Heist/Hamburg. Seit dem Ukraine-Krieg melden sich deutlich mehr Freiwillige zur Landesverteidigung. Wenn Zivilisten zur Waffe greifen.
Es knallt auf dem Gelände der Schießanlage in Heist. Die Heimatschutzkompanie Hamburg absolviert ihre monatliche Ausbildung. Schießen, Laufen und Retten stehen auf dem Programm. Der Heimatschutz ist so etwas wie eine freiwillige Feuerwehr-Armee.
Es sind Juristen, Studenten und andere Zivilisten, die hier in ihrer Freizeit mit Maschinengewehren und Pistolen auf menschliche Silhouetten aus Papier anlegen und sich dem Drill ihrer Ausbilder unterziehen.
Heimatschutz Hamburg übernimmt Verteidigung der Elbbrücken
Alle Deutschen zwischen 18 und 65 Jahre können sich bewerben. Heute muss niemand herkommen und mitmachen. Doch im Ernstfall haben die 145 Frauen und Männer dieser Einheit keine Wahl. Dann sind sie verpflichtet, Hamburg zu verteidigen und, wenn nötig, dafür zu töten und zu sterben. Dazu hat sich jeder und jede Einzelne von ihnen freiwillig gemeldet.
„Es muss Leute geben, die freiwillig zur Armee gehen und im Ernstfall unsere Werte und Demokratie verteidigen“, sagt Kim K. aus Wentorf. Sie ist 27 Jahre alt, hat lange braune Haare und freundliche Augen. Putins Angriff auf die Ukraine habe dieses Gefühl noch bestärkt, ebenso wie die Angst davor, dass es tatsächlich einmal so weit kommen könnte. Dann würde der Heimatschutz vor allem Wach- und Sicherungsaufgaben übernehmen. Dazu gehört zum Beispiel die Bewachung von Kasernen oder die Verteidigung der Elbbrücken.
Heimatschutz-Kompanie verzeichnet erstmals wieder deutliche Zuwächse
Nach Jahren der Stagnation verzeichnete die Heimatschutzkompanie im vergangenen Jahr erstmals wieder deutliche Zuwächse. „Allein bei den letzten beiden Hafengeburtstagen konnten wir über 100 Menschen davon überzeugen, zu uns zu kommen“, sagt Jürgen Bredtmann als Pressesprecher der Bundeswehr in Hamburg. Nun überlegt das Landeskommando sogar, eine zweite Heimatschutzkompanie zu eröffnen. Bredtmann freut sich über den Imagewandel. „Jetzt wird vielen wieder bewusst, dass wir in der Lage sein müssen, uns zu verteidigen.“
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Das heißt zum Beispiel, Gegner kampfunfähig machen. Zwei Schüsse in die Bravozone und ein Nachschuss in die Charlyzone, lautet die Aufgabenstellung. Zuvor muss Kim zur Schussposition sprinten. Der schwere Kampfanzug, Helm und Springerstiefel zehren an ihrer Kondition. Dann bleibt sie stehen, reißt das Gewehr G36 hoch, atmet aus und feuert. Zwei Kugeln schlagen der Silhouette auf der Zielscheibe in die Brust. Doch der Nachschuss in den Unterleib verfehlt sein Ziel. Das ist ein Problem. Würde die Person wie Kim eine kugelsichere Weste tragen, könnte nur ein Treffer der Charlyzone sie stoppen. Das ist der Unterleib, der von der Weste nicht geschützt werden kann.
Heimatschutz Hamburg: In der Kompanie sind fünf Frauen und 140 Männer
Kim schließt die Übung nur mit „Silber“ ab. Das nervt sie. Sie ist ehrgeizig, und sie ist eine Frau. „Da muss man sich hier schon behaupten“, sagt Kim. In der Kompanie stehen fünf Frauen 140 Männern gegenüber. Doch trennende Gedanken sind Gift, denn im Kampf müssen alle füreinander einstehen. Die Sorge um die Kameraden könne im Kampf sogar motivierender wirken als der eigene Überlebenswille, sagt Bredtmann am Rande der nächsten Übung auf dem Hindernisparcours.
Vor allem an der zwei Meter hohen Eskaladier-Wand scheitern viele der Reservisten. Doch mit Räuberleitern, Festhalten und Hochziehen helfen sich die Freiwilligen gegenseitig. Auch deswegen ist Kim hier. „Ich habe ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe, was man so in der normalen Arbeitswelt nicht erlebt“, sagt sie „Die Hindernisbahn eben gerade, das war Kameradschaft pur!“
Heimatschutz-Übung in Heist: Doch was, wenn echtes Blut fließt?
Nach der Übung wirken viele der 40 Frauen und Männer, die heute nach Heist gekommen sind, erschöpft, aber zufrieden. Bei der anschließenden Sanitätsausbildung wird viel gelacht. Die Trainierenden binden sich gegenseitig das Bein ab, um das Stoppen einer lebensbedrohlichen Blutung zu simulieren. Das gelingt Kim bei der Übung gut. Doch was, wenn echtes Blut fließt und sie auf echte Menschen schießen muss?
Kim wird nachdenklich: „Das ist eine Frage, die ich mir auch schon gestellt habe, wie ich im Ernstfall mit all dem umgehen würde. Ich weiß es nicht. Ich glaube, es hilft nur üben, üben, üben, und dafür ist die Heimatschutzkompanie ja bestens geeignet.“