Hamburg. Der frühere Büroleiter von Gerhard Schröder hat eine große Karriere hingelegt. Als Staatsoberhaupt enttäuscht er bislang.

Der Kolumnist muss seine Worte wägen. Als großer Anhänger unserer Grundordnung stand der Bundespräsident bisher etwas über den Dingen – und außerhalb der Kritik(en). Als er während der Corona-Zeit die Spaziergänge der Gegner der Pandemiepolitik anging, habe ich mich still gewundert.

Seiner Aussage „Der Spaziergang hat seine Unschuld verloren“ lag schon damals ein seltsames Verständnis der Demonstrations- und Meinungsfreiheit zugrunde. Und die Idee, ausgerechnet einen Döner-Spieß als Gastgeschenk in die Türkei mitzuschleppen, zeigte mir: Der Fachkräftemangel ist im Stab des Bundespräsidenten angekommen.

Gerechtigkeit gegen jedermann?

Inzwischen befürchte ich, dass der sympathische Frank-Walter Steinmeier seiner Aufgabe einfach nicht gewachsen ist. Er wirkt noch immer eher wie ein Büroleiter (das hat er für Gerhard Schröder großartig gemacht) als wie ein Bundespräsident.

Dieser hat als Staatsoberhaupt vor allem repräsentative Pflichten. Nach dem Desaster mit Paul von Hindenburg und seinen Notverordnungen wollten die Verfassungseltern des Grundgesetzes es besser machen und einen Präsidenten, der vor allem durch die Macht seiner Worte wirkt. Im Amtseid heißt es: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.“

Steinmeier klingt zu oft zu gleich

Fraglich, ob Letzteres dem Sozialdemokraten gelingt. Es ist eine Debatte wert, ob sich Steinmeier wirklich zu dem Video einer Handvoll besoffener Idioten äußern musste. Er tat es. Mit Blick auf Sylt zeigte er sich besorgt über „die Verrohung der politischen Umgangsformen“ in Deutschland. „Die jüngsten Ereignisse, die wir gerade in einem Video aus einer Bar auf der Insel Sylt gesehen und gehört haben, verstärken diese Beunruhigung.“

Nur wenige Tage später, nach dem Terrormord an einem Polizisten in Mannheim, zeigte er sich wieder besorgt über die „Verrohung der politischen Auseinandersetzung und der wachsenden Gewaltbereitschaft in unserem Land“. Schon diese sprachliche Gleichbehandlung ist ein Skandal.

Steinmeier spricht meist so, als sei er auf einem Unterbezirksparteitag

Leider aber ist es kein Wunder. Denn Steinmeier spricht noch immer so wie auf dem SPD-Unterbezirksparteitag seiner Heimatstadt Detmold. Als Bundespräsident sollte er aber alle ansprechen. Diese besondere Fähigkeit besaß sein Vorgänger Joachim Gauck – er sendete immer wieder Signale an Andersdenkende, um sie mitzunehmen und nicht zu verlieren.

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 war Gauck einer der wenigen, der Mut zu kritischen Worten hatte: „Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“ Christian Wulff, der von den Medien 2012 zum Rücktritt ge- und bedrängt wurde, wusste: „Wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, der wird ganz schnell Witwer.“

Scheel bis Weizsäcker eckten auch einmal an

Steinmeiers Vorgänger wussten um die Kraft des Wortes. Vor fast 50 Jahren mahnte Walter Scheel: „Aber das macht nicht den verantwortungsbewussten Politiker aus, Meinungsforschung zu treiben, um zu wissen, was populär ist, was ankommt, und dann das Populäre zu vertreten“, sagte der FDP-Politiker. „Die Aufgabe des Politikers ist es, das Richtige zu tun und es populär zu machen.“

Richard von Weizsäcker (CDU) gelang es mit einer Rede, das schiefe deutsche Geschichtsbild zu richten: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird.“

Roman Herzogs Ruck-Rede ist bis heute aktuell

Roman Herzog (CDU) warb erfolgreich für eine Reformpolitik: „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. [...] Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen, alle müssen mitmachen. [...] Die ganze Gesellschaft leidet bei uns an eingeschlafenen Füßen, die allerdings bis ans Hirn führen.“

Johannes Rau (SPD) hat eine Warnung ausgesprochen, die bis heute gültig ist: „Ein Patriot ist jemand, der sein eigenes Vaterland liebt. Ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet. Hüten wir uns daher vor allen nationalistischen Tönen – genauso wie vor der Versuchung, den politischen Gegner dadurch herabzusetzen, dass man ihn in die Nähe rechtsextremer Vorstellungen rückt!“

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Und was bleibt von Frank-Walter Steinmeier? Bislang nur Schweigen.