Hamburg. Wenn Sprache elitär wird, wird Widerstand nötig, meint Matthias Iken. Es ist eine Frage der sprachlichen Realität, sagt Elisabeth Jessen.

Gendern? Nein! Wenn Sprache elitär wird, wird Widerstand nötig

Von Matthias Iken

Deutschland hat zweifellos ein paar andere und gewichtigere Probleme als das Gendern – der Krieg in der Ukraine, der Klimawandel oder die Zukunft unseres Wohlstandes. Und doch ist die Volksinitiative zum „Schluss mit der Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ so richtig wie wichtig. Denn das einleitende Argument spricht nicht gegen die Verteidiger der international gültigen Regeln für die deutsche Rechtschreibung, sondern eher gegen die Aktivisten, die gegen eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung ihre Vorstellung von Sprache durchdrücken wollen. Sie möchten entscheiden, wie die Mehrheit zu schreiben, zu sprechen und am liebsten auch zu denken hat.

Matthias Iken ist stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts.
Matthias Iken ist stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts. © Andreas Laible

Auch wenn dieses Neusprech die Welt verbessern will, steht es eher in der dunklen Tradition einer totalitären Gesellschaft. Man kann bei George Orwell nachschlagen oder in der deutschen Geschichte, wer sonst auf die Idee gekommen ist, Sprache nicht von unten zu verändern, sondern von oben zu verordnen. Abgesehen von ein paar Aktivisten spricht kaum ein Mensch den Gender-Gap, aber viele wenden ihn demonstrativ an – nicht nur der Koalitionsvertrag ist konsequent gegendert, auch die PR-Abteilungen oder sogar die katholische Kirche gendern.

So wird Sprache in ihrer Bedeutung entkernt und die Form über den Inhalt gestellt – wichtiger als, was jemand sagt, wird, wie er es sagt. Das Gendern beruht dabei auf einem grotesken Missverständnis, über das Generationen von Germanistikstudenten einst herzhaft lachten, bevor sie zeitgeistig zu gendern begannen. Das grammatische Geschlecht ist nicht das biologische Geschlecht. Wie gendert man zum Beispiel die Führungskraft? Wie erklärt man, dass Autofahrerinnen die sichereren Autofahrer sind? Mit dem Satz „Autofahrerinnen sind die besseren Autofahrer*innen“? Wer soll dieses Deutsch noch verstehen? Ist das wirklich inklusiv oder doch eher elitär-exklusiv?

Natürlich kann ein jeder privat sprechen, wie er mag. Er darf gendern, von mir aus auch Mittelhochdeutsch oder rückwärts sprechen – wenn er aber verstanden werden möchte, sollte er einfaches Hochdeutsch reden. Sprache ist zur Kommunikation da und nicht zur eitlen Selbstdarstellung oder Belehrung. Hamburg benötigt keine Gendervolksabstimmung. Der Senat muss einfach nur zur gültigen Rechtschreibung zurückkehren.

Gendern? Ja! Es ist eine Frage der sprachlichen Realität

Von Elisabeth Jessen

Während des Germanistikstudiums habe ich noch Mittelhochdeutsch lernen und mich mit dem Nibelungenlied, einem mittelalterlichen Heldenepos, beschäftigen müssen. Aber Sprache verändert sich ständig und die Gesellschaft auch.

Elisabeth Jessen ist stellvertretende Hamburg-Chefin.
Elisabeth Jessen ist stellvertretende Hamburg-Chefin. © Michael Rauhe | Funke Foto Services

Und als Mittfünfzigerin muss ich nun einsehen, dass das anfangs so lästige Gendern, weil es gefühlt die Sprache verhunzt, doch seinen Sinn hat. Schon mit dem Wort Gendern konnten viele von uns vor einigen Jahren noch nichts anfangen, aber das war mit vielen Begriffen so, die heute fixer Bestandteil unserer Sprache sind, weil die Realität sich darin manifestiert. Ob FFP2-Maske, PCR-Test, Antigenschnelltest oder Covid-19: Bis zur Pandemie waren das Fremdworte, heute muss man ihre Bedeutung niemandem mehr erklären. Aktuelles Beispiel: ChatGPT. Die Bezeichnung dieses Chatbots wird uns künftig so locker über die Lippen gehen wie eBay oder mRNA-Impfstoff.

Sprache ist das, was sich durchsetzt, weil es ständig benutzt wird. Sprache bildet Realität ab, und die Hälfte der Bevölkerung ist weiblich. Zugegeben, das Gendern macht die Sprache nicht wirklich schöner, aber man kann das Anliegen der vorwiegend jungen Generation nicht einfach ignorieren. Mit jeder neuen Generation ändern sich Wortschatz und Ausdrucksweisen. Wer mit jungen Menschen spricht, merkt, wie selbstverständlich sie gendern. Und es sind keineswegs nur die jungen Frauen, sondern auch die jungen Männer.

Oft ist es mühsam mit all den Binnen-Is, Gendersternchen, Sprechpausen und den manchmal bemühten Wortfindungen, aber das Gendern macht Frauen sichtbarer. Vor nicht so langer Zeit mussten sie noch ihren Ehemann fragen, wenn sie arbeiten oder ein Konto eröffnen wollten. Man kann das Gendern als Pendant zur Frauenquote sehen, die in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur dazu führt, dass Frauen nicht mehr außen vor gelassen werden – weil es irgendwann den politischen Willen dazu gegeben hat, das nicht mehr zuzulassen.

Und nun geht die Diskussion eben weiter. Zugegeben, der Sprachfluss wird durch das Gendern nicht gerade gefördert. Aber wir erinnern uns: Vor der Rechtschreibreform vor ein paar Jahren gab es einen mächtigen Aufstand. Der Lauf der Zeit hat ihn hinweggeschwemmt. Mit dem Gendern wird es ebenso sein.