Hamburg. Zwar steigt die Zahl der Freiwilligen, doch längst nicht so stark wie anderswo. Geworben wird auch für Heimatschutz und Reservedienst.

Es gab schon ruhigere und weniger unheilvolle Zeiten in Deutschland und Europa. Das zeigt sich auch daran, welchen Stellenwert das Thema Verteidigung in der aktuellen Debatte einnimmt. Diskussionen um die Wiedereinführung der Wehrpflicht oder eine Musterungspflicht, wie es sie etwa in Schweden gibt, werden laut. Außerdem steigt die Zahl der Menschen, die sich freiwillig zum Dienst an der Waffe melden – auch in Hamburg.

Bis Juni dieses Jahres habe die Bundeswehr in ganz Deutschland rund 15 Prozent mehr Bewerbungen für die militärischen Laufbahnen verzeichnet als im Vorjahreszeitraum. „In der Gesamtentwicklung sind grundsätzlich regionale Unterschiede festzustellen, bedingt beispielsweise durch unterschiedliche Bevölkerungsstrukturen und Arbeitsmarktsituationen“, sagt eine Sprecherin der Bundeswehr in Köln.

Bundeswehr: Hamburger haben weniger Lust auf Dienst an der Waffe

Zwar ist der Anteil der Hamburger, die sich zum freiwilligen Dienst an der Waffe gemeldet haben, zuletzt auch gestiegen, allerdings weniger als im Bundesvergleich. Die Hansestadt verzeichnet für 2024 (Stichtag 2. August) lediglich ein Plus von acht Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Offenbar ist die Bundeswehr für die Hamburger weniger attraktiv als im bundesweiten Durchschnitt. Unter den rund 18.800 Soldatinnen und Soldaten, die ihren Dienst bei der Bundeswehr im Jahr 2023 angetreten haben, waren 280 aus Hamburg, informiert die Sprecherin. Damit war die Hansestadt angesichts ihrer Größe deutlich unterrepräsentiert.

Landeskommando Hamburg: „Man sieht die Bundeswehr kaum in der Öffentlichkeit“

Laut Kapitän zur See Michael Giss, Kommandeur des Landeskommandos Hamburg, gibt es Unterschiede zwischen Stadt und Land, was die Wahrnehmung der Bundeswehr angeht. „Hamburg ist besonders: Trotz einer großen Zahl an Bundeswehr-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern in zivil und Uniform, circa 6500, haben wir keine Kampftruppe, keine Panzer, keine Flugzeuge und Ähnliches“, sagt er dem Abendblatt. „Man sieht die Bundeswehr kaum in der Öffentlichkeit.“

Wer sich für die Streitkräfte interessiere, gehe dorthin, wo die Truppe ist, sagt Giss. Das Landeskommando Hamburg spreche aber aktiv Menschen an und werbe für den Heimatschutz und Reservedienst. „Von alleine geht da jedenfalls in Hamburg, 30 Jahre nach dem Kalten Krieg und fast 15 Jahre nach Aussetzung der Wehrpflicht, nichts mehr“, sagt er. „Insofern freuen wir uns über jeden Hamburger und jede Hamburgerin, der oder die sich für den Heimatschutz entscheidet.“

Kommandeur will mehr Wertschätzung für die Soldaten

Der Kommandeur wirbt für die öffentliche Anerkennung und Wertschätzung der Soldaten. Die Gesellschaft dürfe nicht glauben, dass die Bundeswehr sich in einer Spannungs- oder Kriegssituation allein um die Wiederherstellung des Friedens kümmere „und der Rest schaut es sich im Fernsehen an“, sagt er.

Kapitän zur See Michael Giss, Kommandeur des Landeskommandos Hamburg.
Kapitän zur See Michael Giss, Kommandeur des Landeskommandos Hamburg. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

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Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) machte in den vergangenen Monaten diverse Vorschläge, wie sich wieder mehr Soldaten rekrutieren ließen. Er brachte einen Fragebogen und eine Musterungspflicht für männliche Schulabgänger ins Spiel. Darauf könnte ein freiwilliger sechsmonatiger Grundwehrdienst mit der Option für einen zusätzlichen Wehrdienst von bis zu weiteren 17 Monaten folgen.

Hamburger Kommandeur auf Linie mit Boris Pistorius

Kapitän zur See Giss hält den Vorschlag für richtig: „Wir müssen angesichts der Bedrohungslage darüber sprechen!“, mahnt er. „Vielleicht kann man dabei auch über Frauen sprechen, vielleicht auch über die Frage der Freiwilligkeit, aber auch über die möglichen Vorteile eines Wehrdienstes“, zum Beispiel Studienpunkte oder finanzielle Vergünstigungen, meint Giss. Von den skandinavischen und baltischen Ländern könne Deutschland noch viel lernen, findet der Kommandeur.

Ähnlich sieht das offenbar Verteidigungsminister Pistorius. Erst kürzlich besuchte er seinen Amtskollegen Pål Jonson und ließ sich das schwedische Modell erklären. Das Land hat die Wehrpflicht 2017 wieder eingeführt. Derzeit werden in Schweden alle 18-Jährigen – also auch junge Frauen – kontaktiert und dann etwa ein Drittel von ihnen gemustert. Die anschließende einjährige Militärausbildung ist freiwillig. Dennoch rekrutiert Schweden nach eigenen Aussagen derzeit genug neue Soldaten.

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