einen möglichen Kompromiss hatte der rot-grüne Senat von vorneherein ausgeschlossen. Sabine Mertens, die einstige Initiatorin der Genderinitiative, hatte mit Aussagen Empörung ausgelöst, die als homosexuell- und queerfeindlich verstanden wurden. Sie hat sich inzwischen zurückgezogen.

Der Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen hatte bei der Übergabe der Unterschriften betont: „Die Volksinitiative setzt sich dafür ein, jegliche Form geschlechtergerechter Sprache zu verbieten. Sie will Menschen von oben herab verordnen, wie sie zu denken oder zu leben haben.“ Gendersprache verwendet beispielsweise Sterne, Unterstriche oder Doppelpunkte, um auch nicht-binäre Menschen nicht auszuschließen.

Bei der SPD hieß es: „Unseres Erachtens liegen die Positionen zu weit auseinander. Sprache ist lebendig und entwickelt sich weiter. Nach Auffassung der SPD-Fraktion soll es jedem und jeder in Hamburg freigestellt sein, zu gendern oder dies nicht zu tun.“ Angesichts von nur rund 16.000 vorgelegten Unterschriften rechnete man im Rathaus auch nicht mit einem Erfolg der Initiative.

Bundesweit kommt Bewegung in die Genderdebatte

Inzwischen aber ist Bewegung in die bundesweite Debatte gekommen. In Niedersachsen will die Landesregierung die Freiwilligkeit beim Gendern aufheben. Im vergangenen Jahr hat die rot-grüne Landtagsmehrheit in einem Entschließungsantrag beschlossen, dass in Niedersachsen „die geschlechtergerechte Sprache in allen Rechts- und Verwaltungsvorschriften angewendet werden muss“. Dagegen werden nun Unterschriften gesammelt.

Die SPD Hessen hat sich hingegen in der Großen Koalition mit der CDU per Beschluss vom Gendern verabschiedet. Auch der einzige grüne Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg lehnt das Gendern mit Unterstrich, Sternchen und Sprechpause strikt ab. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat das Gendern im März in Schulen, Hochschulen und Behörden verboten. Umfragen sehen eine deutliche Mehrheit der Deutschen, die das Gendern ablehnt.

Hamburger Genderinitiative: „Privat kann und mag jeder so viel gendern, wie er möchte“

Die Hamburger Initiative bezieht sich ebenfalls auf die Verwendung in Schulen und Behörden. „Privat kann und mag jeder so viel gendern, wie er möchte“, sagt Claudia Guderian, ehemalige PEN-Generalsekretärin: „Uns geht es darum, dass wir Bürger und vor allem unsere Kinder nicht überall dort gezwungen werden, komplizierte gegenderte Sprache zu lesen und zu hören, wo wir uns dem nicht entziehen können. Das gilt für Behördenschreiben ebenso wie im Schulunterricht.“

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Die Initiative sieht die Sprachwissenschaft auf ihrer Seite. Generische Begriffe seien nicht nur verständlicher, sondern hätten stets alle Geschlechter erfasst, Frauen ebenso wie Männer und natürlich auch non-binäre Menschen.

„Wenn es heißt, dass sich alle Schüler auf die Sommerferien freuen, glaubt dann jemand, dass die Mädchen lieber weiter lernen würden?“, nennt der frühere Schulleiter Hans Kaufmann ein Beispiel. Jeep sagt: „Verständlichkeit statt Befindlichkeit, darum geht es bei Sprache. Und allein darum geht es auch uns.“