Hamburg. Die Personalnot in den Geschäftsstellen von Gerichten und Staatsanwaltschaften ist groß: wo die Situation besonders dramatisch ist.
Vor gut drei Wochen hatte Amtsgerichtspräsident Hans-Dietrich Rzadtki Alarm geschlagen: Die Personalnot in den Geschäftsstellen der acht Amtsgerichte sei so groß, dass zum Beispiel die Servicezeiten zum Teil auf drei Stunden pro Tag reduziert werden müssten. Weil 48 Stellen der Justizfachangestellten und Justizsekretäre nicht besetzt seien, verzögerten sich Verfahren. Der „unvermindert fortschreitende Mangel an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf unseren Geschäftsstellen“ sei ein „Missstand“, schrieb Rzadtki in einem offenen Brief an die Rechtsanwaltskammer und forderte „unverzügliche politische Entscheidungen“.
Doch nicht nur die Amtsgerichte sind betroffen. Jetzt stellt sich das ganze Ausmaß der Personalmisere im Verwaltungsbereich von Gerichten und Staatsanwaltschaften heraus: Von 1380 vollen Stellen waren Ende August nach Angaben der Justizbehörde 148 Posten nicht besetzt – das sind elf Prozent. Dabei sind die Geschäftsstellen der Staatsanwaltschaft mit einer Fehlquote von 14 Prozent noch etwas stärker betroffen als der Durchschnitt der Gerichte mit zehn Prozent.
Hamburger Justiz: Finanzgericht dauerhaft unterbesetzt
Besonders groß ist die dauerhafte Unterbesetzung beim allerdings kleinen Finanzgericht mit 35 Prozent Vakanzen. Die beiden größten Gerichte – das Landgericht (rechnerisch 204 Verwaltungsstellen) und das Amtsgericht (687 Stellen) – sind zu 15 bzw. acht Prozent unterversorgt. Auch das Hanseatische Oberlandesgericht (15 Prozent), die Arbeitsgerichte (13 Prozent) und das Verwaltungsgericht (16 Prozent) weisen einen zweistelligen Anteil an Vakanzen auf. Beim Oberverwaltungsgericht sind es zehn Prozent und bei den Sozialgerichten fünf Prozent.
Die Fluktuation in den Geschäftsstellen ist vermutlich nicht zuletzt aufgrund der belastenden Arbeitsbedingungen relativ hoch. So haben laut der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Richard Seelmaecker 188 Servicekräfte bei Gericht und Staatsanwaltschaften seit 2015 ihren Job gekündigt oder sind entlassen worden. 41 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen schieden wegen Dienstunfähigkeit aus, 60 weitere wechselten zu einer anderen Dienststelle innerhalb der Verwaltung.
Lehrgänge werden nicht komplett gefüllt
Verstärkt wird der Fachkräftemangel der Justiz dadurch, dass es nur eingeschränkt gelingt, geeignete Nachwuchskräfte auszubilden und einzustellen. Zwar hat die Justizbehörde die Ausbildungskapazitäten in den vergangenen Jahren zum Teil erhöht, aber es gelingt nicht durchgängig, die Lehrgänge komplett zu füllen. So gibt es pro Jahr 40 Ausbildungsplätze für Justizsekretäre und -sekretärinnen, aber 2020 haben nur 36 und 2021 nur 33 junge Menschen die zweijährige Ausbildung begonnen, von denen sechs bereits wieder aufgegeben haben. Im laufenden Jahr ist ein Lehrgang mit lediglich 30 Teilnehmern geplant. Auf den ersten Blick erstaunlich ist die geringe Auslastung angesichts von 400 Bewerbungen.
Einen deutlichen Bewerbungsüberschuss verzeichnet auch die zweieinhalbjährige Ausbildung zum Justizfachangestellten, allerdings registriert die Behörde Jahr einen dramatischen Rückgang bei den Bewerbungen: Hatten 2020 noch 560 junge Menschen ihre Unterlagen eingereicht, waren es 2021 und 2022 nur noch 233 bzw. 265. Statt 20 möglichen Nachwuchskräften nahmen nur 19 bzw. 17 die Ausbildung auf. Begannen 2020 noch 27 junge Menschen das Studium zum Diplom-Rechtspfleger, sind es diesem Jahr voraussichtlich nur noch elf.
"In vielen Abteilungen ist der Kollaps schon eingetreten"
Besonders dramatisch ist die Situation bei den Nachwuchskräften für den Allgemeinen Vollzugsdienst (AVD) in den Gefängnissen. In den Jahren 2020 und 2021 haben jeweils gut 80 Männer und Frauen die zweijährige Ausbildung begonnen. Ausweislich der Seelmaecker-Anfrage sind es im laufenden Jahr bislang nur zehn Nachwuchskräfte. Parallel ist auch beim AVD ein Einbruch bei den Bewerbungen zu verzeichnen: Von 452 Einreichungen im Jahr 2020 sank deren Zahl über 375 im vergangenen Jahr auf jetzt 151.
„Der Fachkräftemangel bedroht inzwischen auch die Funktionsfähigkeit unseres Rechtsstaates in Hamburg. In vielen Abteilungen ist der Kollaps schon eingetreten. Dabei ist dem Senat seit Jahren bekannt, dass viele Arbeitsplätze auf den Geschäftsstellen unbesetzt bleiben, Fehlzeitenquoten und Fluktuation weit überdurchschnittlich und die Arbeitsbedingungen teilweise katastrophal sind“, sagt CDU-Justizpolitiker Seelmaecker.
„Wir sind im Internet und in Stellenbörsen unterwegs"
Aus Sicht der Justizbehörde trifft der Fachkräftemangel Gerichte und Staatsanwaltschaft ebenso wie andere Bereiche der öffentlichen Verwaltung und der Wirtschaft auch. „Wir haben nicht zu wenige Ausbildungsplätze oder Stellen, sondern stehen vor der besonderen Herausforderung, diese vollumfänglich zu besetzen“, sagt Linda Luft, stellvertretende Sprecherin der Justizbehörde. „In der Tat ist es so, dass viele Bewerber den Anforderungen nicht gerecht werden oder die Bewerbungen den formalen Anforderungen nicht entsprechen“, ergänzt die Sprecherin.
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Die Behörde arbeite intensiv daran, die Plätze zu besetzen. „Wir sind im Internet und in Stellenbörsen unterwegs. Das Bewerbungsverfahren wurde vereinfacht. Zudem gehen wir mit einem Team aus Praktikern und Praktikerinnen in die Schulen und stellen in einer sogenannten Roadshow zur beruflichen Orientierung die Berufe vor“, sagt Linda Luft. Seit 2019 läuft das Projekt „Nachwuchskräftegewinnung und Personalentwicklung für die Hamburger Justiz“ mit zehn Mitarbeitern und jährlichen Kosten in Höhe von 2,8 Millionen Euro.
Hamburger Justiz: CDU fordert bessere Besoldung
In einem Bürgerschaftsantrag fordert die CDU den Senat auf, die Arbeitsbedingungen, die Besoldung und die Entwicklungschancen für die Servicekräfte nachhaltig zu verbessern. Außerdem solle die Stadt mehr Wohnraum für Auszubildende und Studierende der Justiz zur Verfügung stellen. Der Senat wird dagegen aufgefordert, das Projekt „Nachwuchskräftegewinnung“ einzustellen und „die Mittel zielgerichteter zu verwenden“.