Hamburg. Uri Hirsch war ein Kind, als die Nazis die große Synagoge brandschatzten, in der sein Vater Kantor war. Ein aufwühlender Ortsbesuch.

Der Besuch der Bornplatzsynagoge im Grindelviertel ist für Uri Hirsch (88) ein bedeutender Moment. Als kleines Kind war er selbst in dem jüdischen Gotteshaus, denn sein Vater war dort in den 1930er-Jahren der letzte Kantor und administrativer Direktor. In der Reichspogromnacht 1938 wurde die Hamburger Synagoge wie viele weitere in Deutschland von den Nationalsozialisten verwüstet und ein Jahr später abgerissen. Mit über 65 Millionen Euro soll die Synagoge nun wieder aufgebaut werden. „Der Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge ist der Sieg der Freiheit gegenüber der Barbarei der Nazis“, erklärt der Vorsitzende der Stiftung Bornplatzsynagoge Daniel Sheffer.

„Über vieles wurde nie gesprochen“, berichtet Zeitzeuge Uri Hirsch. „Ich weiß nicht, ob das Absicht war, ober, ob die Themen einfach nie zur Sprache kamen“, erzählt der 88-Jährige weiter. Über die Jahre habe er nur stückchenweise Geschichten über das Leben in Hamburg von seiner Familie gehört und vereinzelt jüdische Liederund Traditionen kennengelernt. Als er eineinhalb Jahre alt war, verließen Hirsch und seine Familie Hamburg und gingen nach England. Seitdem hat Hirsch es sich zur Aufgabe gemacht, möglichst viel über seine eigene Familiengeschichte herauszufinden. Auch der Trip nach Hamburg soll dabei helfen.

Hamburg: Jüdischer Zeitzeuge besucht Ort der zerstörten Bornplatzsynagoge im Grindelviertel

„Es war für mich sehr emotional, da zu sein“, erzählt Hirsch über seinen Besuch an dem Ort, an dem einst die Bornplatzsynagoge stand. In einer Straße in der Nähe hat seine Familie in den 1930er-Jahren gewohnt. Von dort aus wurden auch seine beiden Großmütter in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, berichtet Hirsch. Der geplante Neubau der Bornplatzsynagoge steht für Hirsch symbolisch für das Scheitern des NS-Regimes. „Hitler konnte sein ultimatives Ziel nicht erreichen, welches es war, alle Juden loszuwerden“, sagt der 88-Jährige, der heute in Israel lebt. „Er wollte uns zerstören. Wir sind zurück, auch, wenn es Jahre gedauert hat. Bei der Bornplatzsynagoge ist es dasselbe: Ihr habt sie zerstört und sie ist zurück.“

Der in Hamburg geborene Uri Hirsch (links) zusammen mit der Zweiten Bürgermeisterin der Hansestadt, Katharina Fegebank (Grüne). Beide tauschten sich bei der Ausgrabungsstätte am Ort der früheren Bornplatzsynagoge im Grindelviertel aus.
Der in Hamburg geborene Uri Hirsch (links) zusammen mit der Zweiten Bürgermeisterin der Hansestadt, Katharina Fegebank (Grüne). Beide tauschten sich bei der Ausgrabungsstätte am Ort der früheren Bornplatzsynagoge im Grindelviertel aus. © Raawi | Armin Levy

Hirsch ist für eine Woche lang Teil einer Gruppe aus Jüdinnen und Juden, die entweder in Hamburg geboren wurden oder die zweite Generation einer jüdischen Familie aus Hamburg sind. Gemeinsam besichtigen sie prominente Orte in Hamburg und treffen lokale Politikerinnen und Politiker. Auch die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grünen) hat sich mit der Gruppe getroffen. „Der Neubau der Bornplatzsynagoge ist ein wichtiges und sichtbares Zeichen für das vitale jüdische Leben, das diese Stadt so immens bereichert“, erklärt Fegebank dem Hamburger Abendblatt. „In Tagen wie diesen, in denen der Antisemitismus auch in Deutschland sein hässliches Gesicht wieder viel offener zeigt, ist es umso wichtiger, sehr ganz klar und deutlich zu sagen: Das jüdische Leben ist ein wichtiger, großartiger Teil unserer Gesellschaft“, sagt Fegebank.

NS-Zeitzeuge mit Appell an Hamburger Juden

Erst Ende vergangenen Jahres kam es an der Bornplatzsynagoge zu einem antisemitischen Vorfall. Damals äußerte sich ein 33-jähriger Mann herabwürdigend gegenüber Angehörigen des jüdischen Glaubens. Der Mann, der später angab, sich für die Tat zu schämen, wurde zu einer Geldstrafe von 1200 Euro verurteilt.

Laut Hirsch müssen die in Hamburg lebenden Jüdinnen und Juden alles in ihrer Macht tun, um gegen Antisemitismus anzukämpfen. „Es ist falsch, also müsst ihr sie davon überzeugen, dass sie Unrecht haben“, erklärt der 88-Jährige. Seiner Meinung nach haben die meisten Antisemiten keine logische Antwort auf die Frage, wieso sie etwas gegen Jüdinnen und Juden haben. Auch dies mache die Gespräche zwischen beiden Seiten kompliziert und schwierig.

„Zionist“ Hirsch wünscht sich alle Juden nach Israel

Seit Jahren setzt sich Hirsch mit dem Judentum und Antisemitismus auseinander. Im Rahmen von Jom haScho’a, dem israelischen nationalen Gedenktag für die Opfer des Holocaust und den jüdischen Widerstand gegen die Judenverfolgung durch Hitlerdeutschland, hält er Vorträge über seine Familiengeschichte.

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Obwohl er durch seinen Vater emotional eng mit dem Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge verbunden ist und das Projekt persönlich für eine gute Idee hält, steht er auch in einem Konflikt mit dem Vorhaben. Hirsch bezeichnet sich selbst gegenüber dem Abendblatt als „Zionist“ und gibt an, sich theoretisch zu wünschen, dass alle Jüdinnen und Juden „ihre Sachen packen und nach Israel“ ziehen: „Forget building the building“, erklärt der 88-Jährige, der nur ein paar Sätze Deutsch spricht. „Auf der anderen Seite ist es nicht realistisch, so zu denken“, so Hirsch. Deswegen sollte es seiner Meinung nach dort, wo Jüdinnen und Juden leben, auch Synagogen für sie geben.