Hamburg. Das Virus befällt die Hirne: Manche verfallen Verschwörungstheorien, andere finden nicht aus der Pandemie heraus.

Das Coronavirus hat zuerst die Atemwege, inzwischen auch unsere Hirne und Herzen befallen. Wer die derzeitige Diskussion verfolgt, kann sich nur noch wundern. Auf der einen Seite sammeln sich immer mehr Menschen hinter seltsamen Bannern und unter skurrilen Plakaten, um ihre Ablehnung der Corona-Politik deutlich zu machen. Sie sind nicht alle „Corona-Leugner“, aber bewegen sich in einem unappetitlichen Umfeld: Gerade im Osten haben Rechts­extremisten die Proteste gekapert, Verschwörungstheoretiker und Verrückte mischen sich unter die Spaziergänger und Demonstranten.

Die Sorgen der Verfassungsschützer vor einer weiteren Radikalisierung scheinen leider real. Man blicke auf die Entwicklung in den Vereinigten Staaten: Dort ist aus versprengten Gruppen verwirrter Verschwörungstheoretiker eine politische Bewegung geworden, die das Kapitol gestürmt hat – ein Putschversuch der Irren, der vier Tote forderte. Das zeigt, wohin es führen kann, wenn aus bösen Worten böse Taten werden.

Drittel der Deutschen offen für Verschwörungsmythen

Das Internet wirkt dabei als Turbo der Radikalisierung – dort ist jede noch so bizarre These pseudowissenschaftlich „bewiesen“, dort treffen Verstörte auf Verrückte, dort gehört es zum guten Ton, böse zu sein. Hass und Hetze sind das Schmiermittel der asozialen Medien, irre Theorien ihr Beschleuniger. Einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zufolge ist ein Drittel der Deutschen offen für Verschwörungsmythen – das Internet ist ein gigantischer Marktplatz für abstruse Ideen, etwa von Politikern, die Kinder entführen, um ihr Blut zu trinken, von Unternehmern, die mit Zwangsimpfungen Menschen digital überwachen wollen, und von Juden, die mit Corona Geschäfte machen wollen.

Für die Radikalen ist die Pandemie eine „Plandemie“. Das Problem: Durch Corona bekommen sie plötzlich Anknüpfungspunkte zu Menschen, die bis eben eher normal waren. Aus der Ablehnung der Corona-Maßnahmen erwächst die Ablehnung der Gesellschaft, aus Wut wird Hass, aus Bürgern werden Radikale. Diese Gefahr sollten wir nicht unterschätzen.

Corona-Leugner machen andere zu Corona-Eiferern

Doch die Radikalisierung hat auch eine andere Seite, nämlich die, die Schwankende und Zweifelnde mit einem Tritt in den Hintern auf die andere Seite befördert – die Corona-Eiferer. Wie man auf die Idee kommen kann, eine Allgemeinverfügung gegen die Corona-Spaziergänge mit dem Hinweis zu beschließen: „Um sicherzustellen, dass das Versammlungsverbot eingehalten wird, wird die Anwendung unmittelbaren Zwangs, also die Einwirkung auf Personen durch einfache körperliche Gewalt, Hilfsmittel der körperlichen Gewalt oder Waffengebrauch angedroht.“

Zwar hat der Oberbürgermeister von Ostfildern, Christof Bolay (SPD), nur aus dem baden-württembergischen Polizeigesetz zitiert – aber auf die Idee muss man trotzdem kommen. Im Ländle läuft ohnehin einiges aus dem Ruder: Eine Debatte über Exitstrategien „vor Ostern“ sehe er überhaupt nicht, sagte der grüne Regierungschef Winfried Kretschmann jüngst. Ostern ist Mitte April!

Offenbar schaukelt sich da etwas auf – Corona-Leugner machen andere zu Corona-Eiferern. Wie gut haben es da die Skan­dinavier – hier sind die Proteste deutlich leiser, und die Politik ist entspannter: Dänemark hat sämtliche Corona-Regeln aufgehoben. Das ist hierzulande kaum vorstellbar, auch angesichts vieler aufgeregter Medienleute.

Böhmermann beherrscht das Spalten meisterhaft

Einer, der das Zuspitzen und Spalten meisterhaft beherrscht, ist der ZDF-Satiriker Böhmermann. Als Friedrich Merz nun die Wichtigkeit von Schulöffnungen betonte, raunzte Böhmermann: „Schulen und Kindergärten würden sicher gerne ‚weiter öffnen‘. Leider sind (weil ungeschützt) da zurzeit alle krank, in Quarantäne oder im Homeschooling wegen Clusterausbrüchen, Sie menschenentkoppelter Wirtschaftsolm.“ Der öffentlich-rechtliche Spaßmacher witzelte ja auch: „Was die Ratten in der Zeit der Pest waren, sind Kinder zurzeit für Covid-19: Wirtstiere.“

Das ist übrigens der Böhmermann, der sich auf Journalistenpodien darüber mokiert, Virologen wie Hendrik Streeck eine Bühne zu geben. „Meinungen im öffentlichen Raum sollten einer strengen, umfassenden medialen und gesellschaftlichen Qualitätskontrolle standhalten. Die öffentliche Repräsentation von Meinungen muss nach Qualität erfolgen“, sagt Böhmermann. Qualitätskontrolle!? Ich bin mir sicher, diesen Satz würden auch Querdenker sofort unterschreiben.