Hamburg. Katja Lücke wünschte, Bürgerschaft wäre geschlossen ins Grindelviertel gekommen. Um der Kinder willen. Jetzt trotzt sie der Angst.
Es war der schwärzeste Tag ihres Lebens, sagt Katja Lücke. Die Hamburgerin hatte ihre Tochter am Freitag nicht zur Schule geschickt. Aus Angst. Ihre Tochter besucht die jüdische Joseph-Carlebach-Schule im Grindelviertel, früher als Talmud-Tora-Schule bekannt. „Auch ich habe diesem Gefühl von Sorge nachgegeben“, bekennt Katja Lücke in einem offenen Brief, den sie unter anderem an die Hamburgische Bürgerschaft und den Deutschen Bundestag verschickt hat. Dabei habe sie nach den Erfahrungen ihrer Mutter und ihres Großvaters geschworen, nie wieder Opfer sein zu wollen.
Doch nach den brutalen Angriffen der Hamas-Terroristen auf Israel, nach den Freudenfesten, die radikale Muslime auf den Straßen auch in Deutschland feiern, nach den israelischen Gegenschlägen auf den Gaza und in einer Lage, die immer weiter eskaliert, hätten sich Jüdinnen und Juden wieder „aus Angst versteckt, sich verleugnet“ – auch in Hamburg.
Jüdische Gemeinden in Hamburg: „Haltung zeigen, nicht nur Lippenbekenntnisse“
Katja Lücke fragt sich selbst, aber auch Mitbürger sowie die Verantwortlichen von Politik, Kultur, Sport und Wirtschaft: „Was haben wir unseren Kindern damit als Erfahrung mitgegeben? Dass sie am Ende immer allein dastehen und sich verkriechen müssen, wenn der Mob zur Hetze ruft?“ Das sei eigentlich nie ihre Haltung gewesen, deshalb war sie in einer ersten Reaktion auch entschlossen, dass ihr Kind nicht der Schule fernbleiben sollte. „Die Familie hat lange beraten, und die Sorge um Sicherheit und Gesundheit des Kindes hat letztlich gesiegt. Weil die Kinder nicht die Speerspitze für Mut, Moral und Toleranz sein dürfen.“
Aber die fünffache Mutter übt auch schwere Kritik an Vertretern von Politik, Wirtschaft und Kultur. Der Freitag, als schwere Ausschreitungen von radikalen Islamisten in der Hansestadt nach dem Freitagsgebet befürchtet worden waren, wäre aus ihrer Sicht „der Tag gewesen für eine Gesellschaft, Haltung zu zeigen, keine Lippenbekenntnisse abzugeben, keine Sonntagsreden zu halten“, sagt die 56-Jährige, die als pädagogische Mitarbeiterin an einer Grundschule arbeitet.
Hamburger Jüdin: „Bürgerschaft hätte geschlossen ins Grindelviertel kommen müssen“
„Ich hätte erwartet, dass sich eine geschlossene Hamburger Bürgerschaft ins Grindelviertel aufmacht und den sicheren Zugang unserer Kinder zu den Einrichtungen gewährt, dass sie die koscheren Läden aufgesucht und dort ihr Frühstück gekauft hätten, dass sie plaudernd und fröhlich mit den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde, den Hamburger Bürgern dagestanden und endlich reale Solidarität gezeigt hätten und dies auch im Vorfeld deutlich angekündigt hätten“, so Lücke. Das, so sagt sie, hätte ich auch so von allen anderen Landesparlamenten und dem Deutschen Bundestag erwartet.
Es sei Zeit, „dass sie alle rausgehen und sich Seite an Seite stellen, mit denen, die bedroht werden, um klarzumachen, dass diese Gesellschaft eine solche Bedrohung nicht trägt, dass die pöbelnde Minderheit keinen Raum findet, weil die Mehrheit sich offen zeigt“. Man müsse füreinander einstehen, nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten.
Jüdische Gemeinde warnt auch Mitglieder in Hamburg: Keine Kippa in der Öffentlichkeit
So aber habe man die Chance verpasst, dass alle Kinder angstfrei die Schulen und Kitas der jüdischen Gemeinden in Deutschland aufsuchen könnten. „Nun warnen unsere Gemeinden sogar davor, Kippa zu tragen, Hebräisch zu sprechen in der Öffentlichkeit.“
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Die Hamburger Sicherheitsbehörden haben den Schutz jüdischer Einrichtungen seit dem Beginn der terroristischen Angriffe auf Israel verstärkt. Pro-palästinensische Demonstrationen werden verboten. „Wer die menschenverachtende und alle Grenzen überschreitende Barbarei der Hamas befürwortet oder sich darüber freut, für den kann es in unserer Gesellschaft keine Toleranz geben“, hatte Innensenator Andy Grote (SPD) erklärt und angekündigt, gegen entsprechende Aktionen konsequent vorzugehen.
Nach Hamas-Angriff in Israel: Katja Lücke aus Hamburg trägt Davidstern sichtbar
Sie selbst, sagt Katja Lücke, trage in diesen Tagen ihren Davidstern sehr bewusst und deutlich über dem Pullover. „Weil ich mich nicht Bange machen lassen werde, nur hoffe ich immer noch, dass ich nicht allein bleibe.“ Sich zu verstecken, so die Hamburgerin, sei der falsche Weg.
Deshalb: Dass sie ihre 14-jährige Tochter aus Angst nicht zur Schule geschickt habe, wie die meisten Eltern von Kindern in jüdischen Bildungseinrichtungen in Hamburg auch, mache sie „unendlich traurig und wütend“. Aber der Kampf um Moral, Humanität, Toleranz und Haltung könne nicht auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden. Vielmehr seien die Erwachsenen gefordert, Kindern Sicherheit zu vermitteln „für jede Art zu leben, zu glauben und zu lieben“ und ihnen die Angst zu nehmen, „dass irgendetwas an ihnen falsch ist, nur weil es irgendeinem anderen nicht passt oder nicht der Masse entspricht“. Katja Lücke appelliert in ihrem offenen Brief: „Lassen Sie uns in diesen Tagen nicht allein, kommen Sie und stehen Sie an unserer Seite mit Taten, nicht mit Worten.“