Hamburg. Begleitung von Opfern im Prozess: Bedarf steigt, CDU übt Kritik. Warum Unterstützung von Betroffenen im Gerichtssaal so wichtig ist.

Sie haben Entsetzliches erlebt. Sie sind schwer verletzt worden, ausgeraubt oder haben einen sexuellen Übergriff erlitten. Manche Opfer sind nach solchen traumatischen Geschehnissen wie gelähmt. Die Angst treibt ihnen die Tränen in die Augen und macht das Atmen schwer. Hinzu kommt die Furcht, dass sie erneut Unheil erfahren könnten. Es ist belastend, über das Erlebte zu berichten – insbesondere vor Fremden und in einer ungewohnten Umgebung: als Zeuge im Gerichtssaal. In so einer Situation ist es hilfreich, jemanden an seiner Seite zu wissen, der einem beisteht.

Dafür gibt es Profis, unter anderem in der Zeugenbetreuung der Hamburger Gerichte oder beispielsweise beim „Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen“. Die Frauen und Männer solcher Einrichtungen leisten „psychosoziale Prozessbegleitung“ -- ein eher sperriger Begriff, der jedoch für Hilfen steht, die für die Opfer essenziell sind. Experten mit sozialpädagogischer Ausbildung unterstützen die Betroffenen in allen Belangen vor und während eines Strafverfahrens. Diese sinnvolle und notwendige Maßnahme werde allerdings vom Senat „stiefmütterlich behandelt“, bemängelt Richard Seelmaecker, justizpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion.

Opfer von Straftaten: Bedarf an Betreuung steigt

Seelmaecker stützt seine Kritik auf das Ergebnis einer schriftlichen Kleinen Anfrage, die er gestellt hat und die Antwort des Senats darauf. Diese zeige, dass sich der Bedarf an psychosozialer Prozessbegleitung in den vergangenen Jahren deutlich erhöht habe, ohne dass es einen Zuwachs an Stellen in der Betreuung der Opfer gebe.

Die psychosoziale Prozessbegleitung ist als Teil des Gesetzes zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren seit dem 1. Januar 2017 im Strafverfahrensrecht verankert. Seitdem stieg laut der Senatsantwort auf die schriftliche Kleine Anfrage von Seelmaecker nach drei Beiordnungen im ersten Jahr und 13 im Jahr 2018 der Bedarf in den vergangenen Jahren deutlich an. So seien es 2022 mittlerweile 59 gewesen und 2023 bereits 82. Im ersten Quartal dieses Jahres liege die Zahl bei 24.

Senat: Prozessbegleitung kann den Zeugen die Anspannung nehmen

Parallel dazu sind die Zahl der anerkannten psychosozialen Prozessbegleiterinnen und -begleiter in Hamburg laut Senatsangaben allerdings nicht gestiegen. Nach zehn Stellen im Jahr 2017 und einem „Zwischenhoch“ von 15 Stellen 2021 liege die Zahl mittlerweile bei neun, teilte der Senat mit. Das sei das Ergebnis einer „händischen Auswertung“.

Die psychosoziale Prozessbegleitung leiste einen „sinnvollen und geeigneten Betrag“ dazu, vorwiegend belastete Zeuginnen und Zeugen bei Gericht zu begleiten und zu betreuen. Den Betroffenen könne dadurch regelhaft bereits ein Teil ihrer Anspannung vor und während der Vernehmung genommen werden, so der Senat. Opfer von Straftaten werden durch die Polizei sowie die Staatsanwaltschaft darüber informiert, dass sie eine psychosoziale Prozessbegleitung in Anspruch nehmen könnten. Dies geschehe unter anderem durch Merkblätter oder durch ein Informationsblatt, das mit der Ladung zur Zeugenaussage übersandt werde, sowie auf der Homepage der Polizei.

Opfer sind dankbar für Begleitung: „Ohne Sie hätte ich das nicht geschafft“

Eine Zeugenbetreuung der Hamburger Gerichte gibt es seit mittlerweile 30 Jahren. Hier arbeiten aktuell fünf psychosoziale Prozessbegleiterinnen und -begleiter. Sie seien überzeugt, dass durch ihre Unterstützung und das Begleiten von Zeugen im Prozess insbesondere bei Opfern von Straftaten „ganz viel Stress reduziert werden kann“, erzählen Christina Beltle und Juliane Kobrow, die bereits seit vielen Jahren in der Zeugenbetreuung tätig sind.

Der Beistand sei wichtig, damit Menschen aus ihrer Opferperspektive herauskommen und sie wieder handlungsfähig werden können. Die meisten Zeugen wünschten sich, dass die Betreuer neben ihnen sitzen, manche wollten auch, dass sie ein Kuscheltier bei sich haben können oder ihre Hand gehalten werde. Als Prozessbegleitung müsse man es auch „aushalten, dass die Menschen weinen“, sagen Beltle und Kobrow. Tränen entlasteten und reduzierten den Stress für die Opfer. Beide berichten von Reaktionen von Menschen, die ihnen unter anderem sagten: „Ohne Sie hätte ich das nicht geschafft.“

„Das Gerichtsverfahren ist meist extrem angstbesetzt“

„Die Bedeutung der Arbeit der Kolleginnen und Kollegen der psychosozialen Prozessbegleitung ist kaum zu überschätzen“, bestätigt Gerichtssprecherin Marayke Frantzen. „Wegen der Pflicht zur Unparteilichkeit ist es den Richterinnen und Richtern oft kaum möglich, den Belangen der Tatopfer in jeder Hinsicht gerecht zu werden. Und genau hier setzt die psychosoziale Prozessbegleitung an. Sie informiert, erklärt und weist oftmals auch noch den Weg zu weiteren Hilfsangeboten über das Strafverfahren hinaus.“

„Das Gerichtsverfahren ist meist extrem angstbesetzt“, ist ebenfalls die Erfahrung von Sibylle Ruschmeier, psychosoziale Prozessbegleiterin und Mitarbeiterin in der Fachberatungsstelle „Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen“. „Eine professionelle Begleitung durch uns, so die Rückmeldungen, wird als riesige Erleichterung wahrgenommen“, sagt Ruschmeier. „Nicht allein und völlig uninformiert in das Gericht zu müssen, ist – bei aller Belastung, von der vieles auch nicht zu nehmen ist – unglaublich hilfreich.“

Opfer-Begleitung: Das Ende der Belastbarkeit sei „erreicht“, heißt es

Allerdings habe es seit Einführung des Rechts auf psychosoziale Prozessbegleitung „keine Anpassung des Stellenplans des Frauen Notrufs“ gegeben, teilt Susann Janzyk-Liehr vom Frauen Notruf mit. Wenn das Recht auf psychosoziale Prozessbegleitung endlich mehr Bekanntheit erfahre, was „absolut wünschenswert“ sei, „werden die Anfragen steigen“, ergänzt Sibylle Ruschmeier. „Wir haben seit Langem das Ende unserer Belastbarkeit erreicht und brauchen dafür dringend zusätzliche personelle Kapazitäten. Diese fordern wir seit 2016.“ Wenn der Opferschutz ernst gemeint sei, „muss endlich auch finanziell investiert werden. Allen Betroffenen Zugang zum Recht zu ermöglichen, ist noch ein langer Weg.“

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Unterdessen heißt es in der Antwort des Senats auf die schriftliche Kleine Anfrage von CDU-Politiker Seelmaecker, aktuell werde die „Personalsituation als auskömmlich eingeschätzt“. Die zuständigen Behörden werden die „Entwicklung weiter beobachten, um sicherzustellen, dass das Angebot (...) weiterhin den perspektivisch steigenden Bedarf abdeckt“.

CDU Hamburg: Mittel für die Prozessbegleitung müssen deutlich erhöht werden

Dass sich der Bedarf weiter erhöhen werde, sieht auch Seelmaecker so. Er betont, dass die Einführung der psychosozialen Prozessbegleitung eine „äußerst sinnvolle Neuerung im Bereich des Opferschutzes“ sei. Gerade Opfer von Sexual- und Gewaltverbrechen litten „massiv unter den abscheulichen Taten und brauchen schnelle Hilfe, gerade auch bei der Bewältigung des oft jahrelang andauernden Gerichtsverfahrens“, so der CDU-Justizexperte.

Der Politiker fordert den Senat auf, die Öffentlichkeit „aktiv“ über die Möglichkeit solcher professionellen Unterstützung zu informieren. Zudem sei es „unerlässlich“, dass die Sozialsenatorin „die Mittel für den ,Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen‘ deutlich erhöht, damit die dort tätigen psychosozialen Prozessbegleiterinnen ihrer Aufgabe auch vernünftig nachkommen können!“