Hamburg. 20-Jährige schrieb „Hasspostings“ auf WhatsApp. Was nach dem Urteil im Stadtpark-Prozess im Internet an Anfeindungen kursierte.

Es war ein Verbrechen, das ganz Hamburg aufgewühlt hat, wenn nicht sogar die ganze Republik: die Vergewaltigung einer 15-Jährigen durch mehrere junge Täter im Stadtpark. Für diese Tat vom 19. September 2020 wurden mittlerweile neun Männer verurteilt. Doch die juristische Aufarbeitung dieses Falles dauert an. Jetzt geht es um Hasspostings im Netz gegen damalige Verdächtige. Im Internet waren seinerzeit unter anderem Bedrohungen ausgesprochen sowie zur Selbstjustiz aufgerufen worden.

Beleidigung und Bedrohung sind die Delikte, die jetzt eine 20-Jährige vor Gericht gebracht haben. Im Prozess vor dem Amtsgericht wirft die Anklage der jungen Frau vor, einen Mann in einem sogenannten Shitstorm als „ehrloses Vergewaltigerschwein“ und „ekelhafte Missgeburt“ beschimpft zu haben. Diese Beleidigungen soll sie dem Hamburger am 8. November 2021 geschrieben haben, nachdem sie ihn über den Messengerdienst WhatsApp kontaktiert hatte, so die Staatsanwaltschaft. Laut Anklage drohte die Frau dem Mann darüber hinaus, er könne nirgendwo mehr hingehen, „ohne auf die Fresse zu kriegen“.

Prozess Hamburg: Schmähungen im Internet nach Vergewaltigung im Stadtpark

Doch damit waren die Schmähungen offenbar nicht beendet. „Schämst du dich nicht, wenn du in den Spiegel schaust?“, schrieb die junge Frau den Ermittlungen zufolge weiter. Und: „Hoffen wir, dass du einfach weggesperrt wirst.“ Der Geschädigte war Beschuldigter in dem sogenannten Stadtparkverfahren. Nachdem bekannt wurde, dass gegen ihn ermittelt wird, war er im Internet identifizierend abgebildet und namentlich benannt worden.

Dass sie die Beleidigungen und die Bedrohung formuliert habe, „das stimmt“, bestätigt Maja R. (Name geändert) die Vorwürfe aus der Anklage. Sie sei damals entsetzt und schockiert gewesen, als sie davon hörte, dass eine 15-Jährige Opfer einer Gruppenvergewaltigung geworden sei. Eine persönliche Verbindung habe sie weder zu dem Opfer noch zu den Verdächtigen gehabt. Gewissermaßen aus einem Reflex habe sie jedoch ihrer Empörung Ausdruck verleihen wollen, sagt die Hamburgerin mit zaghafter Stimme. Die Handynummer des Verdächtigen habe damals in dem Messaging-Dienst Snapchat kursiert, erzählt die 20-Jährige. „Ohne lange zu überlegen“, habe sie ihrem Ärger darauf Luft gemacht, weil sie gemeint habe, er habe das verdient. Was sie getan habe, tue ihr leid. „Es macht keinen besser.“

Bedrohung über WhatsApp: Angeklagte muss ein Wochenende im Arrest verbringen

Schon bei der Polizei hatte Maja R. sich zu ihrer Tat bekannt. Als später ein Prozess gegen sie anberaumt wurde, erschien sie nicht im Gericht. Auch bei einem zweiten Termin blieb sie der Verhandlung fern. Es scheint dies ein typisches Verhalten der jungen Frau zu sein. Auch auf Angebote der Jugendgerichtshilfe ging sie offenbar nicht ein. Und als wegen eines Diebstahls, den sie 2020 verübt hatte, als gerichtliche Weisung Ermahnungsgespräche geführt werden sollten, tauchte sie zum zweiten Termin nicht mehr auf. Sie gehe jetzt wieder in die Schule, wolle ihren Abschluss nachholen und dann Kinderkrankenschwester werden, erzählt die Angeklagte.

Der Staatsanwalt spricht von einem „Beleidigungsschwall“, der sich im Netz entladen habe. Es sei eine „Unart“, im Internet seinen Unmut loszuwerden. Der Ankläger meint, es sei „schwierig“, die 20-Jährige zu erreichen. So sieht es auch der Richter, der als Urteil für die 20-Jährige nach dem Jugendrecht einen Freizeitarrest ausspricht. Das bedeutet, dass Maja R. ein Wochenende, also von Freitagabend bis Sonntagabend, in einer Jugendstrafanstalt verbringen muss. Die üblicherweise 48 Stunden, die ein Verurteilter dort verbüßt, werden so terminiert, dass er am Montag wieder zur Schule oder zur Arbeit gehen könnte.

Hasspostings: Gegen rund 140 weitere Verdächtige gab es Ermittlungen

Neben dem Verfahren gegen Maja R. gab es gegen rund 140 weitere Personen Ermittlungen, nachdem im Internet unter anderem Todesdrohungen, Folterfantasien und rassistische Äußerungen gegen die Verdächtigen im Stadtparkverfahren geäußert worden waren. Etwa 100 dieser Verfahren wegen sogenannter Hasspostings richteten sich gegen Menschen, die nicht in Hamburg leben. Weitere Ermittlungsverfahren gab es gegen bislang unbekannte Verdächtige.

Das Verbrechen, das dem Shitstorm vorausging, hatte sich nachts abseits der Festwiese des Stadtparks ereignet. Mehrfach hatten Gruppen von Männern die stark angetrunkene Jugendliche in ein Gebüsch geführt und sich an ihr vergangen. Im November letzten Jahres wurden in einem Prozess vor dem Landgericht – nach anderthalb Jahren Prozessdauer und 68 Verhandlungstagen – neun der zehn wegen Vergewaltigung angeklagten jungen Männer zu Jugendstrafen verurteilt. Dabei erhielt ein Angeklagter eine Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Gegen vier Beteiligte wurden Bewährungsstrafen zwischen 15 Monaten und zwei Jahren verhängt.

Stadtpark-Prozess: Die Angeklagten erhielten Jugendstrafen

Vier weitere junge Männer verurteilte das Landgericht zu Jugendstrafen zwischen einem und zwei Jahren zur Vorbewährung. Das bedeutet, dass das Gericht über eine Vollstreckung der verhängten Jugendstrafe erst nach Ablauf von sechs Monaten entscheidet, um die weitere Entwicklung dieser Angeklagten abzuwarten. Alle Strafen mit Bewährung beziehungsweise Vorbewährung wurden durch Auflagen und Weisungen flankiert. Diese Urteile sind noch nicht rechtskräftig, nachdem von den Angeklagten beziehungsweise ihren Verteidigern Revision eingelegt wurde.

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Die Kammer des Landgerichts hatte es als erwiesen angesehen, dass die zur Tatzeit 16- bis 20-jährigen Beschuldigten ihr Opfer im September 2020 nahe einer Party im Stadtpark in wechselnder Zusammensetzung über einen längeren Zeitraum hinweg missbraucht hatten. Nach Überzeugung des Landgerichts handelte es sich um eine Vergewaltigung, teils unter Ausnutzung einer hilflosen Lage. Das Opfer hatte die Übergriffe aus Angst und Verstörung über sich ergehen lassen. Weil die Angeklagten zur Tatzeit zwischen 16 und 20 Jahren waren, wurde im Prozess das Jugendrecht angewandt.

Nach dem Urteil kam es zu Hetze gegen Prozessbeteiligte

Nach dem Urteil war es im Netz erneut zu Hass und Hetze gekommen, diesmal gegen Verfahrensbeteiligte im Prozess, vor allem gegen die Vorsitzende der Jugendkammer, die das Urteil gefällt hatte, aber auch gegen Verteidiger und weitere Juristen. So schrieb beispielsweise ein Teilnehmer, er „wünsche der Richterin und allen Strafverteidigern den Tod“. Andere Nutzer nannten die Gerichtsentscheidung ein „Skandalurteil“ und äußerten übelste Anfeindungen und Verwünschungen, insbesondere gegen die Vorsitzende der Kammer.

„Wir beobachten die Anfeindungen im Zusammenhang mit dem Verfahren und dem Urteil mit großer Sorge“, hatte dazu ein Gerichtssprecher gesagt. Er sprach von Anfeindungen, die in „Intensität und Massenhaftigkeit ein neues, besorgniserregendes Ausmaß angenommen“ hätten. Der Richterverein hatte sich „bestürzt über die unerträgliche Hetze gegen eine Kollegin, die in diesem schwierigen Fall die ihr nach dem Grundgesetz zugewiesene Aufgabe erfüllt hat“ gezeigt. Das Vorgehen in den sozialen Medien sei „ein gezielter Angriff auf den Rechtsstaat“.