Hamburg. 38-jährige Hamburgerin vom Partner misshandelt. Warum sie blieb und wie sie über den Weißen Ring einen Weg aus der Gewaltspirale fand.
Mal hat ihm das Essen nicht geschmeckt. Mal war die Wohnung angeblich nicht gut genug aufgeräumt. Dann wieder störte es ihn, dass sie telefonierte. Irgendeinen Anlass hatte er immer parat. Dann schlug Peter G. (Name geändert) zu, traktierte sie. Diese Gewalt in der Beziehung war schlimm. Wehren konnte sich Corinna R. (Name geändert) gegen die Übergriffe ihres Partners nicht. Und ein Entkommen gab es nicht. Es war ja ihr Zuhause, das sie hätte verlassen müssen. Und was wird mit den Kindern?
Die heute 38-Jährige aus Hamburg hat häusliche Gewalt erlebt. Immer wieder, über etliche Jahre. Sie wurde von ihrem Partner geschlagen, bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt, kam mehrfach ins Krankenhaus. Und ging doch wieder zurück zu ihm, weil sie nicht gewusst hätte, wohin sonst. Und wurde erneut misshandelt. Dass sie es irgendwann doch schaffte, diesem Kreislauf der Gewalt zu entkommen, habe sie dem Weißen Ring zu verdanken, erzählt die Hamburgerin. Die Opferhilfeorganisation habe sie unterstützt, ihr Hilfe aufgezeigt, Kontakte zu weiteren Anlaufstellen vermittelt. „Es gibt Menschen, die helfen von Herzen“, sagt Corinna R. voller Anerkennung über den Weißen Ring. Sie sagt auch: „Es hat lange gedauert, aber ich bin jetzt zufrieden. Auch wenn da noch ein wenig Luft nach oben ist.“
Häusliche Gewalt: Oft ist es für die Opfer extrem schwierig, sich aus der Situation zu befreien
Luft nach oben: Wenn man hört, wie weit unten die Hamburgerin war, dann scheint schon außerordentlich viel erreicht zu sein. Sie erinnert sich an Zeiten, als sie die Nächte an ihrer Wohnungstür auf einer Matratze verbrachte, immer ein Messer in Griffweite, weil sie Attacken ihres Ex-Partners befürchtete. Sie denkt an Situationen, in denen ihr damals sieben Jahre alter Sohn verzweifelt versuchte, seine Mutter vor weiteren Übergriffen durch ihren Partner zu schützen. Und andere Gelegenheiten, als sie geschunden und schwer verletzt im Krankenhaus lag und sich gegen den Rat der Ärzte vorzeitig entlassen ließ – um zu Hause für die kleinen Kinder da zu sein.
Gewalt in der Beziehung: Im Jahr 2023 registrierte die Polizei in Hamburg 4316 Taten innerhalb von Partnerschaften oder ehemaligen Beziehungen. Dies entspricht gegenüber dem Vorjahr einer Zunahme von 8,5 Prozent beziehungsweise 337 Taten, heißt es der Senats-Antwort auf eine Schriftliche Kleine Anfrage. Im Zeitraum Januar bis März 2024 wurden demnach 987 Delikte registriert, was gegenüber dem Vergleichszeitraum Januar bis März 2023 einem Rückgang um 19,2 Prozent beziehungsweise 235 Taten entspricht.
Wie aus der Antwort des Senats weiter hervorgeht, hat das Thema Häusliche Gewalt mittlerweile eine erhöhte gesellschaftliche Aufmerksamkeit erhalten. Die gestiegene Sensibilisierung führe zu einer höheren Bereitschaft zur Meldung und Anzeige, was wiederum zu steigenden Zahlen beitrage. „Das bedeutet nicht zwangsläufig eine Verschlechterung der Situation, sondern zeigt, dass das Bewusstsein für das Problem wächst und mehr Fälle polizeilich bekannt werden“, heißt es in der Senatsantwort. Die Opferhilfeorganisation Weißer Ring hat in Hamburg allein im vergangenen Jahr in 149 Fällen Opfer aus Beziehungsgewalt betreut.
Anfänge in der Kindheit: Hamburgerin durchlebt wahr gewordenen Albtraum
Auch Corinna R. wandte sich schließlich an die Polizei. Da hatte sie bereits Jahre der Misshandlungen hinter sich. Verglichen mit damals sei ihr Zustand jetzt wirklich gut, sagt sie. In der Rückschau, findet die Hamburgerin, sei wohl vieles ihrer fatalen Beziehung durch die Umstände zu erklären, in denen sie aufgewachsen ist. Ein Leben mit einer Mutter, die viel zu oft dem Alkohol zusprach und außerdem Drogen konsumierte, die ihre Tochter misshandelt habe. Ein Vater, der ebenfalls ein Alkoholproblem hatte und zu dem nur sporadischer Kontakt besteht, wenn überhaupt.
„Als ich 14 war, bin ich ins Heim abgehauen“, erzählt Corinna R. Da habe sie ebenfalls Übergriffe erlebt, sei von einem Betreuer beispielsweise mal am Kragen gepackt worden. Auch Taschengeldentzug habe es gegeben. Als sich die Konflikte häuften, flog sie aus der Wohngruppe. Da war sie 15. Etwa zweieinhalb Jahre wohnte sie nun beim Vater, bis sie 18 wurde. „Dann hatte ich endlich eine eigene Wohnung.“
Häusliche Gewalt begann für Hamburgerin bereits früh
Gewalterfahrungen in der Jugend – die sich fortsetzen, als sie erwachsen ist: Heute ist das für Corinna R. eine Erklärung für bestimmte Verhaltensmuster. Nachdem sie in instabilen Familienstrukturen aufgewachsen war, habe sie bei Partnern nach Halt gesucht, sagt die 38-Jährige. Doch diese Beziehungen hätten nicht wirklich funktioniert.
Heute hat sie drei Kinder von drei Männern. „Ich war immer eine gute Mutter, war immer mit Herzblut dabei“, findet sie. Wie sich ihre Kinder entwickelt haben, mache sie „wahnsinnig stolz“, sagt Corinna R. Zum Beispiel ihre ältere Tochter, die mittlerweile die mittlere Reife hat und jetzt eine Ausbildung zur Krankenschwester beginnt. „Das ist wirklich großartig.“
Ihr Partner machte ihr das Leben zur Hölle – über Jahre
Den Mann, der Corinna R. über viele Jahre das Leben zur Hölle machte, lernte die damals 20-Jährige kennen, als sie gerade zum ersten Mal Mutter geworden war. „Wir kamen ziemlich schnell zusammen, dann zog er mit in meine Wohnung“, erinnert sich die Hamburgerin. Doch schon bald hätten die Schikanen begonnen. Verbal zunächst, immer wieder mit dem Tenor, dass sie nichts wert sei. „Du kannst nichts. Du bist nichts“, darauf liefen die Bemerkungen ihres Partners häufig hinaus. Außerdem habe er ihr gedroht, wenn sie nicht so „funktionierte“, wie er wollte. „Wenn ich mich mal verabreden wollte oder wenn ich mal nicht gekocht habe, hat er mich niedergemacht.“
Als wären solche verbalen Entgleisungen nicht schon schlimm genug – die Übergriffe wurden nun auch noch körperlich, so erzählt es die 38-Jährige. „Erstmals passierte das im Sommer 2006“, erinnert sie sich. „Wir hatten geplant, einen DVD-Abend zu machen. Als ich ihn an unsere Vereinbarung erinnerte, wurde ich von ihm verbal extrem niedergemacht. Ich sagte dann, dass ich das nicht mehr aushalte und ich würde mich von ihm trennen. Da kam von ihm die erste Backpfeife. Ich war geschockt und habe geweint.“
„Erst war ich noch stark. Später habe ich auch vor den Kindern geweint“
Damals sei es ihr noch gelungen, die Tränen vor anderen zu verbergen. „Da war ich noch stark. Später habe ich auch vor den Kindern geweint“, erzählt Corinna R. Ihre Widerstandskraft schwand in dem Maße, in dem die Gewalt massiver wurde. „Es wurde immer extremer. Er schlug mit den Fäusten auf mich ein oder rammte meinen Kopf gegen die Heizung, sodass ich das Bewusstsein verlor.“ Er habe sie in der Folge mehrfach so massiv traktiert, dass sie ohnmächtig wurde.
Doch sie ging nicht. Sie blieb. Mehr noch: Die damals 21-Jährige wurde von ihrem übergriffigen Partner schwanger, und sie freute sich darüber. „Ich hatte die Hoffnung, dass sich unsere Beziehung verbessert, wenn wir ein gemeinsames Kind haben.“ Es wurde allerdings nicht besser, sondern schlechter, sagt die Hamburgerin. Die Misshandlungen hätten sich in der Schwangerschaft fortgesetzt und weiter, als ihre Tochter zur Welt kam.
Die kleinste Missstimmung habe ausgereicht – und Peter G. sei ausgerastet. „Zuerst war ich dann jeweils im Schockzustand. Aber je öfter es vorgefallen ist, desto mehr wurden die Schläge zur ,Normalität‘.“ Um erneute Misshandlungen zu vermeiden, habe sie versucht, „ihm alles recht zu machen“. Sich trennen? Das kam ihr nicht wirklich in den Sinn – „auch wegen der Kinder“, sagt sie.
Ausgeschlagene Zähne, gebrochene Nase: Ihr Partner schlug sie krankenhausreif
Schließlich habe die Nachbarschaft Bescheid gewusst, dass ihr Partner ihr gegenüber gewalttätig wurde. Weil es in der Wohnung wieder mal laut wurde, weil man ihre Blessuren sah oder weil er auf offener Straße zuschlug. „Einige wollten helfen, haben die Polizei alarmiert.“ Die Folge sei dann häufig gewesen: Ihr Partner habe eine sogenannte Wegweisung bekommen, mit der ihm untersagt wird, sich in der Wohnung aufzuhalten. „Aber er hielt sich nicht dran. Er ist bei mir nachts eingebrochen. Also campierte ich vor der Wohnungstür mit einem Messer unter der Matratze, aus Angst, er könne sich wieder gewaltsam Zutritt zur Wohnung verschaffen.“ Doch irgendwann war ihre Kraft aufgezehrt. „Ich habe ihn dann wieder in die Wohnung gelassen.“
Ob es dann besser wurde? Nein. Die 38-Jährige erzählt von einer Begebenheit Anfang 2012, als Peter G. sie krankenhausreif geprügelt habe. Ihre damalige beste Freundin habe die Rettungskräfte alarmiert, die sie dann in die Klinik gebracht hätten. Corinna R. sagt, ihr damaliger Partner habe ihr die Nase zertrümmert, den Kiefer gebrochen, Zähne ausgeschlagen. Zudem trug sie eine Fraktur eines Fingers davon. „Wahrscheinlich hätte ich schon vorher mehrfach ins Krankenhaus gehört“, glaubt sie, „aber diesmal war es besonders heftig. Jede Farbe konnte man in meinem Gesicht gesehen. Alles war blau und grün.“ Und als sie wieder zu Hause war, habe ihr Partner sie nach einer erneuten Auseinandersetzung gewürgt. „Mein Sohn hat ihn dann getreten und gerufen: ,Lass meine Mama in Ruhe!‘ Ich glaube, er hat mir das Leben gerettet. Da war er gerade sieben Jahre alt.“
„Sich ihm zu widersetzen war ein richtig starkes Gefühl“
Wenn Corinna R. sich an jene Szenerie erinnert, spricht sie von ungeahnten Kraftreserven, die sie habe mobilisiert können. „Ich bin aufgesprungen, weil ich Angst hatte, dass er nun auch auf mein Kind losgeht. Jetzt habe ich mich endlich getrennt, meinen Partner aus der Wohnung rausgeworfen und das Türschloss austauschen lassen. Wenn er dann gegen die Tür polterte, habe ich die Polizei gerufen. Und seine Anrufe habe ich ignoriert“, erzählt die Hamburgerin.
Doch auch das war nicht das Ende der fatalen Beziehung zu ihrem Ex-Partner. Peter G. erkämpfte den Umgang mit seiner Tochter, über diese Schiene erhielt er erneuten Kontakt zu Corinna R., die sich wiederum darauf einließ, ihn in ihr Leben zu lassen. Und die Gewaltspirale setzte wieder ein, so erzählt sie es. Erneut habe er sie geschlagen. „Ich weinte und wandte mich an eine Freundin. Ich sagte ihr, dass ich ihre Hilfe brauche. Sie hat mich dann zur Polizei begleitet, zum Jugendamt, zu weiteren Behörden.“ Sie habe erneut eine Wegweisung von Peter G. erreicht, erzählt die Hamburgerin. „Ich zeigte ihm das Schreiben, gab ihm 15 Minuten Zeit, die Wohnung zu verlassen. Sich ihm zu widersetzen war ein richtig starkes Gefühl.“
Auf Empfehlung eines Arztes wandte sich Corinna R. an den Weißen Ring
Er kämpfte weiter, auch über die Kinder, die er versuchte, auf seine Seite zu ziehen. So ging es in einem emotionalen Auf und Ab bis zum Jahr 2018. „Da war ich dann völlig am Ende, kam wegen Erschöpfung ins Krankenhaus.“ Jetzt zog Corrina R. endgültig die Reißleine, wandte sich an die Opferhilfeorganisation Weißer Ring, auf Empfehlung eines Arztes, wie sie sagt.
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Und dieser Gang, so meint die 38-Jährige heute, habe die entscheidende Wende in ihrem Leben gebracht. Was sie an dem Weißen Ring so schätzt: „Dass ich die Außenstellenleiterin Lydia C., die für mich zuständig war, stets erreichen konnte. Sie war immer für mich da, organisierte, dass meine Kinder und ich in den Urlaub an die Nordsee fahren und uns von den ganzen Rückschlägen erholen konnten. Sie nannte mir Stellen, wo ich mich hinwenden konnte, empfahl gute Anwälte, begleitete mich zu Gerichtsterminen. Und sie kümmert sich bis heute um mich und meine Kinder.“
„Unterstützung geben und den Lebensmut wiederherstellen“: So fasst Kristina Erichsen-Kruse, stellvertretende Hamburg-Vorsitzende der Opferhilfeorganisation, zusammen, was der Weiße Ring sich auf die Fahne geschrieben hat und immer wieder leistet. So auch bei Corinna R., die berichtet, dass sie jetzt „endlich die Ruhe vor meinem Ex-Partner hat. Aber was er mir über die Jahre angetan hat, ist durch nichts zu entschuldigen“. Gleichwohl sei jetzt Zeit, nach vorn zu blicken. „Ich habe jetzt keine extremen Schmerzen mehr. Ich kann meist durchschlafen, habe Zeit zu genesen. Ich habe die Motivation zurückerlangt, gesund zu essen. Ich fühle mich wieder wohler mit meinem Körper. Und wenn ich morgens aufwache, freue mich auf den Tag.“
So geht Hamburg gegen häusliche Gewalt vor
Die Polizei verfolgt bei der Bekämpfung von Beziehungsgewalt einen breiten Ansatz, der neben der Strafverfolgung und gefahrenabwehrenden Maßnahmen insbesondere die Prävention solcher Taten umfasst. Unter anderem böten in Hamburger Quartieren die „StoP-Projekte“ Unterstützung für Gewaltbetroffene und Dritte im Stadtteil, mit schnellstmöglicher Kontaktaufnahme zur Polizei. Die Initiative „StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt“ zielt auf aktive Nachbarschaften im Stadtteil ab.
Zudem möchte die Polizei unter anderem mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen, wie der Unterstützung des Hilfetelefons und informativen Animationen auf der Polizei-Webseite, das Thema Häusliche Gewalt weiter enttabuisieren und die Anzeigebereitschaft Betroffener in Not erhöhen.
Auch bei der Staatsanwaltschaft gab es Maßnahmen, explizit gegen häusliche Gewalt. So wurden zum 1. März 2021 die bis dahin bestehenden Sonderdezernate für Beziehungsgewalt zu einer Sonderabteilung verschmolzen und personell verstärkt. So seien Kompetenzen gebündelt und ein noch besserer Austausch mit den an der Strafverfolgung beteiligten Akteuren ermöglicht worden, heißt es.
Zudem können Betroffene häuslicher Gewalt, wenn es zu einem Gerichtsverfahren kommt, die Unterstützung der Zeuginnen- und Zeugenbetreuung des Landgerichts Hamburg in Anspruch nehmen. Diese leisten Unterstützung und Beratung für die anstehende Gerichtsverhandlung. Sie erklären Verfahrensabläufe, beraten bei Fragen, Unsicherheiten und Ängsten im Hinblick auf die anstehende Zeugenaussage und begleiten.