Hamburg. Für eine fiktive Verhandlung gastierte der Bundesgerichtshof am Dienstag in Hamburg. Warum die Richter gleich zwei Urteile fällten.

Am Dienstagabend haben sich Generalbundesanwalt und Verteidiger eine knallharte Revisionsverhandlung vor dem Bundesgerichtshof (BGH) geliefert – in Hamburg. Nein, es handelt sich hierbei nicht um einen Rechtsirrtum. Und die Karlsruher Richter haben auch nicht etwa aus Platzmangel eine Dependance am Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) eröffnet. Causa prima der mindestens ungewöhnlichen Verhandlung im Plenarsaal des OLG war der Lehrzweck.

Hamburger Studierende bei Gericht: Fiktiver Fall, aber echter Lernerfolg

Im sogenannten Moot Court, einer simulierten Gerichtsverhandlung, sind jeweils neun Jurastudierende der Universität Hamburg (Verteidigung) sowie der Bucerius Law School (Generalbundesanwalt) gegeneinander angetreten. Das Urteil – sowohl zum fiktiven Fall als auch über die Leistungen der Studierenden – fällte eine prominent besetzte Richterbank. OLG-Präsident Marc Tully, der renommierte Rechtsanwalt Otmar Kury, die Vizepräsidentin des Landgerichts Hamburg, Birte Meyerhoff, sowie die beiden BGH-Richter Marc Wenske und Britta Erbguth verfolgten die rund dreistündige Verhandlung mit höchster Aufmerksamkeit.

Komplexe Detailfragen blieben da nicht aus. Insbesondere Marc Tully nahm die einzelnen Studierenden nach ihren Plädoyers immer wieder in die Mangel. Um Kopf und Kragen redete sich da keiner. Zumindest von außen betrachtet gaben sich die Gerichtsneulinge allesamt ziemlich abgebrüht. In ihrem Innersten dürfte es anders ausgesehen haben. „Die Studierenden arbeiten seit fünf Wochen ununterbrochen an diesem Fall. Das ist wirklich Stress“, so Rechtsanwältin und Vorstandsmitglied der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Gül Pinar, die das Verteidiger-Team der Universität Hamburg gecoacht hatte.

Bucerius Law School und Universität Hamburg liefern sich knallharte Verhandlung

Im Vorhinein hatten die Studierenden ein fingiertes Landgerichtsurteil erhalten. In dem fiktiven Fall soll eine Person in bandenmäßigen Autodiebstahl verwickelt gewesen sein. Brisant: Die Beweisführung erfolgte auch anhand von Überwachungsaufnahmen im Nicht-EU-Staat „Zentopia“, die deutschen Polizeibeamten zugespielt wurden. Anschließend ging der Verurteilte vor dem BGH in Revision. Das heißt: Die Verteidigerseite (Universität Hamburg) musste das Urteil auf Rechtsfehler untersuchen und diese darlegen, damit eine Neuverhandlung fällig wird.

Für die Verteidigerseite stand fest: Eine Bande hat es nie gegeben, die Beweisführung war rechtswidrig, und dann wurde auch noch die Strafprozessordnung verletzt, weil das sogenannte Selbstleseverfahren fehlerhaft eingeführt wurde. Das Urteil müsse aufgehoben werden. Allesamt haltlose Vorwürfe, fand hingegen die Bundesanwaltschaft der Bucerius Law School – und gab sich in ihren Plädoyers entsprechend unbeeindruckt bis süffisant. Übrigens: Teilnahmevoraussetzung der Studierenden war, dass sie sich in der Uni noch nicht tiefergehend mit dem Strafprozessrecht beschäftigt hatten.

Das mit Herzklopfen erwartete Urteil ging letztlich zugunsten der Verteidigerseite (Universität Hamburg) aus. Im fiktiven Fall wurde die Strafprozessordnung verletzt, weil das Selbstleseverfahren nicht korrekt umgesetzt wurde. „Alles ist nun von diesem Rechtsfehler bemakelt“, so die Urteilsbegründung von OLG-Präsident Marc Tully.

Herausgeputzt für den großen Auftritt: Jura-Studierende der Bucerius Law School und der Universität Hamburg nahmen in den Rollen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung an einer fiktiven Gerichtsverhandlung im Oberlandesgericht in Hamburg teil.
Herausgeputzt für den großen Auftritt: Jura-Studierende der Bucerius Law School und der Universität Hamburg nahmen in den Rollen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung an einer fiktiven Gerichtsverhandlung im Oberlandesgericht in Hamburg teil. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Corpus Delicti für eine gelungene Lehre in den Hamburger Jura-Fakultäten

Es folgte das viel wichtigere Urteil, nämlich jenes über die Fähigkeiten der Studierenden. Die anwesenden Juristen zeigten sich höchst beeindruckt von den ambitionierten jungen Menschen. Tully war schlichtweg „ergriffen von Ihrer Leistung. Sie haben das sensationell gemacht – und das bei einem außerordentlich schwierigen Sachverhalt“, sagte er.

Auch Rechtsanwalt Kury bescheinigte den Studierenden herausragende Leistungen. Im Hinblick auf die Verwendung der Sprache sowie auf die rechtlich-sachliche Bearbeitung des Falls habe die Revisionsverhandlung „weit über dem Durchschnitt dessen, was wir Tag für Tag in den Gerichten hören, gelegen“. Ein Corpus Delicti für eine gelungene Lehre sowohl an der Universität Hamburg als auch der Bucerius Law School. Das mache Kury nicht nur „im Herzen zufrieden“, sondern ist „für unseren Rechtsstaat wirklich so wichtig“.

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Der Moot Court ist schließlich mehr als eine Übung juristischer Fingerfertigkeit in herrschaftlich anmutenden Räumlichkeiten. Er soll auch das Interesse der Studierenden am Beruf steigern. „Denn auch die Anwaltschaft sucht händeringend nach Nachwuchs“, sagt Rechtsanwältin Pinar.