Hamburg. Warum die Social Media-Accounts der Tradwifes gerade für heranwachsende Mädchen brandgefährlich sind, erklärt Fachfrau aus Hamburg.
- Accounts von Tradwife-Frauen glorifizieren die Rolle der Ehefrau oder Freundin als Hausfrau, Mutter und Köchin.
- Das rückwärtsgewandte Gedankengut der hochgeladenen Videos kommt nah an Grundsatzprogramm der AfD
- Expertin aus Hamburg warnt eindringlich: Junge Frauen können die Illusion noch nicht erkennen und lassen sich blenden
„Als Hausfrau beginnt mein Tag damit, dass ich mich für meinen Mann hübsch mache. Und damit er immer gut drauf ist, sorge ich dafür, dass er immer etwas zu essen hat“, sagt Carolina Tolstik auf ihrem Instagram-Account xmalischka mit hoher, ruhiger Stimme Sie gehört zu den sogenannten Tradwives: Frauen, die das traditionelle Rollenbild der Hausfrau propagieren. Mehr noch: Sie glorifizieren den konservativen bis reaktionären Lebensstil als Ehefrau, Hausfrau und Mutter.
Tradwife steht für „traditional wife“ – die „traditionelle Ehefrau“ wie in den 1950er- und 1960er-Jahren etwa. Zu finden sind sie unter den Hashtags #tradwives oder #stayathomegirlfriend auf TikTok und Instagram, ein Phänomen, das in den letzten Jahren aus Amerika nach Europa herüberschwappte und hier für viele Diskussionen sorgt wie andere Trends auf den sozialen Medien.
Für den Mann von Tolstik gab es zu Frühstück an diesem Tag: Rührei mit Blattgold, Mittag: Hähnchenpfanne mit Reis in Herzchenform, zum Abendessen: selbst gemachte Wraps mit Shrimps. Manchmal, da müsse sie auch öfter ansetzen, bis beispielsweise der gewünschte Hefezopf perfekt glücke. Ihr Mann sei schließlich anspruchsvoll, so Tolstik.
Tradwives: Ein Leben für den Ehemann. Und die Kinder. Und den Sauerteig.
Tradwives zeigen sich zumeist kochend, nutzen oftmals keine modernen technischen Hilfsmittel, kneten Teige mit den Händen, tragen Schürzen und Kittelkleider oder lange Röcke. Meist haben sie Kinder, oft viele. Wie die wohl bekannteste Amerikanerin ihrer Art, Hannah Neeleman. Sie ist achtfache Mutter und die Anführerin der Bewegung, postet seit Jahren von ihrem Account Ballerina Farm Koch-, Back, Kinder- und Farmvideos.
Sie, die eigentlich einmal an der prestigereichen Juilliard School in New York zur Bühnentänzerin ausgebildet wurde, hat sich nun dem Leben auf einer abgeschiedenen Farm in Utah verschrieben. Ihr achtes Kind kam vor wenigen Monaten zur Welt. Die 34-jährige Influencerin zeigt, wie man mit Baby unterm Arm einen Sauerteig-Starter ansetzt und mit einem Holzlöffel bewaffnet komplizierte Fleischgerichte mit drei alten Töpfen zubereitet. Ach, und dann nimmt sie noch an der Miss-World-Wahl teil, während der zwei Wochen alte Säugling parallel gestillt wird. Klingt anstrengend?
Sieht aber nicht so aus. In den Videos, die Neeleman für ihre 9,9 Millionen Follower auf Instagram postet, ist die Stimmung immer rosig, Kinder springen durchs Bild (lachend, tobend), Ehemann schaut herein (küssend, mit Cowboyhut). Der Traum vom entschleunigten, einfachen Leben auf dem Land, die hübsche Frau in der Rolle der für die Familie sorgenden Gattin aufgehend.
„Alles, was gezeigt wird, ist komplett geschönt, es entspricht nicht der Realität“, sagt Expertin aus Hamburg
„Ich finde das ganz, ganz gruselig“, sagt Frauke Ludwig. Die Hamburgerin, die als Elterncoach unter ihrer Marke „Einfach Eltern“ Kurse gibt und die Trageschule Hamburg leitet, ist selbst in den sozialen Medien sehr aktiv und kennt das Phänomen der Tradwives. „Alles, was da gezeigt wird, ist komplett geschönt, es entspricht nicht der Realität“, sagt sie, „deshalb ist es auch so irreführend.“
Nie sieht man die Frauen Klos putzen oder Wutanfälle der Kinder begleiten, nie die Wäscheberge, das dreckige Geschirr. „Bei denen sieht alles nach Leichtigkeit aus, als erstrebenswertes Leben. Doch es werden viele Teile komplett und konsequent ausgeblendet.“ Gerade für junge User, heranwachsende Mädchen und jüngere Frauen, sei es gefährlich. „Meine Töchter sind zwölf und 16 Jahre und konsumieren natürlich Reels, mit ihnen spreche ich darüber und zeige die Unstimmigkeiten auf oder gebe einen anderen Blickwinkel mit“, sagt Ludwig. Doch bei vielen anderen sei das nicht der Fall.
„Sie wissen noch nicht, wie wichtig Feminismus ist, sie sind politisch noch nicht so weit gebildet und lassen sich dann davon beeindrucken und influencen und hinterfragen nicht“, sagt die Unternehmerin. Aus ihrem Berufszweig, der bedürfnisorientierten Elternschaft, wozu die Einschlafbegleitung, das körpernahe Tragen der Babys und Kinder, die gewaltfreie Kommunikation gehören, kennt sie es, dass diese Haltung auch ideologisch missbraucht wird. „Es wird mit politisch rechten Themen vermischt, was sich in Kommentaren unter Posts zeigt.“
Tradwives zeigen Rollenbild, das den Vorstellungen der „einheimischen“ Frau der AfD sehr nahe kommt
So wie in den Vorstellungen der AfD zur idealen Frau. In ihrem Grundsatzprogramm werden die Vorstellungen über die „einheimische“ Frau deutlich: Traditionell soll sie sein, viele Kinder bekommen und sich in Vollzeit um die Familie kümmern. Kinder mindestens drei Jahre zu Hause betreuen und den Beruf aufgeben. Sich damit natürlich in völlige finanzielle Abhängigkeit zum Mann begeben.
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Oder Tradwive-Influencerin werden? Denn hier dockt ein weiterer Kritikpunkt an: „Heutzutage reicht es in der Regel nicht, eine Familie mit bloß einem Gehalt zu ernähren“, sagt Ludwig, „deshalb setzen diese Frauen darauf, über ihre Reichweite Geld zu verdienen, sagen das aber an keiner Stelle.“
Oder aber es ist einfach schon genügend Geld da: Ballerina-Farm-Ehemann Daniel Neeleman ist schwerreich, seinem Vater gehörten unter anderem fünf Airlines, was den mehrere Tausend Euro teuren Antik-Ofen und das Fitnessstudio auf der riesigen Farm erklären mag. Auch Tolstik hat wohl weniger Sorgen um ihr Auskommen, schließlich postet sie ihre Videos aus der Sonne von Mallorca, wo sie mit ihrem Mann lebt. Äh, für ihren Mann.