Kiel. Nach dem überragenden Sieg beim Urnengang 2019: Ernüchterung bei der Öko-Partei. SPD jetzt wieder zweite Kraft. Union ist zufrieden.

Die auch in Schleswig-Holstein erfolgsverwöhnten Grünen sind die großen Verlierer der Europawahl. Sie landeten deutschlandweit nur noch auf Rang 4, noch hinter der AfD und der erneut dramatisch schlechten SPD. Auch schleswig-holsteinweit sackten die Grünen deutlich ab. Laut vorläufigem Endergebnis lag die Partei im nördlichsten Bundesland bei 15,4 Prozent. Damit hat sie ihr Ergebnis von 2019 fast halbiert. Für die Parteichefin der Nord-Grünen, Anke Erdmann, ist der Wahlausgang enttäuschend.

„Begeisterung sieht anders aus. Es ist eher wie ein kälterer Schauer. Wir hatten 2019 eine absolute Klima-Wahl, die uns Grünen ein Rekordergebnis eingefahren hat. Das war die Zeit der großen Fridays-for-Future-Demonstrationen. Das Ergebnis heute kam aber nicht unerwartet. Als Gründe für den Stimmenrückgang sehe ich, dass der Klimawandel nicht mehr das alles beherrschende Thema ist. Und zum anderen spricht die Bundesregierung zu wenig über die guten Dinge, die sie erreicht hat“, sagte die grüne Parteichefin.

So hat das Hamburger Umland gewählt

Die Nord-Grünen verloren auch in den Kreisen im Hamburger Umland dramatisch in der Wählergunst. Sie kommen in Pinneberg, Stormarn, Segeberg und Herzogtum Lauenburg auf Werte zwischen rund 13 und 16 Prozent. Damit haben sie noch nicht einmal die Hälfte der Stimmen der CDU erreicht, die nach den Verlusten 2019 jetzt wieder mit 30 bis 31 Prozent der Stimmen auch im Hamburger Rand klar vorne liegt. Die SPD landete in den Umlandkreisen bei Werten zwischen 15 und 17,5 Prozent, die FDP bei sechs bis sieben und die AfD zwischen 11,6 und rund 15 Prozent.

Die CDU, 2019 im Norden die große Verliererin der Europawahl, legte in Schleswig-Holstein um vier Prozentpunkte zu. Für den Ministerpräsidenten und CDU-Landeschef Daniel Günther sind die bundes- wie landesweit rund 30 Prozent zwar „kein Grund für Triumphgeheul, aber ein richtig gutes Ergebnis. Wir sind mit 30 Prozent mit weitem Abstand die stärkste Kraft“, sagte er bei der Wahlparty der CDU in Kiel. Dies sei im Prinzip genauso viel, wie alle Ampel-Parteien zusammen geholt hätten. Daniel Günther nannte das Ergebnis von SPD, Grünen und FDP einen „massiven Vertrauensverlust der amtierenden Bundesregierung“. Als eine „bittere Pille“ bezeichnete der schleswig-holsteinische Ministerpräsident den AfD-Erfolg. Die Partei habe unverblümt gegen Europa Stimmung gemacht.

SPD-Landeschefin Midyatli: Ergebnis der AfD und Rechtsruck in Europa „bitter“

SPD Landeschefin Serpil Midyatli hat eine Niederlage nach der anderen einstecken müssen, seit sie das Amt 2019 übernommen hat. Bei der Wahl an diesem Sonntag fiel ihre Partei bundes- und landesweit nochmals, wenn auch in Schleswig-Holstein nur ganz leicht, hinter die letzten Ergebnisse zurück. „Wir sind unzufrieden, das ist nicht das, wofür wir gekämpft haben“, sagte Midyatli. Sie sprach von einer Niederlage ihrer Partei und forderte von den SPD-Ministern in der Bundesregierung, für ein deutlicheres sozialdemokratisches Profil zu kämpfen. Wie Günther nannte auch Midyatli nannte das Ergebnis der AfD und den Rechtsruck in Europa „bitter“.

Die Bewertung des bundesweiten Ergebnisses der FDP durch ihren Landesparteichef Oliver Kumbartzky liest sich etwas anders als die Zahlen. Die liegen bei gut fünf Prozent, trotzdem spricht Kumbartzky – er wurde am Sonntag auch zum neuen Bürgermeister von Büsum gewählt – von einem „durchaus positiven Ergebnis“. Man habe deutlich besser abgeschnitten, als es angesichts der Umfragen zu erwarten gewesen sei. Landesweit kam die FDP auf 6,3 Prozent der Stimmen, das ist ein leichtes Plus gegenüber 2019. Natürlich hätte er es sich gewünscht, für die FDP ins Europaparlament einzuziehen, bedauerte Spitzenkandidat Helmer Krane den Wahlausgang.

Die AfD, die bei der jüngsten Landtagswahl noch an der Fünf-Prozent-Klausel gescheitert war, konnte sich bei der Europawahl auf 12,2 Prozent in Schleswig-Holstein steigern. Erneut spielte die Linke mit 2,3 Prozent keine große Rolle im nördlichsten Bundesland. Die Wahlbeteiligung lag mit knapp 65 Prozent über der der vergangenen Europawahl (59,7 Prozent). 2,318 Millionen Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner waren zur Europawahl aufgerufen – so viele wie nie zuvor, da erstmals auch Jugendliche ab 16 das EU-Parlament mitbestimmen durften.

Serpil Midyatli ist die Landes- und Fraktionsvorsitzende der SPD in Schleswig Holstein.
Serpil Midyatli ist die Landes- und Fraktionsvorsitzende der SPD in Schleswig Holstein. © picture alliance/dpa | Axel Heimken

Europawahl 2019: Die Grünen lagen im Norden weit vorn

Zur Überraschung der meisten politischen Beobachter und Politiker waren die Grünen in Schleswig-Holstein bei der Europawahl 2019 deutlich vor der CDU gelandet. Sie hatten niemals zuvor bei einer Europa-, Bundestags- oder Landtagswahl im Norden mehr als 14 Prozent geholt – 2019 waren es 29,1 Prozent. Während die Grünen ihre Stimmen verdreifachten, stürzte die CDU von Parteichef und Ministerpräsident Daniel Günther 2019 um 8,2 Prozentpunkte auf 26,2 Prozent ab. Die SPD verlor sogar fast 15 Prozentpunkte und kam auf 17,1 Prozent der Stimmen. Die AfD landete 2019 mit 7,5 Prozent auf Platz vier vor der FDP.

Leiten gemeinsam die Grünen in Schleswig-Holstein: Anke Erdmann und Gazi Freitag.
Leiten gemeinsam die Grünen in Schleswig-Holstein: Anke Erdmann und Gazi Freitag. © dpa | Axel Heimken

Auch in den Wahlkreisen im Hamburger Umland schnitten die Grünen 2019 stark ab. Ob in Pinneberg, Segeberg, Stormarn oder Herzogtum Lauenburg, schafften sie mindestens 25,8 Prozent der Stimmen. Damit lagen sie in etwa gleichauf oder vor der CDU. Noch stärkere Verluste als die Union fuhr auch in den Hamburger Umlandkreisen die SPD ein.

EU-Parlament: Kein Abgeordneter aus Hamburg, vier aus Schleswig-Holstein

Anders als Hamburg, das zuletzt nicht einen Abgeordneten nach Straßburg schicken konnte, wurde Schleswig-Holstein in der zurückliegenden Legislaturperiode sogar von vier Politikern im EU-Parlament vertreten: Niclas Herbst (CDU), Delara Burkhardt (SPD), Rasmus Andresen (Grüne) und Patrick Breyer (Piraten).

Bei der Landtagswahl drei Jahre nach der Europawahl schaffte die CDU das, was man im Sport einen „turn around“ nennt. Sie steigerte sich 2022 auf 43,4 Prozent der Stimmen. Damit fehlt ihr nur ein Mandat an der absoluten Mehrheit der Sitze im Kieler Landtag. Die Grünen landeten bei 18,3 Prozent der Stimmen, die SPD stürzte um mehr als elf Prozentpunkte auf 16 Prozent oder zwölf Mandate ab. Von dem Debakel erholte sich die Partei, die mit Björn Engholm, Heide Simonis und Torsten Albig gleich drei der fünf Regierungschefs seit 1988 gestellt hatte, weder bei den Kommunalwahlen 2023, noch bei den Europawahlen am Sonntag.

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Der Erfolg der CDU bei der Landtagswahl 2022 und bei der Kommunalwahl 2023 gründete auf der hohen Zufriedenheit der Schleswig-Holsteiner mit der Landesregierung und dem Ministerpräsidenten. Nach einer repräsentativen Umfrage des NDR von kurz vor den Kommunalwahlen gaben 55 Prozent an, mit der Arbeit der CDU in der Regierung zufrieden zu sein. Das waren sechs Prozentpunkte weniger als bei der Umfrage im Mai 2022. Die Zufriedenheit mit den Grünen als Regierungspartner sank 2023 im Vergleich zu 2022 sogar um 16 Prozentpunkte auf 37 Prozent. Allerdings fanden 69 Prozent der potenziellen Wähler die Arbeit von Ministerpräsident Günther gut oder sehr gut. Wenn dieser Wert auch etwas gesunken war gegenüber der Umfrage zuvor: Mit 69 Prozent liegt Günther bundesweit weit vorn.