München/Hamburg. Gül Pinar und weitere Vertreter der Opfer greifen Urteilsbegründung des Oberlandesgerichtes an – mit drastischen Worten.
Zwei Jahre nach dem Urteil gegen die NSU-Terroristin Beate Zschäpe hat die Hamburger Anwältin Gül Pinar gegen das Münchener Oberlandesgericht und den Prozessvorsitzenden Manfred Götzl schwere Vorwürfe erhoben. Pinar, die die Angehörigen des Hamburger NSU-Opfers Süleyman Tasköprü als Nebenkläger vertrat, fordert mit 18 weiteren Anwälten in einem Schreiben, das dem Abendblatt vorliegt, die Akten im Bundesarchiv Interessierten zugänglich zu machen. Den Richtern attestieren die Anwälte eine „hässliche Gleichgültigkeit“ gegenüber den Nebenklägern.
Und die Opfer seien so beschrieben, wie sie vom NSU gesehen worden seien. So laute eine Passage des Urteils: „Aufgrund der durch sein Aussehen naheliegenden südländischen Abstammung gehörte Mehmet Kubaşık zu der von den drei Personen ausländerfeindlich-rassistisch definierten Opfergruppe.“
"Der Rechtsstaat hat die Opfer des NSU-Terrors im Stich gelassen"
In den Vorwürfen der Nebenkläger heißt es: „Der Rechtsstaat hat die Opfer des NSU-Terrors im Stich gelassen. Auch das schriftliche Urteil des Oberlandesgerichts München trägt nichts zur Wahrheitsfindung im NSU-Komplex bei. Es ist formelhaft, ahistorisch und kalt. Der Umfang von 3025 Seiten soll verschleiern, dass der Senat unter Vorsitz von Manfred Götzl seiner Aufgabe der Wahrheitsfindung und der Wiederherstellung des Rechtsfriedens nicht gewachsen war.“
Zschäpe war in München zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Ein Mitangeklagter, André E., erhielt zweieinhalb Jahre wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Das empört die Nebenkläger besonders: „Der weitgehende Freispruch von André E. ist nicht nur nicht nachvollziehbar, sondern auch lebensfremd und in sich widersprüchlich. Er beruht maßgeblich auf den Angaben Zschäpes.“
Beate Zschäpe: BGH muss Urteil noch prüfen
Die Anwälte halten dem Gericht vor, auch im Abfassen des Urteils eher verschleiern als aufklären zu wollen: „Immer wiederkehrende Textbausteine, die über Seiten gehen, erzeugen künstliche Länge. Mit diesem durchsichtigen Trick will der Senat des Oberlandesgerichts den Eindruck erwecken, er habe sich ausführlich mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme auseinandergesetzt. Dieses Vorgehen wäre nur lächerlich, wenn es sich nicht um den NSU und seine fürchterlichen Taten, die gravierendste rechtsterroristische Mord- und Anschlagsserie der letzten Jahrzehnte ginge.“
Das Gericht hat sich bis zum Freitagnachmittag nicht zu den Vorwürfen geäußert. Zschäpe lebte über Jahre in einer rechtsextremistischen Terrorzelle mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Beide haben nach Auffassung der Ermittler neun Menschen mit türkischen und griechischen Wurzeln sowie eine Polizistin ermordet. Mundlos und Böhnhardt nahmen sich das Leben, als sie nach einem Bankraub aufzufliegen drohten. Der Bundesgerichtshof muss das Urteil im NSU-Prozess noch prüfen.