Hamburg. Andrea von Harten ist 38 Jahre alt, hat eine Immobilienfirma – und ist Chefin von 85 neuen Bundeswehr-Reservisten. Wie es dazu kam.
Von ihrem Schreibtisch aus blickt Andrea von Harten auf den Elbe-Kanal in der HafenCity. Ein perfekter Arbeitsplatz? Nicht ganz. Denn ihre Immobilienfirma wächst so stark, dass sie nach neuen Räumen für sich und ihre sechs Mitarbeiter sucht. Bis Sommer soll die Firma schon 15 Mitarbeiter zählen. Deshalb hofft die 38-Jährige auf einen baldigen Umzug in größere Büroräume in Eppendorf.
Andrea von Harten ist eine zielstrebige, erfolgreiche Maklerin und Mutter von zwei Kindern, auf die man sich im Ernstfall verlassen kann. Denn seit Kurzem ist sie auch die neue Chefin der zweiten Heimatschutzkompanie der Bundeswehr in Hamburg. 85 Reservisten hören jetzt auf ihr Kommando. Schuld daran ist ein Kinobesuch.
Immobilien-Maklerin führt neue Kompanie der Bundeswehr in Hamburg an
„Ich saß im Kino und da lief die Bundeswehrwerbung mit einem Hubschrauber“, erinnert sich Andrea von Harten, die offenbar schon immer hoch hinaus wollte. Vor allem wollte sie als 20-Jährige aber raus aus dem Harzer Vorland, ins Ausland und humanitäre Hilfe leisten. Da erschien ihr eine Ausbildung bei der Bundeswehr zur Hubschrauberpilotin genau richtig.
2006 trat sie ein. Verpflichtete sich später für 12 Jahre. Aus der Flugpilotenkarriere wurde allerdings nichts. Sie fiel bei der Prüfung im Simulator durch. Dafür ging es zur Marine. Dort durchlief sie verschiedene Stationen, arbeitete sich bis zum Rang Kapitänleutnant hoch und studierte zudem an der Bundeswehr-Uni in Hamburg BWL. Unter anderem war sie für eine Ausbildungseinheit mit 210 Leuten verantwortlich.
Immobilien statt Bundeswehr: Hamburgerin wählte Weg in die Selbstständigkeit
„Ich war gern bei der Bundeswehr. Dort habe ich viel gelernt, was mir heute hilft: Personalführung, sich auf Aufgaben zu fokussieren, bei Rückschlägen weiterzumachen und sich zu fragen, was man daraus lernt, wie bei der Manöverkritik“, sagt die 38-Jährige. Doch vor vier Jahren entschied sie sich, ihre Dienstzeit nicht zu verlängern und für den Schritt in die Selbstständigkeit.
„Das wollte ich schon immer machen“, so die Maklerin. Ihr eigener Herr, beziehungsweise Frau sein, eine eigene Firma gründen. Dafür gab es zwei Gründe: „die besseren Verdienstmöglichkeiten und familiäre“. Denn durch die Selbstständigkeit könne sie Karriere und Kinder besser vereinbaren, „zudem wollte ich nicht immer versetzt werden“, sagt Andrea von Harten.
Wie gut ihr die Zeit bei der Bundeswehr aber offenbar in Erinnerung geblieben ist, zeigte sich, als sie einige Jahre später einen Anruf von ihrem ehemaligen „Spieß“, also dem Kompaniefeldwebel, bekam. Er fragte, ob sie das Kommando über die neue Heimatschutzkompanie der Bundeswehr in Hamburg übernehmen könnte. Die 38-Jährige sagte sofort zu. Vor einigen Tagen wurde sie in der Kaserne in Iserbrook offiziell „in Dienst gestellt“.
Bundeswehr Hamburg: Interesse am Heimatschutz sei deutlich gewachsen
Derzeit umfasst ihre Truppe 85 „Mann“, 120 sollen es zukünftig werden. Unter den Reservisten, die das alles ehrenamtlich machen, sind sogar sieben „Ungediente“ also auch Wehrdienstverweigerer. Dass die Kompanie schnell auf ihre Sollstärke anwachsen wird, da ist man sich bei der Bundeswehr in Hamburg ganz sicher.
„Seit Beginn des russischen Angriffskrieges stellen wir fest, dass sich mehr Leute für den Heimatschutz interessieren und dass sie jünger werden“, sagt Ulla Matthes, stellvertretende Pressesprecherin der Bundeswehr Hamburg. Derzeit gebe es rund 200 Hamburger Heimatschützer im Alter zwischen 20 und 63 Jahren, sechs davon sind weiblich, Andrea von Harten nicht eingerechnet. Aufgrund des großen Interesses geht man bei der Bundeswehr Hamburg davon aus, dass eine dritte Heimatschutzkompanie Ende des Jahres folgen wird.
Heimatschutz: Deutscher Pass und gewisse körperliche Fitness sind Voraussetzung
Wer zur Heimatschutzkompanie will, muss zwischen 18 und 65 Jahren alt sein, über einen deutschen Pass verfügen, eine gewisse körperliche Fitness haben und sich einer ärztlichen Untersuchung unterziehen. Wer keine Bundeswehrvorbildung hat, absolviert dann eine verkürzte Grundausbildung. Die anderen müssen aufgrund von Neuerungen lediglich in Sachen Schießen auf den aktuellen Stand gebracht werden.
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Seit 2012 gibt es Heimatschutzkompanien deutschlandweit. Die Aufgabe der Reservisten und Reservistinnen ist es, im Erstfall zu unterstützen. Bei einem Blackout könnten sie herangezogen werden, genauso wie im Katastrophenfall. Käme es zum Krieg, sollen sie die Bundeswehrsoldaten entlasten, indem sie zum Beispiel Kasernen bewachen oder Fahrzeuge kontrollieren. „Wenn es brennt, muss man ran“, formuliert es Andrea von Harten.
Amoklauf in Blankenese: In solch einem Fall könnten Reservisten unterstützen
Ihr Hamburg-spezifisches Beispiel ist der vermeintliche Amoklauf zunächst an einer Schule in Blankenese im vergangenen Jahr. Die Lage war sehr unübersichtlich, es war unklar, wo sich die als bewaffnet geltenden Täter aufhalten. „In so einem Fall könnte uns die Polizei zur Unterstützung anfordern, um Gebäude zu schützen“, erklärt die 38-Jährige.
Um auf diese Situationen vorbereitet zu sein, gibt es für die Reservisten regelmäßige Übungen, die zu den Einsätzen hinzukommen. Fällt das in die Arbeitszeit, zahlt die Bundeswehr für den Verdienstausfall, ein bisschen vergleichbar mit den Einsatzkräften der freiwilligen Feuerwehr. Für das Geld mache sie das aber nicht, betont Andrea von Harten. „Ich mache das aus Überzeugung.“